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ATOM/855: Regierung übte erheblichen Druck auf Gorleben-Entscheidung 1983 aus (BI Lüchow-Dannenberg)


Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. - Pressemitteilung vom 9. Juli 2010

Die Bundesregierung übte erheblichen Druck auf die Gorleben-Entscheidung 1983 aus - PUA Gorleben lud wichtige Zeitzeugen


Wurden Forschungsergebnisse zum Salzstock Gorleben auf Betreiben des "politischen Bonn" bei der Auswertung des Tiefbohrprogramms geschönt? Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) Gorleben hatte zu seiner Sitzung am 8. Juli u.a. den Kieler Quartärgeologen Prof. Dr. Klaus Duphorn als Zeugen geladen. Der stellte klar, die Bundesregierung übte schon vor der Regierungswechsel am 1.10.82, also noch unter Helmut Schmidt (SPD) Druck auf die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) aus: Duphorn war als führender Quartärgeologe als externer Sachverständige von der PTB mit der Auswertung der Untersuchungsergebnisse betraut worden, sei Deputat endete vorzeitig mit Ablauf des Jahres 1981, er habe sich aber nicht mundtot machen lassen und auf eigene Faust und aus eigener Tasche an den Gorleben-Befunden weitergearbeitet. Duphorn wurde - so seine Worte - "geschasst", weil seine Interpretation der Tiefbohrergebnisse auf die Aussage hinausliefen, es sei besser, neben Gorleben auch andere Standortorte als nukleares Endlager zu untersuchen.

So stand es ursprünglich auch in dem sogenannten "Zwischenbericht" der PTB im Jahr 1983, auf Intervention des Kanzleramts, des Innenministeriums und des Forschungsministeriums musste die PTB diese Forderung aber fallen lassen. 180 hydrogeologische Bohrungen, 25 Salzspiegelbohrungen, aber lediglich 5 Tiefbohrungen wurden niedergebracht. Duphorn:"Je länger wir erkundeten, desto schlechter die Ergebnisse". Forschungsminister Andreas von Bülow (SPD) habe nach einem Fachgespräch mit ihm erstaunt geäußert: "Warum hat mir das keiner gesagt?"Duphorn räumte ein, dass er - da kompromissbereit - im wissenschaftlichen Disput damals auch dafür eintrat, Gorleben neben anderen Standorten weiter zu untersuchen, eine Aussage, von der er vor dem PUA entschieden abrückte, denn die Gas- und Laugenvorkommen, die später in Gorleben gefunden wurden, seien eine "Zeitbombe".

Maßgeblichen Anteil in der Vorbereitung der Kabinettsentscheidung im Juli 1983 hatte Dr. August Hanning, der im Kanzleramt unter Helmut Kohl die Federführung inne hatte: das war der Startschuss für die sogenannte untertägige Erkundung, das Abteufen von Schächten und den Bau eines Bergwerks im März 1986. Er bestritt vehement, sich an die legendäre Fachsitzung von PTB, DBE (Deutscher Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern) und der BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) am 11.5.83, zu der die "Bonner" unangemeldet hinzukamen, erinnern zu können. Die Bonner Regierungsvertreter sorgten per Weisung -"die bedarf keiner Papierform" (Hanning)- für eine Streichung der konsequenten Forderung nach der Erkundung alternativer Standortorte wegen der Negativbefunde. Trotz seines Gedächtnisverlustes erinnerte Hanning dann doch, dass die "Techniker", also die Wissenschaftler und Bauingenieure damals für einen Standortvergleich eintraten, die "politischen Praktiker", also die Regierungsvertreter, "genau dieses fürchteten".

Für die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) war der Sitzungstag von einer "bedrückenden aktuellen Brisanz": Seit 1983 bis heute wurde unendlich viel Zeit verloren, von Gorleben abzurücken, die Negativbefunde und die Warnungen von Fachleuten und Fachbehörden wurden und werden in den Wind geschlagen. BI-Sprecher Wolfgang Ehmke: "Bis heute haben die "politischen Praktiker" gleich welcher Couleur verhindert, dass Gorleben nicht aufgegeben wurde, allein weil sie die politische Unruhe im Lande bei der Benennung möglicher alternativer Standorte befürchten. Wer wie die niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete Karin Bertholdes-Sandrock auf diesem Hintergrund sich über die Aufkündigung des Moratoriums und Arbeitsplätze freut, hat die Gorleben-Geschichte verpennt."


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Quelle:
Pressemitteilung, 09.07.2010
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20, 29439 Lüchow
Tel. 05841/46 84, Fax: 05841/31 97
E-Mail: buero@bi-luechow-dannenberg.de
Internet: www.bi-luechow-dannenberg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2010