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MELDUNG/173: Bayern Wolfsland? (BN)


Bund Naturschutz in Bayern e.V. - München, 4. April 2014

Bayern Wolfsland?

Bund Naturschutz fordert neue Formen der Beweidung im Alpenraum



Der seit kurzem erneut im bayerischen Alpenraum nachgewiesene einzelne Wolf zeigt, dass Bayern in den nächsten Jahren zunehmend mit zuwandern-den Wölfen v.a. aus den Südalpen rechnen muss. Der Wolf stellt keine Gefahr für Menschen dar. Betroffen können aber Weidetiere sein, insbesondere im Sommer frei laufende Schafe der bayerischen Almwirtschaft. Im Interesse der Almbauern und des Wolfes braucht es statt dieser "Freiweide", also des tags und nachts ungeschützten Weidegangs, eine gelenkte Beweidung mit anderswo erprobten Schutzmaßnahmen wie Herdenschutzhunden, Hirten und mobiler Zäunung. Das bayerische Landwirtschaftsministerium muss seine Blockadehaltung beenden und in moderne Formen der Beweidung investieren - ansonsten hat der Wolf in Bayern langfristig keine Chance!

Wolf in anderen Bundesländern eine Selbstverständlichkeit

In Deutschland leben im Frühjahr 2014 bereits 25 Wolffamilien (je zwei Elterntiere mit 2- 10 Jungtieren; v.a. Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen), 7 Wolfspaare und 14 Einzeltiere. Diese insgesamt über 200 Wölfe leben in den Naherholungsgebieten der Bundeshauptstadt Berlin ebenso wie in der Lüneburger Heide. Das Bundesamt für Naturschutz berechnete 2009, dass in Deutschland bei einer durchschnittlichen Territoriengröße von 200 Quadratkilometern je Wolfsfamilie ("Rudel") geeignete Landschaftsräume für eine Gesamtzahl von ca. 450 Wolfsfamilien vorhanden sind. In den italienischen und französischen Südalpen haben sich mittlerweile grenzüberschreitend etwa 35 Wolfsfamilien mit 200 bis 250 Tieren etabliert. Von diesem Wolfsvorkommen wandern immer wieder einzelne Wölfe nach Norden und Osten in den Alpenbogen hinein. In der Schweiz waren im Jahr 2012 mindestens 17 Wölfe anwesend. Der bayerische Alpenraum gehört damit klar zu den möglichen und besonders geeigneten Wolfsgebieten. Auch aus anderen Bundesländern oder aus Osteuropa kann eine Zuwanderung in Nord- und Ostbayern erfolgen. Bayern ist damit Wolfserwartungsland.

Große Pläne, wenig Umsetzung

Seit dem ersten genetisch abgesicherten Wolfsnachweis 2006, als ein junger, durchwanderndes Wolfsmännchen aus dem Mittelmeerraum bei Starnberg überfahren wurde, ist in Bayern 2007 ein "Wolfsmanagementplan, Stufe 1" für erste zu- und durchwandernde Einzeltiere vom Umweltministerium in einer Arbeitsgruppe mit verschiedenen Verbänden und Interessengruppen, unter anderem dem BN, erstellt worden. Von Dezember 2009 bis Januar 2011 hielt sich dann ein männlicher Wolf italienischer Herkunft im Großraum Mangfallgebirge auf. Ende 2011 wurde im Fichtelgebirge ein Tier ostdeutscher/westpolnischer Herkunft nachgewiesen. Seitdem gelang es seit Herbst 2010 trotz acht Sitzungen der Arbeitsgruppe Wildtiermanagement/Große Beutegreifer und zahlreichen Besprechungsrunden von Almbauern, Fachbehörden und Naturschutzverbänden bis heute nicht, den Plan für die Stufe 2, also für erste standorttreue Wölfe in Bayern, fertigzustellen. Hauptgrund sind Abstimmungs- und Kompetenzprobleme zwischen dem bayerischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium. Insbesondere das Landwirtschaftsministerium blockt die strukturelle Umstellung des Beweidungssystems - offenbar aufgrund eines tiefsitzenden Unwillens, den Wolf in Bayern zu akzeptieren.

Erprobte Schutzmaßnahmen in Bayern Mangelware

In Bayern hat sich nach Ausrottung von Wolf, Luchs und Bär im Alpenraum eine Beweidungsform etabliert, die darin besteht, dass Schafe und Rinder im Sommer frei und unbehirtet, also ohne ständige menschliche Aufsicht auf Almen und im Bergwald weiden. Schafe stellen für Wölfe somit eine äußerst leichte Beute dar.

Im Bayerischen Alpenraum werden auf knapp 1.400 Almen und Alpen auf einer Fläche von fast 41.000 ha ca. 100 Tage im Jahr (Juni-September) insgesamt rund 55.000 Nutztiere, insbesondere Rinder gehalten, für die von einem einzelnen Wolf jedoch keine Gefahr ausgeht. Aber unter diesen Nutztieren befinden sich auch etwa 3.000 Schafe und Ziegen, insbesondere im Werdenfelser Land.

