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VÖGEL/1038: Der Kampfläufer - Streithahn mit Erfolg (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2016

Wir waren die Champions
Der Kampfläufer: Ein echter Macho, skurril und exotisch

von Jürgen Herrmann


In Brandenburg gehört der Kampfläufer - mancherorts auch Kampfschnepfe oder Streithahn genannt - zu den Ureinwohnern. Bei Ausgrabungen an vorhistorischen Wohnstätten der frühen Siedler in der Mark fanden sich dessen Knochen unter den Nahrungsresten. Kampfläufer waren im norddeutschen Tiefland und in den Anrainerländern der Nord- und Ostsee weit verbreitet. Heute stehen sie allerdings nicht nur in Brandenburg, sondern in ganz Deutschland vor dem unmittelbaren Aussterben als Brutvogelart.


Die Hauptbrutvorkommen der Kampfläufer waren in den ausgedehnten brandenburgischen Niedermooren zu finden, so im Havelländischen und im Rhin-Luch, an der Oder, aber auch in den Feuchtgebieten der Niederlausitz. Sie bevorzugten großräumige Offenlandschaften mit niedriger Vegetation und nasses Wiesengelände. Durch ihre Häufigkeit und ihr einmaliges Balzverhalten fielen sie jedem auf; in den Luchdörfern kannte sie jedes Kind. Im Frühjahr - von Mitte April bis Anfang Juni - waren die Männertrupps der Kampfläufer kaum zu übersehen. Auf etwas höher gelegenen, trockeneren Flächen inmitten der Überschwemmungszonen, Tümpel und Senken hatten sie ihre traditionellen Balzplätze. Ähnlich wie bei Birkhühnern und Doppelschnepfen, fanden sich dort die Männchen gruppenweise ein und erwarteten die Weibchen. Für vier bis fünf Wochen boten sie eine große Show. Jedes Männchen wollte in der Konkurrenz um Fortpflanzungschancen erfolgreich sein und seine Gene an die nächste Kampfläufergeneration weitergeben.

Die Balzplätze fielen in der offenen Landschaft meist schon von weitem auf. Dort führten die Männchen ein schwer durchschaubares Durcheinander auf. Die Farbenvielfalt der Hähne, ihr buntes Treiben, der rasche Szenenwechsel von Luftsprüngen, Auffliegen und Durcheinanderwirbeln mit anschließendem sich Ducken und raschem Umherrennen am Boden - das fasziniert bis heute jeden Beobachter der Kampfläuferbalz. Selbst für Ornithologen war der "Sinn" vieler Abläufe auf den Balzplätzen lange unerkennbar. "Erklärt" wurde das beobachtete Geschehen mit ungezügelter Aggressivität der Männchen, mit ihrem übersteigerten Kampfeswillen und ihrer Unverträglichkeit, für die es in der heimischen Tierwelt kaum ein zweites Beispiel gäbe. Zumal ganz überraschend zum Ende der Fortpflanzungszeit alle Männchen wieder friedlich und verträglich werden.

Erst durch mehrjährige, genau protokollierte Beobachtungen an den Balzplätzen, dazu Fotos und Zeitlupenfilme, kam Licht in das auf den ersten Blick chaotische Verhalten der Vögel. Die Wissenschaftler erkannten unterschiedliche Balzverhalten und Fortpflanzungsstrategien der Männchen, die scheinbar mit bestimmten Farbvarianten der männlichen Gefieder genetisch kombiniert auftreten. Sogenannte Territorialhähne mit oft schwarzem Halskragen und dunkler Federperücke behaupten und verteidigen kleine, etwa 40 x 40 Zentimeter große Bezirke. Sie sind recht stationär und verbringen viel Zeit auf oder am Balzplatz. Anders verhält es sich bei den sogenannten Satellitenhähnen - sie besitzen keine eigenen Territorien und halten sich an den Randbereichen der Balzgesellschaften auf. Schon vom Aussehen her unterscheiden sie sich deutlich von den Territorialhähnen: Ihre großen weißen Gefiederbereiche an Halskragen und Perücken sind leicht zu erkennen. Sie nutzen auch die Balzplätze in der weiteren Nachbarschaft, sind unstet und nicht ständig anwesend.

