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PFLANZEN/117: Der Bergahorn - Baum des Jahres 2009 (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 99/4.08
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

wald

Herr der Berge
Der Bergahorn - Baum des Jahres 2009


In dem kleinen Schweizer Ort Trun am Vorderrhein brachen 1871 bei einem Sturm die letzten lebenden Überreste eines ursprünglich dreistämmigen Berg-Ahorns zusammen. Trauer durchzog daraufhin das Graubündener Land. Das umgebrochene Holz dieses Baumveteranen wurde sorgfältig geborgen. Es kam ins Museum oder wurde zu patriotischen Devotionalien gedrechselt. Selbst die Wurzel wurde 20 Jahre später feierlich ausgegraben und ist noch heute im Museum von Trun zu besichtigen. Und im Wappen der Stadt prangt ein stilisierter Berg-Ahorn - vermutlich der einzige Berg-Ahorn, der heraldische Weihen erlangt hat.

Dieses erstaunliche Aufhebens um einen Baum hat natürlich mit der Geschichte der eigensinnigen Schweizer Alpenrepublik zu tun. Rund 450 Jahre vor diesem legendären Sturmwurf - genauer am 16. März 1424 - wurde unter seiner Baumkrone der so genannte Graue Bund gegründet. Hier einigten sich die Gemeinden der alpinen Rheintäler mit ihren Feudalherren und Klostervorstehern auf ein Ende ihrer internen Dauerfehden, auf dass sie einig seien gegen die Großmacht der Habsburger, die gerne die transalpinen Handelswege unter ihrer Kontrolle gehabt hätten. Alle zehn Jahre, so lautete der Beschluss, solle dieser Pakt unter dem Trunser Ahorn erneut beschworen werden. Und in der Tat trafen sich die Graubündener nun regelmäßig über mehrere Jahrhunderte hier unter ihrem Freiheitsbaum, bis am Ende des 18. Jahrhunderts das freie Graubünden als Kanton der Schweiz einverleibt wurde.

Heute steht an der gleichen Stelle ein direkter Nachfahre des alten Berg-Ahorns, der - nun auch schon über 130 Jahre alt - die Erinnerung an die lange Eigenständigkeit dieses Alpenvolkes wach hält.


Baum der Berge

Die Alpen sind die Region, in der der Berg-Ahorn am eindrücklichsten unter Beweis stellt, dass er seinen Namen zu Recht trägt. Im Schweizer Wallis, wo die höchsten Gipfel Europas stehen, ist er noch auf fast 2000 Meter zu finden. In den Kalkalpentälern bildet er in Höhen, in die die Buche nicht mehr vordringen kann, sogar reine Waldbestände.

Auch im übrigen Europa ist der Berg-Ahorn natürlicherweise ein Baum der Bergwälder - von den Kantabrischen Bergen im Nordwesten Spaniens bis hin zu den Karpaten im Osten und vom Harz im Norden bis in die südlichen Apenninen. In den Vogesen bildet er mit der Buche die Waldgrenze. In den Nordalpen ist er zusammen mit Tanne und Buche in den Hangwäldern zu finden. Und in den Mittelgebirgen prägt er vor allem mit der Esche und der Berg-Ulme die feuchten Schlucht- und Blockhaldenwälder.

Die offizielle Nordgrenze seiner natürlichen Verbreitung verläuft - abgesehen von einigen Exklaven an der Ostseeküste - am nördlichen Rand der Mittelgebirge. So steht's in den Lehrbüchern der Vegetationskunde. Weiter als bis dorthin hat er es wohl bei seiner Rückkehr nach der letzten Eiszeit zu nächst nicht geschafft. Doch wer sich mit Bäumen auskennt, weiß, dass sich dieser Bergbaum längst auch im platten norddeutschen Land ausgesprochen wohl fühlt. Nicht nur als Park- und Straßenbaum oder als Feldgehölz, sondern auch als Waldbaum. Ganz offensichtlich hat der Berg-Ahorn, nachdem die einst dichte Waldlandschaft mehr und mehr in eine offene Kulturlandschaft verwandelt wurde, seine ins Stocken geratene Rückwanderung weiter fortsetzen können - bis rauf nach Südschweden und weit nach Osten bis tief ins europäische Russland hinein. Sicherlich hat ihn dabei auch der Mensch wegen seines wertvollen Holzes schon sehr früh ganz gezielt gefördert. In Dänemark beispielsweise wurde er im 17. Jahrhundert kultiviert und ist dort dann verwildert. Selbst übers Meer wurde er verschleppt, so dass der Berg-Ahorn heute auch in England und Irland wächst, als wäre er hier schon immer gewesen. Und selbst in Nordamerika und sogar in Chile erscheint er vielen Menschen dort als heimischer Baum.


