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TIERVERSUCH/689: Keine Reflexmaschine - Der Fisch (tierrechte)


tierrechte 2.16 - Nr. 75, Mai 2016
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Keine Reflexmaschine: Der Fisch


Der Fisch ist für die Forschung ein dankbares "Versuchstier" - nicht umsonst rangiert er in der Tierversuchsstatistik an dritter Stelle. Er lässt sich schnell vermehren und eignet sich gut für gentechnische Manipulationen und Giftigkeitstests. Doch der Fisch ist keine Reflexmaschine. Als empfindsames Wirbeltier leidet er unter Schmerzen, Stress und Angst. Mit dem Versuchstier des Jahres macht der Bundesverband - gemeinsam mit der Schriftstellerin und diesjährigen Schirmherrin Hilal Sezgin - Druck für die Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren.


Seit 2012 nehmen die Zahlen der in Tierversuchen eingesetzten Fische rapide zu. In deutschen Tierversuchslaboren standen 2014 die Fische an dritter Stelle nach Mäusen und Ratten. Die letzte Steigerung erfolgte in 2014 auf insgesamt 272.925 Fische. Das entspricht fast zehn Prozent (9,8) aller Tierversuche. Auch im langjährigen Verlauf nehmen die Zahlen zu - und dies, obwohl es mittlerweile im Bereich der Umwelttoxikologie ein anerkanntes Verfahren ohne ausgewachsene Fische gibt. Hintergrund für die Zunahme der Zahlen ist der rapide Anstieg von gentechnisch veränderten Fischen: Im Jahr 2013 waren dies 19,3 Prozent der Fische. Damit rangieren die Fische bei den gentechnischen Veränderungen an zweiter Stelle nach den Mäusen.


Wird am häufigsten verwendet: der Zebrabärbling

Die in Tierversuchen verwendeten Fischarten sind vor allem der Zebrabärbling, aber auch Reiskärpflinge, Forellen, Goldfische, Dorsche, Flussbarsche, Aale, Sprotten und Prachtgrundkärpflinge. Die Fische leiden hauptsächlich in der Grundlagenforschung, in der sich die Forscher mit humanmedizinischen Fragestellungen beschäftigen. Die Forscher dabei vor allem den Zebrabärbling, um Verfahren zur Manipulation des Genoms zu erforschen. Bei den anderen Fischarten, wie Dorsch, Buntbarsch, Flussbarsch, Karpfen und Forelle, spielen sowohl die Grundlagenforschung (knapp 50 Prozent), als auch Untersuchungen zur Umwelttoxikologie (20 Prozent), Fragen zur Erhaltung (21 Prozent), zu Zucht, Haltung sowie zur Wiederansiedlung oder Wanderung eine Rolle. Die Forschungen zu Zucht- und Haltungsbedingungen dienen vor allem dem Zweck, Fisch als Nahrungsmittel für den Menschen zu sichern. Dies ist wiederum mit großem Tierleid in den Aquakulturen verbunden.


Zahl der gentechnischen Manipulationen steigt

Die Zahl der Tierversuche steigt im Bereich Gentechnik seit Jahren kontinuierlich an. Und dies, obwohl sich Deutschland und die EU das Ziel gesetzt haben, weniger, statt mehr Tiere in Versuchen einzusetzen. Die steigenden Tierversuchszahlen werden häufig durch kommerzielle Interessen verursacht. Maßgeschneiderte "Tierversuchsmodelle" sind oft durch Patente geschützt, wie z. B. Thrombosemodelle auf Basis gentechnischer Veränderungen des Zebrabärblings. In diesen Fällen sind nicht nur die fertigen "Modelle" mit einem Patent belegt, sondern auch die Techniken zur Herstellung der "Modelle". Die neuen Methoden der synthetischen Gentechnik führen zudem dazu, dass immer mehr "Versuchstiere" in immer kürzerer Zeit gentechnisch manipuliert werden können.


Fische leiden unter Schmerzen, Stress und Angst

Es zeigt sich immer wieder, dass der vermeintlich stumme Fisch unterschätzt wird. Fische sind lernfähig, sie jagen koordiniert im Team, spielen, benutzen Werkzeuge und können sogar Mengen unterscheiden. Sie erleiden aber auch Schmerzen und Stress. Bereits in den 80er Jahren wurde belegt, dass Fische leidensfähig sind. Dies wurde in den 90er Jahren auch gerichtlich bestätigt (OLG Celle, AZ 23 Ss 50/97). Sowohl die EU-Kommission als auch die EFSA attestierten 2009, dass die Reaktionen bestimmter Fischarten in bestimmten Situationen darauf hindeuten, dass sie Angst empfinden können. Ein Gutachten zum Schmerzempfinden bei Fischen für die "Eidgenössische Ethikkommission für Biotechnologie im Ausserhumanbereich" kommt zu dem Ergebnis, dass sich Fische nicht so sehr von Säugetieren unterscheiden. Auch wenn sie es nicht deutlich zeigen können: Fische leiden unter Schmerzen und Stress.


