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TIERVERSUCH/766: Das Frettchen im Labor (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Das Frettchen im Labor

von Carolin Spicher


Im Vergleich zum ewigen Spitzenreiter unter den Versuchstieren, der Maus, müssen in Deutschland nicht so viele Frettchen für wissenschaftliche Zwecke leiden. Jedes Jahr sind es dennoch etwa 100 bis 200 Tiere. Doch die Zahlen steigen. Denn der kleine Räuber wird zunehmend statt Hunden, Katzen und Affen eingesetzt.


Die meisten Frettchen werden momentan in der angewandten beziehungsweise translationalen Forschung eingesetzt. In den letzten Jahren wurden knapp zwei Drittel aller Versuche an Frettchen zur Untersuchung menschlicher Infektionskrankheiten durchgeführt. Gut ein Fünftel der Tiere kam in der Grundlagenforschung über das menschliche Nervensystem zum Einsatz. Wir können nicht bestimmt vorhersagen, wie sich die Zahl an Frettchen-Versuchen in den nächsten Jahren entwickeln wird, aber ein Anstieg ist wahrscheinlich. Denn: Auch wenn in Deutschland derzeit keine Versuche an Frettchen zu regulatorischen Zwecken, wie der Giftigkeitsprüfung von Stoffen, durchgeführt werden, sieht die Prognose für die Tiere nicht gut aus.

Lebensbedingungen im Labor

Als adäquater Lebensraum wird zu wissenschaftlichen Zwecken verwendeten Frettchen je nach Körpergewicht eine Mindestfläche pro Tier zwischen 1500 cm² bis 6000 cm² zugestanden, wobei die Mindestgröße der gesamten Unterbringung für mehrere Tiere eine Fläche von 4500 cm² nicht unterschreiten darf. Das ist etwas weniger als ein halber Quadratmeter. Frettchen sind auch eifrige und gute Kletterer. Allerdings ist bei einer vorgeschriebenen Mindesthöhe von nur 50 cm der Behausung äußerst fraglich, ob die Tiere ihrem starken Bewegungsdrang nachkommen können. Eine Ausgestaltung des Haltungsbereichs mit Nestboxen, Rückzugsmöglichkeiten, Behältern aus Karton oder Wasserbädern wird lediglich empfohlen, damit den aktiven Tieren nicht so schnell langweilig wird.

Purer Stress in Einzelhaft

Im Gegensatz zu den wilden Verwandten sind domestizierte Frettchen sehr gesellige Tiere und sollten deshalb in sozial harmonischen Gruppen gehalten werden. Darum kann eine Trennung einzelner Tiere von der Gruppe für schon 24 Stunden erheblichen Stress bedeuten. Ein Frettchen in solcher "Einzelhaft" soll dann lediglich zusätzlichen Kontakt zu Pflegern bekommen sowie die freie Sicht auf andere Frettchen in der Laborhaltung. Ein schwacher Trost.

Sind Frettchen bald die neuen Affen?

Die Zahlen der in Tierversuchen eingesetzten Frettchen könnten bald steigen. Der Grund: Derzeit wird das Frettchen weltweit als alternatives Testsystem zu Hunden und nichtmenschlichen Primaten gehandelt. Die vielen anatomischen, metabolischen und physiologischen Ähnlichkeiten mit dem Menschen werden ihm dabei zum Verhängnis. Aktuell hat das Frettchen schon die Katze in immer mehr Studien zum menschlichen Nervensystem und dessen Entwicklung ersetzt. Es wurde sogar schon ein Frettchen mittels somatischen Zellkerntransfers (Klonschaf Dolly-Methode) geklont und vor wenigen Jahren das erste genetisch modifizierte Frettchen als "Modell" für Zystische Fibrose, einer vererbbaren Stoffwechselstörung, vorgestellt. Mit der Entschlüsselung des kompletten Frettchen-Genoms 2014 ist nun zu befürchten, dass der derzeitige Gentechnik-Boom auch an den Frettchen nicht vorbeigehen wird und eine verstärkte Forschung für die Entwicklung neuer, genetisch modifizierter Krankheitsmodelle folgt.

