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TIERVERSUCH/596: Menschen für Tierrechte kämpfen für das Verbot aller Tierversuche (tierrechte)


tierrechte 1.14 - Nr. 66, März 2014
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Menschen für Tierrechte kämpfen für das Verbot aller Tierversuche

Von Christiane Baumgartl-Simons



Unser Bundesverband ist ein Tierrechtsverband. Er verfolgt radikal die Abschaffung aller Tierversuche und die Anerkennung grundlegender Tierrechte. Genau dazu wurde er 1982 gegründet. Das wollen wir heute, gut 30 Jahre nach Gründung noch einmal in aller Deutlichkeit in dieser tierrechte-Ausgabe in den Mittelpunkt rücken.


Warum? Viele unserer heutigen Mitglieder waren damals zu jung, um sich daran zu erinnern, manche noch gar nicht geboren. Etliche Mitgliedsvereine gründeten sich erst deutlich später und traten unserem Bundesverband zu einem Zeitpunkt bei, an dem die Zielsetzung 'Abschaffung aller Tierversuche' eine Selbstverständlichkeit für jegliche Verbandsaktivität war und deshalb nicht mehr ständig im Vordergrund stand. Seit mehr als einer Generation verfolgen wir konsequent das Verbot aller Tierversuche und den Einsatz tierversuchsfreier, humanspezifischer Methoden. Unser Ziel ist keine Vision lebensferner Träumer, sondern inzwischen beginnende Realität. Ein wichtiges Indiz, dass wir auf dem richtigen Weg sind, ist: Anders als früher kritisieren heute auch Wissenschaftler Tierversuche. So gibt es seriöse Untersuchungen, die die begrenzte Aussagefähigkeit der Tierversuche belegen. Diese Offenheit war noch vor wenigen Jahren undenkbar. In dieser Entwicklung sehen wir einen Erfolg unserer langjährigen Kritik, auch wenn er sich noch längst nicht in sinkenden Tierversuchszahlen zeigt. Sie steigen bisher kontinuierlich an und überschritten laut der letzten Bundesstatistik 2012 die 3-Millionen-Grenze.


Unser Bundesverband verfolgt die Abschaffung aller Tierversuche, denn:
Tierversuche sind unmoralisch

Jedes Tier hat einen eigenen Wert und ein Recht auf Unversehrtheit. Tiere, die zu Versuchen benutzt werden, sind schmerz- und leidensfähig wie wir Menschen. Deshalb dürfen wir Tieren keine Schmerzen, Schäden und Leiden zufügen! Egal welchen eventuellen Nutzen der Mensch davon haben könnte. Dies ist eine unantastbare moralische Regel, die das Quälen und Töten von Tieren verbietet. Gegen diese verstößt unsere Gesellschaft permanent, auch und gerade in Tierversuchen.

Tierversuche sind unwissenschaftlich

Die Ergebnisse von Tierexperimenten lassen sich nicht zuverlässig auf den Menschen oder eine andere Tierart übertragen. Die Ungenauigkeit des Tierversuchs - neben der Moral ein weiteres wichtiges Argument unseres Verbandes für das Verbot der Tierversuche - wird heute von Wissenschaftlern bestätigt. Das beweist: Unsere Kritik am Tierversuch ist auch aus wissenschaftlicher Sicht richtig!

Bei der Auswahl einer Tierart für einen Versuch entscheiden häufig Kostengründe: hohe und schnelle Reproduktion, geringer Platzbedarf sowie Futterkosten und ein kurzes Lebensalter liefern schnelle Ergebnisse. Maus und Ratte sind daher bei Forschern sehr beliebt, auch, weil sie keine Kuscheltiere sind und deshalb keine Lobby haben. Weil sie schon immer in Tierversuchen missbraucht wurden, gibt es genügend Vergleichsdaten, mit denen die Forscher ihre Ergebnisse diskutieren können. Nur deshalb können die Experimentatoren 'erahnen', ob die Versuchsergebnisse plausibel sind oder nicht.

