Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ABFALL

ATOM/896: Gorleben war politisch motiviert - Atommüll-Endlagerung nicht geklärt (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 158 - Oktober/November 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Gorleben war politisch motiviert

Atommüll-Endlagerung nicht geklärt - Proteste gegen Castortransport im November

Von Alwine Maeting


Seit mehr als 50 Jahren gibt es Atomkraftwerke. Die Endlagerung des strahlenden Mülls ist aber immer noch nicht geklärt. Und obwohl das Deutsche Atomforum davon spricht, dass die "Endlagerung technisch gelöst" ist, steht noch nicht einmal fest, ob der Atommüll rückholbar oder nicht rückholbar, in Behältern oder ohne Behälter gelagert werden soll. Noch umstrittener als die Frage wie der Müll gelagert werden soll, ist allerdings die Frage wo er deponiert werden soll. Lieblingsstandort der Energiekonzerne ist Gorleben im niedersächsischen Wendland.

Dabei sprechen sich Umweltschützer immer wieder gegen den Standort Gorleben aus. Der Salzstock sei ungeeignet für eine Endlagerung und politisch motiviert, erklärte Greenpeace im Frühjahr. Die Umweltschutzorganisation hatte Akteneinsicht bei zwölf Ministerien und Behörden beantragt und musste sich daraufhin durch hunderte Aktenbände arbeiten - mit Erfolg. Einige sehr brisante Funde zeigen ganz klar, dass Gorleben nicht als Endlagerstandort für Atommüll geeignet ist.

Mit der Standortsuche beauftragte interministerielle Arbeitsgruppe (IMAK) erklärte in einem Papier vom Dezember 1976, dass Gorlebens Geologie lediglich zu 12,8 Prozent für ein Atommüllendlager geeignet ist. In einem anderen Papier des TÜV Hannover wird ein Standort in Schleswig-Holstein favorisiert. In einer Tabelle werden acht verschiedene Standorte anhand verschiedener Kriterien verglichen. Gorleben taucht in dem originalen Dokument überhaupt nicht auf. Allerdings gibt es noch eine Kopie des Dokuments, mit einer Ergänzung. An das Ende der Tabelle wurde handschriftlich Gorleben dazugeschrieben. Unklar bleibt, wer den Standort ergänzt hat.

Warum Gorleben plötzlich als Endlager herhalten sollte, erklärte Prof. Gerd Lüttig in einem Interview von 1997. Darin erhebt er schwere Vorwürfe gegen den damaligen niedersächsischen Ministerpräsident Albrecht (CDU), der von 1976 bis 1990 regierte. Dieser soll auf politischen Druck hin Gorleben ausgewählt haben. Er wollte einen Salzstock, der möglichst dicht an der Grenze zur DDR lag, geologische Faktoren würden keine Rolle spielen. Damit war Gorleben die Antwort der Bundesregierung auf Morsleben. Denn das damalige DDR-Atommüll-Endlager wurde direkt an der Grenze zur BRD gebaut. Wäre damals Radioaktivität freigesetzt worden, wären große Teile der alten BRD verstrahlt worden. Niedersachsen ragte damals mit einem Zipfel in die DDR hinein, wodurch Gorleben von drei Seiten aus von der DDR umschlossen war. So wurde Gorleben 1977, nur drei Monate nach seiner ersten Nennung, zum favorisierten Standort für ein Atommüll- Endlager.


Untergeordnete Rolle geologischer Aspekte

Schon im Jahr 1976 stand fest, dass Gorleben nach geologischen Gesichtspunkten nicht als Endlager geeignet ist. Damit ein Salzstock als Endlager in Frage kommt, ist eine durchgehende Deckschicht aus Ton unablässig. Diese ist wasserundurchlässig und würde verhindern, dass Wasser in den Salzstock eindringt. Gorleben besitzt zwar eine Deckschicht aus Ton, diese ist jedoch nicht durchgehend, sodass an einzelnen Stellen Wasser eindringen kann. Außerdem gibt es im Gorlebener Salzstock Laugeneinschlüsse. Ein einzelnes Nest beinhaltet laut Greenpeace zwischen 100.000 und 1 Million Kubikmeter Lauge. Kommt die aggressive Lauge mit Atommüllfässern in Kontakt, können diese beschädigt beschädigt werden und Radioaktivität würde in die Umwelt gelangen.

Ein neuer Dokumenten-Fund sorgte Mitte September für Aufregung. Demnach lagert unter dem Salzstock explosives Erdgas. Sollte dieses durch Spalten im Salzgestein in das geplante Endlager strömen, würde schon ein Funken genügen, um das Gas zu entzünden. Eine Explosion würde den Salzstock zum Einsturz bringen.