A-Hörner

Ahurna - so oder so ähnlich hieß dieser Baum schon bei den Germanen, also fast schon genau so wie heute. Ahurna - das sei auch die germanische Bezeichnung für Hörner. So lautet jedenfalls eine sehr einleuchtende Erklärung für die Namenswahl unserer prähistorischen Vorfahren. Denn sehen nicht diese paarweise am Baum hängenden, geflügelten Früchte aus wie zwei Hörner eines Tieres? Wahrscheinlich haben auch schon die kleinen Germanenkinder die heruntergesegelten Früchte aufgesammelt, die Schale am unteren Ende des Flügels aufgespreizt und sich die Flügel mit der klebrigen Innenseite der Frucht auf die Nase geklebt. Zwei solche Nasenkneifer - und schon waren sie ein wildes Woll-Nashorn. Nun ja, das mögen schöne, eingängige Bilder sein. Aber - mal abgesehen davon, dass das Woll-Nashorn auch zur Germanenzeit schon einige tausend Jahre ausgestorben war - diejenigen, die diese so einleuchtende Wortherleitung in Umlauf gebracht haben, die haben schlicht nicht richtig im germanischen Wörterbuch geblättert. Hurnan oder hurnam heißen nämlich die Hörner - und nicht Ahurna. Die leider sehr dröge Erläuterung der etwas seriöser daherkommenden Etymologie lautet: Das Wort Ahorn ist indogermanischen Ursprungs. Es ist unmittelbar verwandt mit acer, dem lateinischen Namen dieser Bäume. Beide Worte bedeuten soviel wie spitz, scharf. Germanen wie Römer - beide haben also etwas Wesentliches an diesem Baum als spitz empfunden. Und da kommen eigentlich nur die bei den meisten Ahornarten gelappten, spitz auslaufenden Blätter in Frage. Auch die fünflappigen Blätter des Berg-Ahorns - selbst wenn sie im Vergleich zum nah verwandten Spitz-Ahorn eher abgerundet wirken - laufen in länglichen Spitzen aus.


Süß-Saftiges

Wer schon mal im Frühsommer sein Fahrzeug - egal ob Fahrrad oder Pkw - am Straßenrand unter einem Berg-Ahorn abgestellt hat, der kennt und hasst es: Tausende kleiner, klebriger Tropfen überziehen schon nach wenigen Stunden sein Vehikel. In manchen Jahren nieselt so viel süßer Saft aus der Baumkrone, dass alles darunter wie frisch mit Klarlack überzogen erscheint. Wenige Wochen später ist dann alles mit dreckig-schwarzem Schimmel bedeckt. Der Berg-Ahorn, aber auch der Spitz-Ahorn, beide werden - ähnlich wie die Linde - besonders stark von Läusen besiedelt, die mit ihrem Saugrüssel die Leitungsbahnen in den Blättern anzapfen. Da diese Blattläuse aber nur einen Bruchteil des an Zucker und Aminosäuren überreichen Assimilatsaftes verdauen können, scheiden sie den noch immer recht zuckrigen Überschuss als so genannten Honigtau wieder aus - und zwar in hohem Bogen. Etwa fünfzig Mal am Tag verspritzt so eine Laus einen etwa einen Millimeter großen Tropfen.

