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VÖGEL/506: Exotische Rallen mit ungewisser Zukunft - Kammbläßhühner in Europa (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2009

Exotische Rallen mit ungewisser Zukunft: Kammblässhühner in Europa

Von Philipp Meister


Der auffällig "dekorierte" Doppelgänger unseres Blässhuhns gehört zu den seltensten Wasservögeln in Europa. Außerhalb der Iberischen Halbinsel tritt das Kammblässhuhn (Fulica cristata) nur ausnahmsweise in Erscheinung, der Brutbestand ist sprichwörtlich verschwindend gering. Seit Anfang der 1990er Jahre finden in Spanien Auswilderungsprojekte und verschiedene Schutzmaßnahmen statt, die sich - wenn auch nur zögerlich - auf die bedrohte Population auswirken. In einigen Schutzgebieten kann man die Kammblässhühner inzwischen wieder regelmäßig beobachten und insgesamt besteht die Hoffnung, die Art auch in Zukunft in Europa erhalten zu können.


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Von den zahlreichen Brücken aus lassen sich die Kanäle, sumpfigen Senken und Feuchtwiesen des Naturschutzgebiets S'Albufera gut überblicken. Für europäische Gefilde bieten sich im Norden Mallorcas ungewöhnliche Beobachtungsmöglichkeiten: Zwei Kammblässhühner tragen am Schilfsaum aggressive Revierkämpfe mit einem benachbarten Paar Blässhühner aus, während wenige Gehminuten weiter bereits die jungen Kammblässhühner eines zweiten Paares gefüttert werden. Neben Kolbenente, Purpurhuhn und Weißkopfruderente wurden auf Mallorca in den vergangenen Jahren auch Kammblässhühner ausgewildert, die sich nun erfolgreich in Freiheit fortpflanzen.

Das Kammblässhuhn als südlicher und unser Blässhuhn als schwerpunktmäßig nördlicher Vertreter der Gattung Fulica sind sympatrische Arten, d. h. verwandte Arten, deren geografische Verbreitungsgebiete sich teilweise überlappen. In Spanien führt dies dazu, dass die beiden Rallenarten mitunter benachbart innerhalb eines Feuchtgebietes brüten. Während Blässhühner ein relativ breites Lebensraumspektrum nutzen, bevorzugen Kammblässhühner zum Brüten die in Spanien als Marismas bezeichneten Feuchtgebiete. Die flachen, offenen und in der Regel periodisch überschwemmten Biotope befinden sich häufig in Küstennähe. Voraussetzung für die Eignung als Brutgewässer sind ruhige Strömungsverhältnisse und eine ausreichende Lichtdurchlässigkeit des Gewässers, sodass sich Wasserpflanzen wie Armleuchteralgen, Laichkraut- und Saldengewächse ausbilden können. Neben Kamm- und Blässhühnern brüten in diesen Feuchtgebieten auch die seltenen Purpurhühner sowie gelegentlich Zwergsumpfhuhn und Kleines Sumpfhuhn.


Nur zur Brutzeit schwillt der Kamm

Mit ihren kugeligen roten Höckern oberhalb der weißen Stirnplatte fallen die Kammblässhühner zwischen März und September zwar sofort auf, nach dem Brutgeschehen bilden sich die angeschwollenen Stirnhöcker jedoch zurück und das Kammblässhuhn ähnelt dem Blässhuhn zum Verwechseln. In Größe und Gefiederfärbung sind bis auf die fehlenden weißen Armflügelhinterränder fast keine Unterschiede festzustellen. Erst bei genauerem Hinsehen kann man das dreieckige Kopfprofil mit der steileren Stirn sowie das ansteigende "Heck" des Kammblässhuhns erkennen, das durch den relativ flachen Rücken betont wird. An der Kopfpartie gibt es weitere kleine Unterschiede: Beim Kammblässhuhn läuft die Gefiederpartie zwischen Auge und Stirnschild zum Oberschnabel in einem abgerundeten Zügel aus, der beim Blässhuhn spitz nach vorne gezogen ist. Dadurch erweckt das Blässhuhn einen "vorwitzigen" Eindruck. Die Schnabelfarben weichen ebenfalls voneinander ab. Der Kammblässhuhnschnabel weist eine blaugraue statt einer fleischfarbenen Tönung auf.