Beispiel: Diabetes-Versuche mit Zebrafischen

Dem kleinen Zebrafisch wird seine ungewöhnliche Fähigkeit zur Regeneration zum Verhängnis: Da er in der Lage ist, seine Rückenflosse nach Verletzungen neu zu bilden, wird er in Versuchen zur Zuckerkrankheit eingesetzt. Nachdem bei ihm mithilfe einer giftigen Lösung künstlich ein Diabetes erzeugt wurde, wird ihm die Rückenflosse amputiert. Danach soll untersucht werden, ob der künstlich erzeugte Diabetes die Fähigkeit zur Regeneration beeinträchtigt. Am Ende der Versuche werden die Tiere getötet. In ähnlichen Versuchen werden gentechnisch veränderte Zebrabärblinge am Herzen verletzt und Hitzeschocks ausgesetzt. Sehr beliebt sind Beobachtungen an fluoreszierenden Fischen. Die Fische werden dazu gentechnisch so verändert, dass sie in der Lage sind, ein Fluoreszenzprotein zu produzieren, das mit einem speziellen Lichtmikroskop erkennbar wird. Die Forscher können dadurch beispielsweise die Entwicklung von Krankheiten und Fehlbildungen am lebenden Organismus beobachten.


Fische sterben in akuten Giftigkeitstests

Auch bei gesetzlich vorgeschriebenen Giftigkeitsprüfungen werden Fische eingesetzt. Dies betrifft die sogenannten akuten Giftigkeitstests genauso wie Langzeit-Giftigkeitstests. Um beispielsweise das toxische Potential von chemischen Ausgangsstoffen, Fertig- und Zwischenprodukten, Pestiziden, Bioziden, Nahrungsmittelzusatzstoffen oder Duftstoffen in Gewässern zu untersuchen, wird z. B. der akute Giftigkeitstest durchgeführt. Vor dem Versuch erfolgt eine sogenannte Dosisfindungsstudie, um die Test- Konzentrationen auswählen zu können. Dazu wird dem Wasser solange eine Prüfsubstanz zugesetzt, bis die Hälfte der Fische stirbt. Auch die überlebenden Tiere werden nach dem Versuch getötet. Im Bereich der Langzeit-Giftigkeitstests werden Reiskärpflinge im sogenannten "Extended One Generation Reproduction Test" über mehrere Generationen einer Substanz ausgesetzt und die Effekte untersucht. Alle Tiere werden nach dem Versuch getötet und untersucht. Ein weiteres Beispiel ist der "Juvenile Growth Test", bei dem Regenbogenforellen über 28 Tage einer potenziell giftigen Substanz ausgesetzt werden.


Leidensreduzierung: Fischembryos statt ausgewachsene Fische

Es gibt mittlerweile mehrere Verfahren, die ohne ausgewachsene Fische auskommen: Dies sind der Fischembryo-Toxizitätstest (FET), der kurzfristige Giftigkeitstest an Embryo, Dottersackstadien von Fischen, der "Early Life Stage-Test" mit Fischlarven und der sogenannte "Fischeitest", bei dem statt ausgewachsenen Fischen die frisch befruchteten Eier des Zebrabärblings in der Abwasseruntersuchung eingesetzt werden. Diese Ersatzmethoden zum ausgewachsenen Fisch gelten als aussagekräftig und werden in der Fachwelt begrüßt. Doch sie bergen ein moralisches Dilemma: Unter tierethischen Gesichtspunkten ist diese Methode nicht wirklich tierversuchsfrei, weil hier noch immer lebende Tiere eingesetzt werden. Dennoch tragen sie zur Leidensreduzierung bei, da angenommen wird, dass die frühen Entwicklungsstadien keine oder weniger Schmerzen erleiden als ausgewachsene Fische.