Eine ständige Behirtung unter Einsatz von speziellen Hüte- und Schutzhunden mit nächtlicher Pferchung bietet in anderen Alpenländern einen optimalen Schutz vor dem Wolf (zu Erfahrungen in der Schweiz zu Wolf und Schafen siehe:
gruppe-wolf.ch/dateien/HP_Interview-Schafhaltung.pdf).
Sinnvoll einsetzbar ist dies erst bei größeren Herden. Dazu müssen die kleineren, weit verstreuten Schafherden auf bayerischen Almen zusammengelegt werden, um eine gelenkte und optimierte Weideführung durch die Almsaison zu gewährleisten.

Eine extensive Beweidung mit Rindern, Schafen und Ziegen erhält in unserer Kulturlandschaft häufig Biotope mit hoher Artenausstattung. Für eine naturgemäße Schafbeweidung im Alpenraum, im kleinräumigen Mosaik aus Bergwäldern und lichten Alm-Weiden, ist besonders wichtig, dass die Schafe zu rechten Zeit am rechten Ort unterwegs sind. Bei zu intensiver Beweidung kann der positive Effekt für Biotope schnell durch übermäßigen Verbiss, Trittschäden, Erosion und Nährstoffüberfrachtung ins Gegenteil umschlagen. Eine gelenkte Beweidung verhindert auch Über- oder Unterbeweidung und verstärkt die positiven Effekte für besonders schutzwürdige Biotope. Darüber hinaus gewährleistet eine gelenkte Beweidung durch die tägliche Betreuung eine tierschutzgerechte Haltung.

Seit 2012 haben das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium zusammen 100.000 EUR pro Jahr für einen Präventionsfonds für Herdenschutzmaßnahmen eingerichtet. Das Bayerische Landesamt für Umwelt erprobt hier zusammen mit der Landesanstalt für Landwirtschaft Maßnahmen zum Herdenschutz, so geeignetes Zaunmaterial in der Koppelschafhaltung oder den beispielhaften Einsatz von Schutzhunden in nordbayerischen Schafherden.

Jedoch stehen gerade in der konfliktträchtigsten Haltungsform der Freiweide in den Alpen strukturelle Anpassungen und konkrete Maßnahmenumsetzungen noch aus!

Koexistenz von Wolf und Schaf

Eine Koexistenz von Wolf und Schafhaltung ist möglich, und gerade der BN kann und will hier ein Vermittler sein. Unsere Vorfahren haben den Wolf ausgerottet. Über Jahrtausende entwickelte und bewährte Herdenschutzsysteme verschwanden damit aus dem öffentlichen Gedächtnis. Es scheint heute selbstverständlich, dass wehrlose Nutztiere sich frei in der Landschaft bewegen - so die vielen kleinen, nicht betreuten Schafherden in den bayerischen Alpen. Doch nun kehren die großen "Raubtiere" wieder zurück und zeigen uns, dass dies eben nicht der Normalfall ist.

Nun müssen dauerhafte regional angepasste Lösungen gesucht werden. Einfache Patentrezepte gibt es nicht. Dass jeden Almsommer viele Tiere durch ganz andere Ursachen umkommen - zum Beispiel durch Hunde, Witterungsextreme und Absturz - wird von den Almbauern schließlich auch akzeptiert. Wer aber jetzt schon behauptet "geht nicht" und mit der Aufgabe der Schafbeweidung droht oder wolfsfreie Alpen fordert, macht es sich zu leicht. Auch wenn die Vermeidung von Konflikten einen gewissen Aufwand öffentlichen Mitteleinsatzes für die Almbauern erfordert, sollte uns das der Wolf wert sein.


Forderungen des BN:

Almbauern und Naturschutz sollten sich durch die Rückkehr des Wolfes nicht auseinanderdividieren lassen. Dazu ist nötig:

  • Klare Positionierung des Umwelt- und des Landwirtschaftsministers gegen eine "Entnahme" des Wolfes und gegen Forderungen, die bestimmten Wildtieren in Bayern - einem Land das so stolz ist auf sein Motto "Leben und leben lassen" - das Lebensrecht generell und für immer verwehren wollen.
  • Aufstellung eines mit ca. 1 Mio. EUR / Jahr ausgestatteten speziellen Förderprogrammes des Landwirtschaftsministeriums zur strukturellen Anpassung der bisherigen Beweidungsform mit Aufbau einer gelenkten und beaufsichtigten Schafbeweidung im gesamten bayerischen Alpenraum. Dies soll durch Umschichtungen des erst im Februar 2014 vom Kabinett um 10 Mio. EUR aus dem Nachtragshaushalt aufgestockten Mitteln für das Kulturlandschaftsprogramm (KULAP) erfolgen.
  • die Einführung von Bonussystemen wie in skandinavischen Staaten bei Anwesenheit von großen Beutegreifern zur Inwertsetzung der seltensten Tierarten Bayern.
  • eine "Natura 2000"-Prämie für naturschutzverträgliche Nutzungen in den europäischen Schutzgebieten Bayerns, die im Alpenraum alle auch potentielle Wolfsgebiete sind.
    • Intensives, betriebsbezogenes Beratungsangebot entsprechend Modellen in der Schweiz.
    • Aufbau eines mobilen Herdenschutzes v.a. zur kurzfristigen Integration von Herdenschutzhunden im aktuellen Vorkommensgebiet des Wolfes.

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Quelle:
Presseinformation, 04.04.2014
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2014