Streithähne mit Erfolg

Neben Sticheleien und Streitigkeiten unter den Männchen gibt es auf den Balzplätze oft lange Ruhephasen. Dann sind nur einzelne oder wenige Territorialmännchen anwesend, die die Stellung halten und ausruhen oder nahebei Nahrung suchen.

In Abständen treffen Männchentrupps am Balzplatz ein, vor allem aus weißlichen Satellitenhähnen und anderen mit nicht eindeutig zuzuordnenden Gefiedervarianten. Dann machen die Kampfläufer ihrem Namen richtig Ehre. Die Territorialhähne werden zu Angreifern. Sie versetzen ihren Konkurrenten Schnabelhiebe, vor allem ins Gesicht, springen sie an, treten mit beiden Füßen, verbeißen sich manchmal minutenlang in deren Gefieder, zerren an den Perücken und schlagen mit den Flügeln auf sie ein. Doch Verletzungen werden selten beobachtet.

Weibchen scheinen Balzplätze zu bevorzugen, an denen richtig was los ist. Das unterstreicht vermutlich die Bedeutung der Satellitenmännchen, die am Rande herumstehen, sich in Positur aufrichten, mit weißen Flügelunterseiten und Flattersprüngen imponieren und schon von weitem auf den Balzplatz aufmerksam machen. Wenn Weibchen vorbeifliegen oder in der Umgebung landen, erreicht das Streiten der Männchen seinen Höhenpunkt. Es endet jäh, sobald die Weibchen zu Fuß auf dem Balzplatz eintreffen. Die Männchen erstarren, stehen geduckt, den Schnabel zum Boden gerichtet, den Blick abgewendet. Paarungsbereite Weibchen treffen jetzt ihre Wahl und entscheiden sich in vielen Fällen für einen Territorialhahn. Sobald die Kopulation stattfindet, werden die übrigen Männchen äußerst aktiv und machen den anderen anwesenden Weibchen den Hof, imponieren und zeigen Demutsgesten. Jetzt finden mitunter auch Satellitenhähne im weiteren Randbereich des Balzplatzes Paarungsmöglichkeiten. Nestbau, Brut und Jungenaufzucht sind alleinige Sache der Weibchen; die heißblütigen Machos geben sich damit nicht ab.

Doch das Paarungsverhalten der Kampfläufer ist noch komplizierter: 2006 wurden Untersuchungen veröffentlicht, wonach es auch Kampfläufer gibt, die ganzjährig ein schlichtes, den Weibchen ähnliches Gefieder tragen. Sie sind größer als Weibchen und kleiner als die Männchen mit dem Protzgefieder. Nach Sektionsbefund und DNA-Analyse sind auch diese Männchen fortpflanzungsfähig. Es könnte sein, dass sie - ohne den Energieaufwand für fünfwöchige Kampfesbereitschaft und Territoriumseroberung - als kryptische Weibchen getarnt durchaus Fortpflanzungserfolge erzielen.

Rückgang seit über 100 Jahren

Der dramatische Bestandsrückgang beim Kampfläufer begann in Europa schon vor 1850. Damals wurden in England die kommerziellen Massenfänge für Speisezwecke unrentabel, England importierte in der Folge viele Kampfläufer aus den Niederlanden. Während Herman Schalow, der Altmeister der brandenburgischen Ornithologie, die Art noch 1919 "in allen geeigneten Gegenden der Provinz als Brutvogel" antraf, berichtete 1914 Erich Hesse, Mitarbeiter des Berliner Naturkundemuseums: "Schon 1913, als sich die Folgen der Entwässerung im Havelländischen Luch bereits eingestellt hatten, waren sie von ihren dortigen Brutplätzen verschwunden, in dem noch nicht ganz trockengelegten Rhinluch dagegen noch vertreten."