Mediterrane Reliktpopulation am Rande Europas

Beim Kammblässhuhn handelt es sich um eine vorwiegend afrikanische Vogelart, deren nördliche Verbreitungsgrenze nur das südwestliche Europa tangiert. Die etwa 32000 Vögel umfassende afrikanische Population verteilt sich auf Süd- und Ostafrika mit Madagaskar, wobei der Schwerpunkt in einem zusammenhängenden Gebiet der Staaten Südafrika, Namibia, Botswana und Simbabwe liegt. Weitere inselhafte Vorkommen existieren in Kenia, Äthiopien und Uganda.

Das europäische Vorkommen des Kammblässhuhns beschränkt sich auf die Iberische Halbinsel und bildet mit den Brutvögeln Marokkos die isolierte mediterrane "Reliktpopulation", die etwa 3000 bis 5000 Vögel umfasst. Allerdings täuschen die Zahlen: Der europäische Brutbestand erreichte zu Höchstzeiten gerade einmal 50 bis 80 Paare, wobei in Spanien zwischen 1990 und 1999 jährlich nur fünf bis zehn Paare brüteten. In Portugal galt die Art zwischenzeitlich sogar als ausgestorben.

Obwohl die europäischen Kammblässhühner im Gegensatz zu den Blässhühnern nicht als Zugvögel eingestuft gelten, wanderten einzelne Tiere bis nach Südfrankreich, Italien und Malta. Solche Wanderungen finden ausschließlich im Winter statt, den ein Teil der europäischen Kammblässhühner vergesellschaftet mit Blässhühnern an der Mittelmeerküste verbringt. Der normale Aktionsradius der Kammblässhühner beträgt nur wenige Hundert Kilometer. Lediglich einige "Langstreckenathleten" in Südafrika legen bis zu 5000 Kilometer zurück. Ein Austausch innerhalb der mediterranen Brutpopulation zwischen Marokko und Spanien über die Straße von Gibraltar wird deshalb nicht ausgeschlossen, dürfte aber nicht allzu häufig vorkommen.


Andalusisches Bäumchen-Wechsel-Dich

Bereits seit den 1970er Jahren schwanken die Brutbestände der Kammblässhühner im Mittelmeerraum. In Algerien und Tunesien gilt das Brutvorkommen seitdem sogar als erloschen. Anhaltende Dürren, die den Lebensraum der Kammblässhühner zerstören, stellen die größte Gefährdung in den nordafrikanischen Ländern dar.

In Spanien ist die Situation komplexer. Innerhalb weniger Jahre kann sich das Verteilungsmuster des gesamten Brutbestandes komplett verschieben; und selbst angestammte Brutgebiete wie im Nationalpark Doñana oder dem Ebro-Delta bleiben jahrzehntelang unbesetzt. Bis in die 1960er Jahre war das Kammblässhuhn in Andalusien - dem südlichen Spanien - noch vergleichsweise gewöhnlich und lokal sogar häufig, doch wurde es im Folgejahrzehnt durch die Trockenlegung von Feuchtgebieten fast ausgerottet. Erst 1990 konnte sich in dieser Region wieder ein Brutbestand von knapp zwanzig Paaren bilden. Die Brutgebiete verlagerten sich dabei in die Mündungsdeltas von Cadiz und Malaga und die Marismas von Sevilla und Guadalquivir. Bereits Mitte der Neunzigerjahre verursachte eine anhaltende Dürre jedoch erneut einen starken Rückgang der Brutzahlen.

Angesichts dieser bedrohlichen Situation stellte BirdLife International im Jahr 1999 einen Aktionsplan für das Kammblässhuhn in Spanien, Marokko, Algerien und Portugal auf. Dieser empfiehlt neben Forschungsprojekten, der Wiederherstellung und dem Erhalt von Feuchtlebensräumen, Jagdrestriktionen und anderen Schutzmaßnahmen auch die systematische Auswilderung von nachgezüchteten Kammblässhühnern.


Jährlich werden Dutzende Vögel ausgewildert, von denen nur wenige brüten

Nachzucht und Auswilderung finden in verschiedenen Regionen an der spanischen Mittelmeerküste statt. In Andalusien werden bereits seit 1992 Kammblässhühner ausgewildert. Bisher wurden von der Station "Canada de los Pajaros" über 500 Tiere nachgezüchtet und ausgesetzt. Vergleichbare Projekte sind im Llobregat Delta bei Barcelona und auf den Balearen angesiedelt.