Ebenfalls in die Kritik geraten ist der Erkundungsbereich. Im Jahr 1983 sollte der Salzstock großflächig auf seine Eignung untersucht werden. Mittlerweile ist der Erkundungsbereich auf einen Bruchteil der ursprünglichen Fläche verkleinert worden, allerdings nicht nach geologischen Aspekten, sondern nach Besitzverhältnissen. So besitzen die evangelische Kirche und die Familie Graf von Bernstorff große Flächen über dem Salzstock. Bereits 1980 wollte die Atomindustrie der Familie das Grundstück für 26 Millionen D-Mark abkaufen. Die Grafenfamilie lehnte ab und behindert so bis heute die großflächige Erkundung von Gorleben. Allerdings könnte dieses große Opfer bald umsonst gewesen sein, denn die schwarz-gelbe Bundesregierung möchte Enteignungen zu Gunsten eines Atommüll-Endlagers wieder legalisieren. Die rot-grüne Regierung hatte diese Möglichkeit 2002 abgeschafft.

Die Betroffenen haben angekündigt, die Enteignungen nicht hinzunehmen. Sie werden gegen mögliche Schritte der Bundesregierung klagen.


Ohne Endlager keine Atomkraftwerke

Das sture Festhalten an Gorleben hat verschiedene Gründe. Die Energiekonzerne haben bereits 1,5 Milliarden Euro in Gorleben versenkt. Die Erkundung anderer möglicher Endlager würde die Atomkonzerne weitere Milliarden kosten. Außerdem müssten nach dem Gesetz alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, wenn es kein Endlager gibt. Solange Gorleben als Endlager nicht ausgeschlossen ist, dürfen die Anlagen weiter laufen. Das war einer der Hauptgründe, weshalb 1976 überhaupt nach einem Endlager gesucht wurde. Und durch die von der Bundesregierung geplante Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ist ein Endlager dringender als je zuvor.


Protestaktionen gegen Castortransport

Gegen diese Politik kündigen Umweltschutzorganisationen und Parteien einen "Heißen Herbst" an. Die Demo unter dem Motto "Atomkraft-Schluss jetzt!" am 18. September in Berlin mit 100.000 Menschen war erst der Auftakt.

Der Höhepunkt der Anti-Atom-Demonstrationen wird am ersten November Wochenende erwartet. Zu diesem Zeitpunkt wird ein Castortransport mit Atommüll aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Zwischenlager Gorleben rollen. Am 6. November wird es eine bundesweite Kundgebung in Dannenberg geben. Anschließend werden tausende Menschen mit einer gewaltfreien Sitzblockade den Castor-Transport nach Gorleben blockieren. Organisiert wird die Sitzblockade von X-tausendmal quer. Das Bündnis ließ verlauten: "Unser Protest gegen die strahlende Fracht wird zum Gradmesser für die öffentlich Ablehnung der Atomkraft."

Außerdem haben rund 40 Organisationen und zahlreiche Einzelpersonen zum "Castor? Schottern!" aufgerufen. Wenn diese Aktion an der Bahnstrecke von hunderten und tausenden Menschen durchgeführt wird, könnte der Castortransport tatsächlich erheblich behindert werden.

Es wird also überall entlang der Castorstrecke dezentrale Aktionen und Demonstrationen geben. Umweltverbände organisieren bereits bundesweit Busse zur Kundgebung in Dannenberg, und auch einen Sonderzug wird es geben. Welche Aktionen der Anti-Atombewegung wann wo stattfinden, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.

www.castor2010.de
www.ausgestrahlt.de
www.contratom.de
www.x-tausendmalquer.de


*


Rote Karte für Atomkraft!
Castor stopp,
Atomausstieg sofort!
Großkundgebung
Samstag, 6.11.2010
13 Uhr, Dannenberg
Ein breites Bündnis aus
Umweltorganisationen und
Bürgerinitiativen, Parteien,
Gewerkschaften, Kirchen
sowie der Branche der
Erneuerbaren Energie ruft
dazu auf, mit Kind und Kegel
nach Dannenberg ins
Wendland zu kommen!
Die GRÜNE LIGA unterstützt
diese Aktion und ruft zur
Teilnahme auf!


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Vorbereitungen für den Castor-Protest im November (Foto: Jakob Frey-Schaaber) - Grafik: www.castor2010.de


*


Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 158, Oktober/November 2010
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2010