Lichtblicke: Giftigkeitsprüfungen an Zelllinien

Verschiedene Wissenschaftlerteams haben in den letzten Jahrzehnten versucht, den akuten Fischtest durch Fischzelllinien zu ersetzen. Die neuen Verfahren arbeiten beispielsweise auf Basis von Kiemenzellen, Darmzellen, Leberzellen, Keimdrüsen- oder Bindegewebe. Grundsätzlich empfehlen die Forscher Kombinationen aus verschiedenen Tests. Dies fordert auch die europäische Validierungsbehörde (ECVAM), die für die Anerkennung neuer Verfahren als Ersatzverfahren zum Tierversuch zuständig ist. Sie hat in ihrem Statusbericht für 2015 drei tierversuchsfreie Verfahren zu Giftigkeitstests an Fischen beurteilt und einen Strategieplan vorgelegt, wie die Tierversuche minimiert oder vermieden werden können.


Ferne Zukunftsvision: Fish-on-a-Chip

Ein Lösungsansatz könnte analog zum Human-on-a-chip der Fish-on-a-Chip sein. Doch eine Kombination einzelner Fischorgane in Miniaturform auf einem Chip gibt es noch nicht. Schweizer Wissenschaftler haben zwar einen Anfang gemacht: Mit einem Organ-on-a-Chip mit Fischdarmzellen. Auch chinesische Wissenschaftler stellten einen Fish-on-a-Chip für Giftigkeitstests und Untersuchungen von fruchtschädigenden Effekten vor. Der grundsätzliche Ersatz von Tierversuchen durch Chips liegt im Bereich der aquatischen Toxikologie jedoch noch in weiter Ferne.


Humane Krankheitsmodelle statt genmanipulierte Fische

Anstelle von Tiermodellen können heute auch humane Krankheitsmodelle in der Petrischale erzeugt werden. Das wichtigste Ziel von in-vitro-Krankheitsmodellen ist es, ein tieferes Verständnis in die Krankheitsursachen zu gewinnen, um neue oder verbesserte Therapien zu entwickeln. Es gibt mittlerweile unzählige menschliche Krankheitsmodelle in der Petrischale. Diese decken die wichtigen Organe ab sowie die Untersuchung der Blutbildung, des Hormonhaushaltes, des Skeletts, der Haut und des Nervensystems. Hinzu kommen Modelle für Infektions- und Krebserkrankungen.


Nötig: Investitionen und Kombinationsverfahren

Beim Fisch wird der kontinuierliche Anstieg der Tierverbrauchszahlen im Bereich der gentechnischen Veränderung besonders deutlich. Dies zeigt - nicht nur für den Fisch - die Dringlichkeit eines Verbotes von Patenten auf Tiere sowie den Schutz der genetischen Integrität von Lebewesen. Neben dem Fischembryotest und Zelllinientests bieten besonders menschliche Krankheitsmodelle ein großes tierversuchsfreies Potenzial, denn diese Modelle arbeiten ausschließlich auf Basis menschlicher Zellen. Das größte Potenzial zur Ablösung der qualvollen Fischtests liegt jedoch in der Kombination verschiedener Methoden. Insofern ist die Strategie der EU-Zulassungsbehörde ECVAM zielführend, die auf eine Verknüpfung unterschiedlicher Verfahren setzt. Um die Entwicklung neuer tierversuchsfreier Methoden zu beschleunigen, muss jedoch noch erhebliche Forschungsarbeit geleistet werden. Dafür setzt sich der Bundesverband mithilfe seines umfangreichen Maßnahmenkataloges weiter aktiv ein.

Ausführliche Informationen zum Versuchstier des Jahres unter:
www.versuchstier-des-jahres.info

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Hilal Sezgin - Schirmherrin Versuchstier des Jahres 2016

Für die Autorin und diesjährige Schirmherrin Hilal Sezgin existieren Fische meist im toten Winkel des öffentlichen ethischen Bewusstseins: "Sie atmen und kommunizieren anders als wir und darum meinen wir, wir dürften alles mit ihnen machen - in den Labors, in der Aquakultur und in der Freizeit. Angeln gilt wahlweise als "Sport" oder als "fast schon meditativ". Es gibt sogar "Vegetarier", die Fische essen... Aber das Entscheidende ist doch nicht, ob Fische anders sind als wir an Land Lebenden, sondern dass sie überhaupt atmen und kommunizieren, dass sie Empfindungen haben und leben wollen! Genau wie wir haben sie nur ein einziges Leben, und das in Frieden und Freiheit zu leben, dürfen wir ihnen nicht verwehren."

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Quelle:
tierrechte 2.16 - Nr. 75/Mai 2016, S. 8-10
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2016

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