Das Frettchen in der Grundlagenforschung

Frettchen und Menschen haben eine ähnliche Lungenphysiologie und gleichen sich auch im Befall des Respirationstrakts nach einer Ansteckung mit Grippeviren. Schon lange sind sie DAS präferierte Tiermodell für die Erforschung der Infektionen mit der menschlichen Grippe sowie der Vogelgrippe. Es wird zum einen der Krankheitsverlauf nach einer Infektion, aber auch die mögliche Übertragung dieser Viren an ihnen untersucht. Das macht sie auch zu einem beliebten Modell, um die Wirksamkeit von Impfstoffen zu ermitteln. Dabei leiden die Frettchen unter den gleichen Symptomen, wie sie erfahrungsgemäß auch bei einer menschlichen Infektion zu erwarten sind. Dazu gehört erhöhte Temperatur, Schleimauswurf aus der Nase und Niesen sowie Gewichtsabnahme und Lethargie. Nach der Leidensphase werden die Tiere getötet und ihre Körper untersucht.

Weltweit tauchen laufend neue Grippe-Stämme auf, über die man noch nichts weiß und gegen die auch noch keine Impfstoffe vorhanden sind. Auch hier werden Frettchen als Stellvertreter herangezogen, um die Pathogenität, also die krankmachende Wirkung der unbekannten Virenstämme zu erfassen. Einfach ausgedrückt wird am Frettchen getestet, was die Viren für Schäden anrichten, bevor sie es im Menschen tun.

Neurowissenschaften: Experimentelle Manipulationen

Frettchen sind auch ein weit verbreitetes "Modell" für Studien der Neurogenese, also der Entwicklung des Nervensystems inklusive des Gehirns. Bei der Geburt ist das Gehirn der Jungtiere noch nicht so weit entwickelt, wie es bei Primaten der Fall ist. Ein Großteil der Entwicklung findet also erst nach der Geburt statt. Dies ermöglicht Forschern experimentelle Manipulationen, die in Primaten noch während der Schwangerschaft in der Gebärmutter vorgenommen werden müssten. Des Weiteren ist die Hirnrinde ausgewachsener Frettchen in Furchen und Windungen gefaltet. Mäusen und Ratten fehlen solche Windungen und Furchen, die Hirnoberfläche ist eher glatt. An Frettchen wird deshalb zum Beispiel zur Signalübermittlung und Kommunikation verschiedener Hirnregionen bei unterschiedlichen Gehirnzuständen geforscht. Dabei werden den Tieren Elektroden zur Ableitung elektrischer Signale auf das Gehirn implantiert und die Aktivitäten verschiedener Hirnbereiche gemessen. Danach müssen Frettchen mit ihren Sensoren im Kopf alleine gehalten werden und das über mehrere Tage aushalten, bevor sie getötet werden.

Krank geboren: Das Frettchen in der angewandten Forschung

Die Zystische Fibrose, auch Mukoviszidose genannt, ist eine vererbbare Stoffwechselerkrankung. Die Grundlage der Krankheit ist eine genetische Veränderung. Diese bewirkt, dass Sekrete vieler Körperdrüsen in Betroffenen zähflüssiger sind als normal. Besonders schwer trifft es meist die Lunge, wobei sich der in den Bronchien gebildete Schleim nur schwer abhusten lässt und damit einen idealen Nährboden für Bakterien schafft. Auch die Bauchspeicheldrüse ist oft mitgeschädigt. Zur Erforschung der Zystischen Fibrose wurde 2010 das erste genetisch veränderte Frettchen als Krankheitsmodell etabliert. Diese Frettchen werden schon krank geboren und zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Lebensspanne getötet, um die Veränderungen an den Organen zu analysieren. Doch es gibt auch Lichtblicke: Gerade in der Infektionsbiologie gibt es immer mehr tierversuchsfreie Verfahren.


Grundlagenforschung

Ziel der Grundlagenforschung ist der Erkenntnisgewinn zu bestimmten Systemen oder Krankheiten. Dabei ist nicht relevant, ob diese Erkenntnisse einen unmittelbaren Praxisbezug haben.


Angewandte oder translationale Forschung

Forschungsvorhaben aus der angewandten oder translationalen Forschung hingegen verfolgen einen spezifischen, praxisorientierten Zweck. Hier werden beispielsweise Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung verwendet, um konkrete medizinische Problemstellungen zu lösen.


Tiermodell

In der biomedizinischen Forschung wird der Begriff "Tiermodell" für Tierarten oder Zuchtlinien verwendet, die Symptome einer bestimmten menschlichen Erkrankung entwickeln können. An diesen Tieren werden dann, stellvertretend für den Menschen, Symptome und Verläufe dieser Krankheitsbilder untersucht. Ergebnisse aus Versuchen mit solchen Tiermodellen sind jedoch nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar.

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 1/2018, S. 11-12
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2018

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