Auch der Mensch hatte - zumindest für einige Jahre - große Erwartungen mit dem süßen Saft des Berg-Ahorns verknüpft. Als 1791 beim Sklavenaufstand auf der Zuckerinsel Haiti die Franzosen erfolgreich vertrieben und die Zuckerrohrplantagen zerstört worden waren, zog der Rohrzuckerpreis in Europa kräftig an. Als dann Napoleon 1806 mit seiner mehrjährigen Kontinentalsperre auch noch die englischen Kolonialprodukte aussperrte, stieg der Zuckerpreis ins Unermessliche. In dieser Mangelzeit gab es eine ganze Reihe an Versuchen, ob sich nicht auch die europäischen Ahorne zur Zuckergewinnung eigneten, ähnlich wie der Zucker-Ahorn in Nord-Amerika, der dort zu damaliger Zeit eine immense wirtschaftliche Bedeutung erlangt hatte. Nicht von ungefähr prangt ja das Zucker-Ahornblatt in seiner herbstlichen Rotfärbung auf der kanadischen Nationalflagge. Im Winter 1796/97 wurde im Berliner Tiergarten der erste Berg-Ahorn angezapft - ohne Erfolg. Offensichtlich hatte sich der optimale Zeitpunkt zum Anzapfen eines Ahornstammes noch nicht herumgesprochen. Der liegt nämlich nicht im Winter, sondern im zeitigen Frühjahr - so etwa vier Wochen, bevor die Blätter anfangen auszutreiben. Dann erst sind die Wasser führenden Leitungsbahnen im Stamm voll mit den reaktivierten Kohlenhydraten, die über den Winter in Wurzel und Holz eingelagert waren. Der zweite Versuch im Frühjahr 1797 war dann auch erfolgreicher, und beim dritten Versuch wurden aus 42 Ahornbäumen im Berliner Tiergarten immerhin gut 10 Kilo Zucker gewonnen. Ähnliche Versuche fanden in Rheinsberg und Harbke statt.

Aber auch außerhalb Preußens, im Wiener Prater zum Beispiel oder auch in Böhmen, wurde experimentiert, gezapft und eingedickt. Obwohl der Zuckerspiegel im Saft des Berg-Ahorns nur im Bereich von ein bis drei Prozent liegt, während der Zucker-Ahorn bis zu acht Prozent Saccharose in seinem Blutungssaft enthält, wurden doch alle diese Versuche als vielversprechend bewertet. Zusätzlich ließ man sich alle rdings auch noch Samen des Zucker-Ahorns aus Nordamerika besorgen, um damit dann in eine noch produktivere Plantagenwirtschaft einzusteigen.

Doch all diese Versuche und Planungen mit der europäischen Ahornzuckerproduktion versandeten recht bald und ziemlich gründlich. Denn im gleichen Zeitraum war auch die Runkelrübe bereits so weit in Richtung Zuckerrübe gezüchtet worden, dass ihr Zuckergehalt um 1800 schon bei etwa sechzehn Prozent lag. Da konnte natürlich nicht einmal mehr der Zucker-Ahorn mithalten. Die Rübe wurde die eigentliche Gewinnerin der napoleonischen Blockadepolitik. Ihr Anbau nahm seitdem rapide zu, so dass wohl niemand in Europa mehr ernsthaft versucht hat, den Saft des Berg-Ahorns wirtschaftlich zu nutzen. Lediglich 1917, während des ersten Weltkrieges, sollen noch einmal Ahornstämme angezapft worden sein.


Nudelholz und Fiedel

Weitaus lukrativer als der Saft ist das Holz des Berg-Ahorns. Das helle, beinahe weiße Holz wurde schon vor rund achttausend Jahren bei den jungsteinzeitlichen Ackerbauern gerne zur Herstellung von Gefäßen benutzt. Und bis heute ist es die erste Wahl bei hölzernen Küchengerätschaften wie Schalen, Schneid- und Frühstücksbrettern, Kochlöffeln, Fleischklopfern und Nudelhölzern. Hauptgrund dafür ist die Feinporigkeit des Ahornholzes, die die Herstellung sehr glatter und damit gut sauber zu haltender Oberflächen erlaubt. Und da auch verschüttetes Wasser nicht gleich unschöne Flecken hinterlässt, wird das Holz des Berg-Ahorns klassischerweise auch gern für Biertresen und Kneipentische genommen.