Aber ein unkalkulierbares Restrisiko bleibt! Dies zeigt sich z.B. bei der Entwicklung des therapeutischen Antikörpers TGN1412: An Affen erfolgreich getestet führte er beim Menschen zu Multiorganversagen. Andere Beispiele sind der Cholesterinsenker Lipobay (vom Markt genommen im Sommer 2001), das Schmerzmittel Vioxx (vom Markt genommen im September 2004) sowie der Blutstiller Trasylol (Vermarktungsstopp seit November 2007). Frühere Tier-Experimente wurden nie 'validiert' - mussten sich also nie vergleichen lassen - und werden trotzdem weiter hin von Forschern herangezogen. Wenn eine damalige Studie also ein Zufallsergebnis war, vergleichen die Forscher ihre Ergebnisse heute mit potenziell nicht stimmigen Ergebnissen.

Tierversuche sind unmedizinisch

Erkrankungen des Menschen haben viele Ursachen. Ernährung, Umwelteinflüsse, psychische und genetische Faktoren beeinflussen sich wechselseitig und sind in unterschiedlichem Ausmaß an der Erkrankung des Menschen be teiligt. Diese Situation kann im Tier nicht nachgestellt werden. Die tierexperimentelle Medizin simuliert lediglich einzelne Symptome menschlicher Erkrankungen in Tieren. Diese werden dann fälschlicherweise als 'Tiermodelle' bezeichnet. Die manipulierten Tiere tragen aber in keinem Fall die komplette Erkrankung des Menschen in sich. Um die fehlende Aussagefähigkeit des Tierversuchs für den Menschen zu verringern, werden die Tiere, fast ausschließlich Mäuse, heute genetisch verändert. Unterschiedliche Reaktionen von Mensch und Maus können so für einzelne Fragestellungen gentechnisch 'weggezaubert' werden. Die gentechnische Manipulierbarkeit ist heute das Argument, um die Verwendung von Mäusen zu begründen. Denn aktuell können nur Mäuse praxisreif nahezu beliebig genetisch verändert werden, demnächst wahrscheinlich auch Ratten.


Warum werden Tierversuche dennoch gemacht?

Tierversuche sind noch immer gesetzlich vorgeschrieben. Ohne diese Tierexperimente dürfen Produkte (z.B. Chemikalien, Arzneimittel, Medizinprodukte, Pestizide, Biozide) nicht zugelassen und vermarktet werden. Meist ist der Hersteller selbst für die Sicherheitsprüfung verantwortlich und kann durch den Nachweis ggf. eine Haftung ausschließen. Die Vorschriften resultieren u.a. aus der europäischen Chemikalienverordnung REACh, dem europäischen Arzneibuch (Pharmakopöe) oder den Regulatorien für Pestizide und Biozide.

In der Grundlagenforschung, die mehr oder weniger dem reinen Erkenntnisgewinn dient, werden ebenfalls Tierversuche durchgeführt und zwar mit steigender Tendenz. In der Grundlagenforschung sind die Wissenschaftler am wenigsten bereit, den Irrweg 'Tierversuch' zu verlassen, umzudenken und sich aktiv in die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren einzubringen. Die Grundlagenforscher stehen vielmehr auf dem Standpunkt, solange ein Recht auf Tiernutzung zu haben, bis andere Forscher tierversuchsfreie Verfahren entwickelt haben. Die praxisreife Nachbildung des gesamten Stoffwechsels von Mensch oder Tier ist aktuell die große Herausforderung der in vitro-Forschung. Doch dieser Verantwortung stellen sich die tierexperimentell arbeitenden Grundlagenforscher so gut wie nie.

Tierversuche werden auch zu Aus- und Fortbildungszwecken gemacht. In den Studiengängen der Biologie, Human- und Veterinärmedizin werden noch immer Studierende unter Einsatz von Tieren ausgebildet. Wissenschaftler, Laboranten und Tierpfleger, die tierexperimentell arbeiten, erlernen in Fortbildungsveranstaltungen Techniken und Fertigkeiten an lebenden Tieren. Auch für den Katastrophenschutz werden Tiere zu Ausbildungszwecken eingesetzt.

Es ist eine Schande, dass es noch immer zu wenig tierversuchsfreie Verfahren gibt. Schuld daran sind nicht etwa die mangelhaften Leistungen der tierversuchsfreien Methoden, sondern die mangelhafte Forschung. Tatsache ist, dass sich viel zu wenige Wissenschaftler um diese Aufgabe kümmern und viel zu wenig Forschungsgelder zur Verfügung stehen. Das muss sich schnellstens ändern.


