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BUCH/164: Atlas des Vogelzugs & Die großen Tierwanderungen - Zwei Besprechungen (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 73 Ausgabe 24 [2] - Winter 2009/10

"Atlas des Vogelzugs - Die Wanderung der Vögel auf unserer Erde" und "Die großen Tierwanderungen"

Zwei Buchbesprechungen von Axel Goldau


Atlas des Vogelzugs
Die Wanderung der Vögel auf unserer Erde

Jonathan ELPHICK (Hrg.): Atlas des Vogelzugs - Die Wanderung der Vögel der Erde. Original: Atlas of Bird Migration. MARSHALL EDITORS. London 2007 ins Deutsche von Coralie WINK und Monika NIEHAUS. HAUPT VERLAG, Bern - Stuttgart - Wien 2008. ISBN 978-3-258-07288-3; 176 Seiten, 300 farbige Abb. - EURO 39,90 (D) - CHF 66,-

Die großen Tierwanderungen

Ben HOARE: Die großen Tierwanderungen. Original: Animal Migration. Remarkable Journeys in the Wild. MARSHALL EDITORS. London 2009 ins Deutsche von Monika NIEHAUS und Coralie WINK. HAUPT VERLAG AG, Bern - Stuttgart - Wien 2009. ISBN: 978-3-258-07479-5; 176 Seiten / ca. 300 farbige Abb. - EURO 39.90 (D); CHF 64.90


Der [Matthias] HAUPT VERLAG mit seinem Hauptsitz in Bern bietet mit seinem aktuellen Programm eine breite Palette an Sachbüchern von A wie Architektur bis W wie Wirtschaft. Einen Schwerpunkt hat der Verlag in den beiden letzten Jahren auf den Bereich: Natur/Umwelt gelegt, von denen ich Ihnen hier zunächst zwei "Hauptsachen Natur" vorstellen möchte.

Bis 2010 sollte der Verlust an biologischer Vielfalt maßgeblich gesenkt; ja sogar gestoppt sein, wie aus verschiedenen wohlklingenden, aber leider unverbindlichen politischen Absichtserklärungen zu vernehmen war. Eines der vielfältigen Probleme, das wohl dazu beigetragen haben dürfte, dass die ambitionierten Ziele bei Weitem nicht erreicht wurden, stellt die Tatsache dar, dass viele Tierarten regelmäßig z.T. riesige Wanderungen zwischen ihren Fortpflanzungsgebieten und saisonalen Nahrungsgründen unternehmen. Was nützt es z.B., wenn in afrikanischen Schutzgebieten Vögel während des europäischen Winters ein sorgloses Leben genießen könnten, aber kaum noch welche ihre Winterquartiere erreichen, weil Dank der Segnungen unserer modernisierten Landwirtschaft die Kulturlandschaft derartig ausgeräumt worden ist, dass hier kaum noch Jungvögel aufgezogen werden können?

Andererseits hilft es auch wenig, wenn wir unsere Bemühungen durch Vogelschutz-Richtlinien und Nisthilfen deutlich verstärken, jedoch die Zwischenstationen und Winterquartiere den Tieren keine Überlebenssicherheiten mehr bieten. Wandernde Tierarten - und dazu gehören keinesfalls nur Zugvögel, sondern auch kleine Tiere wie Erdkröten [Ben HOARE: Die großen Tierwanderungen, pp. 72f], wie auch die Riesen der Tierwelt, die Bartenwale der Weltmeere [pp. 78-83], - verdeutlichen uns, wie konstruktiv Globalisierung sein kann. Das Grundprinzip ließe sich mit friedlicher Koexistenz beschreiben, das die jetzt so bedrohte biologische Vielfalt als wirklichen Wachstumsprozess - Wachstum an Biomasse - erst möglich gemacht hat: Beide Bücher dokumentieren das in eindrucksvoller Weise! Schon dies alleine sollte hinreichende Motivation sein, die biologische Vielfalt zu erhalten und zu bewahren, stehen ihre geschichtlichen Regeln doch genau im Gegensatz zu der geschichtslosen und zukunftsunfähigen kapitalistisch-wirtschaftlichen Globalisierung, die eben nicht auf Wachstum, sondern auf Zerstörung; nicht auf friedliche Koexistenz, sondern auf zunehmende Gewaltbereitschaft ausgerichtet ist, wie die Zunahme der Kriege unter direkter Mitwirkung der großen westlichen Wirtschaftsmächte zeigt.