Rudolf Kuhk spricht in "Die Vögel Mecklenburgs" 1939 vom "rapiden Rückgang" und sieht "die Gefahr der Nähe des gänzlichen Aussterbens der Art in unserem Gebiete". Und so ging es weiter: Deichbau, Entwässerung und Flurbereinigung zerstörten die verbliebenen Lebensräume der Kampfläufer, die Vorverlegung der Heumahd vernichtete viele Gelege dieser spät brütenden Art. Der zunehmende Einsatz von Pestiziden reduzierte das Angebot von Wirbellosen im Boden, der Hauptnahrung der Kampfläufer zur Brutzeit. Auf Biotopveränderungen reagiert der Kampfläufer empfindlicher als andere Wiesenbrüter. Feuchtgebiete unter fünf Hektar Größe werden wohl nicht besiedelt. Vom bekannten Brutgebiet Untere Havel/Gülper See berichtet Johann-Joachim Seeger: "Der Kampfläufer hatte sich bereits vor 2000 als Brutvogel verabschiedet."

Heute sind Kampfläufer in Österreich ausgestorben, in Deutschland, den Niederlanden und Polen stehen sie als vom Aussterben bedroht auf der Roten Liste. Erhebliche Bestandseinbrüche sind auch bei den europäischen Durchzüglern und in den Überwinterungsgebieten der Kampfläufer in Afrika nachgewiesen. Zählungen am bedeutenden binnenländischen Kampfläufer-Mauserplatz Rieselfelder Münster "erreichen seit vielen Jahren nur noch etwa fünf Prozent der Zahlenwerte aus den 1970er Jahren", heißt es im Jahresbericht der Biologischen Station 2013. Die landesweite Brutvogelkartierung 2005-2009 in Brandenburg ergab für den Kampfläufer: "Wurde die Art in den Jahren der Atlaskartierung nur noch in einem Messtischblatt brutverdächtig festgestellt, nämlich an der Unteren Havelniederung, und zudem nur im Jahr 2006. Mit nur noch unregelmäßigen Brutnachweisen bzw. -verdacht - und diese seit über zehn Jahren nur noch in einem Gebiet - ist die Art dem unmittelbaren Aussterben sehr nahe." Und im ersten und aktuellen "Atlas deutscher Brutvogelarten" heißt es 2014: "Der Brutbestand des Kampfläufers steht in Deutschland kurz vor dem Erlöschen. [...] Der Kampfläufer wird voraussichtlich schon in wenigen Jahren nicht mehr regelmäßig in Deutschland brüten."

Wer diesen faszinierenden Vogel und sein einmaliges, teilweise immer noch rätselhaftes Balzgeschehen beobachten möchte, muss heute verreisen: Norweger haben an Kampfläufer-Balzplätzen vor deren Ankunft im Frühjahr Tarnzelte aufgestellt und vermieten sie unter Aufsicht an Naturfreunde und Naturfotografen aus aller Welt.


Buchtipps:

Herman Schalow
Beiträge zur Vogelfauna der Mark Brandenburg
Reprint des Bandes aus dem Jahre 1919
640 Seiten, Leinen mit Goldprägung und Schutzumschlag,
16,5 x 24 cm, s/w Natur+Text, Rangsdorf 2004
ISBN 978-3-980762-79-3, Preis 50,00 Euro

Rudolf Kuhk
Die Vögel Mecklenburgs
Faksimile der Erstveröffentlichung von 1939
mit persönlichen Nachträgen des Autors
Mit einer Biografie Rudolf Kuhks, der Entstehungsgeschichte
des Buches und Kommentaren von Joachim Neumann.
479 Seiten, Hardcover, 17 x 24 cm, (historische) s/w-Abbildungen,
(historische) s/w-Fotos, Natur+Text, Rangsdorf 2012
ISBN 978-3-942062-06-0, Preis 39,50 Euro

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Quelle:
naturmagazin, 30. Jahrgang - Nr. 1, Februar bis April 2016, S. 36 - 38
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Naturschutzfonds Brandenburg/Naturwacht
Natur & Text GmbH
Redaktion: Natur & Text GmbH
Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2016

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