UNSERE STRATEGIE FÜR DAS ENDE DER TIERVERSUCHE


Tierversuche sind aus wissenschaftlicher Sicht höchst fragwürdig, aus ethischer Sicht verwerflich. Deshalb muss die Abschaffung der Tierversuche möglichst schnell erfolgen. Unser Bundesverband verfolgt hierbei folgende Strategie:

1. Die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden muss angemessen gefördert werden!

Wie kann das gelingen? Als erstes müssen die Forschungsgelder für die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren drastisch angehoben werden. Dadurch können mehr Wissenschaftler auf diesem Gebiet forschen. Zweitens sind Lehrstühle und Professuren an Universitäten und Forschungseinrichtungen zur Förderung von Lehre und Forschung einzurichten. Drittens müssen Vorlesungen und Praktika zu tierversuchsfreien Methoden als Lehrangebote in den einschlägigen Studiengängen zur Verfügung stehen, damit die Studierenden so früh wie möglich mit den neuen Techniken in Kontakt kommen. Viertens müssen ausreichend Diplomarbeiten, Dissertationen und Habilitationsarbeiten zum Thema 'tierversuchsfrei' angeboten werden. Fünftens muss die gesellschaftliche Anerkennung der Wissenschaftler durch Preisverleihungen gefördert werden.

2. Tierversuche müssen gleichzeitig drastisch reduziert werden

Welche Maßnahmen sind hierzu notwendig? Als erstes muss jeglicher Tierverbrauch in den oben genannten Studiengängen beendet werden. Zweitens müssen die Behörden bei der Beurteilung der Tierversuchsanträge maximale Unterstützung bei der Feststellung erhalten, ob die gesetzlichen Voraussetzungen zur Durchführung des Versuchs erfüllt sind.


Unser Bundesverband will mit seinem Wissen und Können den gesellschaftspolitischen Diskurs vorantreiben, damit das Ende der Tierversuche so schnell wie möglich erreicht wird.

  • Deshalb haben wir vor fünf Jahren das Wissensportal www.invitrojobs.com für tierversuchsfreie Methoden eingerichtet, um über die Leistungen der Wissenschaftler und Forscher, die tierversuchsfreie Methoden entwickeln, zu berichten und Vernetzungen zu erleichtern.
  • Deshalb informieren wir auf www.satis-tierrechte.de rund um das Thema tierverbrauchsfreies Studium.
  • Deshalb fordern wir anlässlich von Bundestags-, Landtags- und EU-Wahlen von den Parteien Konzepte zum Ausstieg aus dem Tierversuch ein.
  • Deshalb sind wir Mitglied bei der Europäischen Koalition zur Beendigung von Tierversuchen (ECEAE), denn Brüssel legt zunehmend das Tierschutzniveau in den Mitgliedsstaaten fest.
  • Deshalb arbeiten wir in Tierversuchskommissionen mit, um die gesetzlichen Voraussetzungen des beantragten Tierversuchs unter die Lupe zu nehmen.
  • Deshalb kämpfen wir für die Einführung der Tierschutz-Verbandsklage in weiteren Bundesländern und auf Bundesebene, damit das Klagerecht des Experimentators ein Gegengewicht bekommt.
  • Deshalb fordern wir ein von Bund und Ländern getragenes Kompetenzzentrum. Es soll die Genehmigungsbehörden stärken und sicherstellen, dass bei der Prüfung von Tierversuchsanträgen geltendes Recht und aktuelle Wissensstände in vollem Umfang und nach einheitlichen Kriterien angewendet werden. Durch das Bereitstellen der jüngsten Forschungsentwicklungen und kompetenter Ansprechpartner trägt das Kompetenzzentrum somit auch unmittelbar zur Reduktion der Tierversuche und insbesondere der Verbreitung tierversuchsfreier Methoden bei. Das Kompetenzzentrum widerspricht nicht der Grundposition unseres Bundesverbandes, der das Ende aller Tierversuche vehement verfolgt. Es ist ein Mittel auf dem Weg zum Ziel.

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Quelle:
tierrechte 1.14 - Nr. 66/März 2014, S. 7-9
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2014