Bei Tierwanderungen denken wir zunächst vor allem an Zugvögel: Die Hälfte aller bekannten Vogelarten sind solche Zugvögel, deren Flugstrecken von wenigen hundert Metern reichen "bis zu Wanderungen, die den ganzen Globus umspannen, von Norden nach Süden und Westen nach Osten - die Wanderungen von Zugvögeln sind so vielfältig wie die Arten selbst." [Jonathan ELPHICK: Atlas des Vogelzugs - Die Wanderung der Vögel der Erde, p. 10] Noch während ich an dieser Ausgabe sitze, hat der Vogelzug bei uns längst begonnen: Nordische Gänse und Graue Kraniche haben unseren Garten wiederholt überflogen, die erste Rotdrossel dieses Herbstzuges haben wir am 01. November im Sanddorn des nachbarlichen Gartens von unserem Küchenfenster aus gesehen. Vogelzug ist überall auf unserer Erde - zu der entsprechenden Zeit - erlebbar: Selbst in der Wüste begegnen uns als heimische Brutvögel vertraute Schwarzmilane, Weißstörche, Wiesenschafstelzen und Rauchschwalben [s. Artikel in diesem Heft von Rolf SCHNEIDER: Begegnungen mit der Natur der Westsahara](*).

Beide Bücher vermitteln durch Text und Bild - sowohl fantastische Tier-Fotos als auch erläuternde Zeichnungen und Landkarten, die die Wanderbewegungen ausgewählter Populationen sehr anschaulich machen, - tiefe Einblicke sowohl in die Forschung und wissenschaftlichen Methoden als auch in neue Erkenntnisse und den aktuellen Wissensstand über immer mehr Einzelheiten der Tierwanderungen. Aber die Forschung macht auch hier rasche Fortschritte: Noch bevor ich die ersten Zeilen dieser Rezensionen eingetippt habe, erreicht mich die Nachricht, dass acht von insgesamt neun in Brandenburg besenderten Baumfalken (Falco subbuteo) in ihren Winterquartieren im südlichen Afrika rund um den Caprivi-Streifen eingetroffen sind. Dank der neuartigen Entwicklung von nur 5g-Solarenergie versorgten Satelliten-Transmittern können jetzt auch die langen Herbst- und Frühjahrwanderungen der relativ leichten Baumfalken (m: 225g; w: 150g - Durchschnittswerte [1]) detailliert dokumentiert werden.

Der Vogelzug ist in den einzelnen Populationen tief genetisch verankert, sodass die Jungvögel ihre Wanderwege und Winterquartiere auch ohne die Hilfe ihrer Eltern finden (ELPHICK pp. 28f). So gehen zumindest die Zugmuster und -strecken vieler Langstreckenwanderungen wesentlich auf die natürliche globale Erwärmung und das Zurückweichen der großen Vereisungen mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren zurück. Durch Kontinentaldrift haben sich die Küstenlinien verändert, Land- und Wasserbrücken sind neu entstanden, und riesige Gebirgsketten - sowohl an Land als auch im Meer - wurden aufgefaltet, geologische Großereignisse, die Zugmuster und -strecken der wandernden Populationen zu Lande, im Wasser und in den Lüften ebenso nachhaltig prägten (ELPHICK pp. 8f; HOARE pp.34f). Während der natürliche Wechsel von Eis- und Warmzeiten sich über lange Zeiträume erstreckte und den wandernden Populationen Möglichkeiten eröffnete, sich dem kontinuierlichen Wandel anzupassen, erfolgt der aktuelle Klimawandel, wie er durch die moderne auf den intensiven Gebrauch fossiler Energieträger aufbauende Industriegesellschaft hervorgerufen ist, rasant und möglicherweise für viele Populationen und Arten viel zu schnell: Es mag an dem jüngeren Erscheinungsdatum des Buches von Ben XOARE (2009 im Original) liegen, dass hier die Bedrohungssenarien: Ausrottung durch Klimawandel deutlicher hervorgehoben werden [müssen].

Kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zu dieen beiden großartigen Büchern zurück: Die ambitionierten Ziele, die Zerstörung biologischer Vielfalt bis 2010 deutlich zu reduzieen, zu stoppen oder gar umzukehren sind - von einzelnen erfreulichen Ausnahmen abgesehen - bei Weitem nicht erreicht worden. Ein Problem dürfte eben auch darin liegen, dass ein großer Teil biologischer Vielfalt Lebensräume beansprucht, die weit über politische und kulturelle Grenzen hinausreichen und durch Wanderungen nachhaltig nutzen. Der fortlaufenden Zerstörung biologischer Vielfalt ein Ende zu bereiten und natürliches Wachstum endlich wieder zuzulassen, erfordert zunächst den politischen Willen, genau dies gemeinsam zu tun. Viele Erhaltungsziele ließen sich relativ einfach - durch Unterlassungen, und zwar bereits im eigenen Land, vor der eigenen Haustür - erreichen.

Der "großen" Politik scheint es jedoch genau an diesem politischen Willen zu fehlen, und sie folgt eher dem Geflüster einflussreicher Wirtschaftslobbyisten - selbst wenn deren Interessen dem Allgemeinwohl diametral entgegenstehen. Um der Zerstörung ein Ende zu bereiten, bedarf es weiterer Anstrengungen aus der internationalen Zivilgesellschaft, die übrigens nach wie vor die meisten der Daten - vor allem über Verbreitung, Häufigkeit und Verteilung von Vögeln - erhebt. Vor diesem Hintergrund vermisst man in beiden Büchern Listen mit einschlägigen Adressen regionaler, überregionaler und internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich der Dokumentation, dem Erhalt und der Wiederherstellung von Lebensräumen und deren Gemeinschaften widmen.

Beide Bücher bieten erfrischend viele Informationen über und tiefe Einblicke in die Lebensweisen wandernder Tierarten. Beiden Autoren gelingt es, sowohl die Besonderheiten ausgewählter Gruppen als auch das Grundsätzliche mit einander in Einklang zu bringen. HOARE wählt seine Gruppen nach Wanderungen an Land, im Meer und in den Lüften aus, wobei jeweils auch auf die Wanderbewegungen wirbelloser Tiere verwiesen wird. ELPHICK beschreibt Vogelzüge der einzelnen Kontinente im Detail. Besonders hilfreich ist hier der "Katalog der Zugvögel" [pp. 166-172], worin alle wesentlichen Daten der im Buch erwähnten Arten, geordnet nach den Kontinenten und den Trivialnamen, zusammen gestellt sind.

Beide Autoren stützen sich auf den aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und lassen sich nicht in die Tiefen politischen Opportunismus hinab reißen. Aber auch da, wo es dann doch unvermeidlich ins Politische geht - und das fängt bei der Verwendung von Landkarten an, bleiben die Autoren korrekt: So verwendet ELPHICK ausschließlich topographische Karten; denn Zugvögel scheren sich nicht um politische Grenzen. HOARE dagegen benutzt sehr wohl Karten, in denen die Staatsgrenzen korrekt wiedergegeben sind, was ja leider bei Sachbüchern nicht immer der Fall ist [s. Besprechung in Kritische Ökologie Nr. 50 - Bd. 16[1]: 57f. 1999]./ag

[1] Angaben nach ROBERTS' Birds of Southern Africa 6, p. 152: s. Besprechung in Kritische Ökologie Nr. 51 - Bd. 16 [2]: 38f. 2000

(*) Anmerkung der SB-Redaktion:
s. www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Lebensräume
WÜSTE/011: Begegnungen mit der Natur der Westsahara (KRITISCHE Ökologie)


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 73 Ausgabe 24 [2] Winter 2009/10, S. 41-42
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2010