Eine weitere klassische Verwendung hat das recht harte, aber gut drechselbare Holz des Berg-Ahorns im Musikinstrumentenbau gefunden. Wegen seiner schmucken hellen Farbe wird es gerne für Flöte oder Fagott genommen. Und bei Saiteninstrumenten, beim Cello, bei der Bratsche und vor allem bei der Geige ist Ahornholz der Garant für eine wunderbare Resonanz. Berühmt sind die Geigenböden, die aus so genanntem Riegelahorn gefertigt wurden. Bei diesem Holz ist der Verlauf der Holzfasern ungewöhnlich wellig, was beim Anschneiden dann einen alternierenden Hell-Dunkel-Schimmer ergibt. Es gibt eine Fülle weiterer Einsatzbereiche für das Holz des Berg-Ahorns: Zimmerleute nehmen es gerne beim etwas edleren Innenausbau für Treppen und Fußböden. Und auch die MöbeltischlerInnen sind begeistert. Lediglich im Außenbereich und als Bau- und Konstruktionsmaterial hat sich das Holz des Berg-Ahorns nicht bewährt.

Eine ganz spezielle Eigenschaft allerdings entfaltet das Ahornholz als Türschwelle. Denn: Zauberer und Hexen trauen sich nicht über eine solche Ahornschwelle. Selbst wenn nur die Verankerungszapfen in der Schwelle aus Ahorn gefertigt sind - sie bleiben draußen. Und wer ganz auf Nummer Sicher gehen will, der stelle zusätzlich belaubte Zweige ins Fenster. Die fünflappigen, entfernt an gespreizte Hände erinnernden Blätter tun ein übriges, um all solch unheimliche Wesen fernzuhalten. Auf dass es ein entspanntes Jahr 2009 werde!


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Geschlechterfrage

Alle heimischen Baumarten - zumindest die großen und starken - sind in unserer Sprache weiblich. Birke, Buche, Eiche, Erle, Esche, Fichte, Kiefer, Kirsche, Lärche, Linde, Tanne, Ulme, alle sind sie femininen Geschlechts, nur der Ahorn, der kommt maskulin daher. Zugegeben: Bei den niedrigeren Baumarten und den Sträuchern wird die Geschlechterfrage in der deutschen Sprache nicht so streng gehandhabt, da gibt´s schon noch ein paar mehr Männer unter der weiblichen Übermacht - den Apfel zum Beispiel, den Holunder, Wacholder und alles was Dornen im Namen trägt wie der Weißdorn oder der Sanddorn. Auch bei den Römern waren sämtliche Bäume weibliche Wesen. Bis auf einen: Der Ahorn acer hatte damals überhaupt kein Geschlecht, sondern war ein Neutrum und ist dann später bei den Italienern ebenfalls männlich geworden.

Spannende Geschichte! Doch - leider, leider - gibt es überhaupt keine plausible Erklärung, was den Ahorn so aus der geschlossen weiblichen Baumriege herausgetrieben hat.


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Wer mehr über den Berg-Ahorn wissen will, ...

.... über Drehschraubenflieger, Ahorn-Böden und Oskar-Syndrom, der sollte im umfangreichen Faltblatt "Der Berg-Ahorn - Baum des Jahres 2009" weiterlesen, das von dem Forstbotaniker Prof. Dr. Andreas Roloff verfasst und von der Dr. Silvius Wodarz Stiftung - Menschen für Bäume herausgegeben wurde. Für Kinder ist eine Broschüre mit einer spannenden Geschichte über den Raben Hugin und den Berg-Ahorn erschienen.


2009
Berg-Ahorn

Natürlich gibt es auch für das kommende Jahr wieder den wunderschönen Wandkalender der Dr. Silvius Wodarz Stiftung - Menschen für Bäume mit Bildern rund um den Berg-Ahorn, gemeinsam erstellt von Jens Tönnießen und Rudolf Fenner. Der Kalender ist für 13,- EUR plus 1,65 EUR Porto zu haben. Faltblätter, Broschüren und Kalender sind in der ROBIN WOOD-Geschäftsstelle erhältlich: Postfach 102122, D-28021 Bremen info@robinwood.de, Tel.: 0421/598288

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Unter dem legendären Trunser Berg-Ahorn in der Schweiz wurde 1424 der Graue Bund gegründet
- Typisch für ältere Berg-Ahorn-Bäume ist ihre schuppige Borke
- Die Früchte des Ahorns sind bei Kindern als Nasenkneifer beliebt
- Der so genannte Große Ahornboden im Hochtal des Karwendelgebirges
- Warum heißt es der und nicht die Ahorn? *

Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 99/4.08, S. 16-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2009