Auch in der Region Valencia im Osten Spaniens werden seit 1999 Kammblässhühner ausgewildert, deren Monitoring im Rahmen von Brut- und Rastvogelzählungen erfolgt. Der Bruterfolg ist in manchen Jahren allerdings recht bescheiden: Im Jahr 2005 brüteten von den bis dahin ausgesetzten 600 Kammblässhühnern nur neun Paare.

Die Gründe für die geringe Reproduktionsrate könnte man in der Größe und Qualität der vorhandenen Lebensräume vermuten. Kammblässhühner bevorzugen zum Brüten offene Feuchtgebiete, die permanent oder zumindest zwischen Oktober und Juli von Süß- oder leicht brackigem Wasser überschwemmt sind und ausreichend pflanzliche und tierische Nahrung bieten. Einen Großteil der Nahrung nehmen die Vögel unterhalb der Wasseroberfläche auf, wozu sie relativ häufig tauchen. Nicht nur Hitzeperioden mit anhaltender Trockenheit gefährden die Brut der Kammblässhühner, sondern auch längere Regenfälle, die den Wasserspiegel zum Steigen und das Gelege in Gefahr bringen können. In einigen Feuchtgebieten dezimierten Überweidung und Mahd die Nahrungsgrundlage der Vögel, denn insbesondere wenn klimatische Faktoren sich bereits negativ auf die Unterwasservegetation auswirken, sind Kammblässhühner zum Nahrungserwerb auf feuchte, kurzrasige Ausweichflächen angewiesen.

Die negative Entwicklung des Kammblässhuhnbestandes erstaunt, wenn man sie mit der Blässhuhnpopulation in Südeuropa vergleicht. Bis zum Jahr 2000 nahm die Zahl der Blässhühner zu und hält sich seitdem etwa konstant auf einem Niveau. Auch in der Überlebensrate der Jungvögel spiegelt sich dieser Unterschied wider. Junge Kammblässhühner erreichen in Südspanien eine Überlebensrate von nur 30 bis 50 Prozent, während sie bei den Blässhühnern im selben Gebiet mit etwa 90 Prozent deutlich höher liegt. Da zwischen den beiden Arten keine Anzeichen einer interspezifischen Verdrängung vorliegen und das Blässhuhn "erfolgreich" brütet, scheint das Kammblässhuhn schlechter mit den vorherrschenden Lebensraumbedingungen zurechtzukommen.


Blässhühner sind bessere Nahrungsverwerter

Eine aktuelle Vergleichsstudie kommt zum Ergebnis, dass ein wichtiger Faktor für den unterschiedlichen Bruterfolg in der Nahrungsaufnahme der Rallen liegt. In Südspanien stellten sich Kammblässhühner als schlechtere Verwerter von faserreicher pflanzlicher Kost heraus, während Blässhühner geringwertige pflanzliche Nahrung besser aufschließen können. Dementsprechend müssen Kammblässhühner besonders im Herbst, wenn der Zelluloseanteil der Pflanzen höher ist, im direkten Vergleich zum Blässhuhn mehr Zeit in die Nahrungsaufnahme investieren. In Marokko finden Kammblässhühner hingegen ein breiteres und höherwertiges Nahrungsangebot vor, die dort untersuchten Tiere mussten seltener auf verholzte Pflanzenbestandteile ausweichen und nahmen effektiv mehr Nahrung auf. Auch die Sterblichkeit der Jungvögel war in Nordafrika geringer. Aus bislang nicht weiter untersuchten Gründen scheinen die Brutgewässer des Kammblässhuhns in Spanien qualitativ hinter den Brutlebensräumen in Marokko zu rangieren.


Jagd als "ökologische Falle"

Verschiedene Untersuchungen in Spanien belegen, dass auch die Jagd einen wesentlichen Einfluss auf den Bestand der Kammblässhühner ausübt. Vor allem im Winter, wenn sich Kammblässhühner mit großen Trupps von Blässhühnern vergesellschaften, finden gezielte Anfütterungen zur Jagd statt. Die Kirrungen mit Getreide werden dabei in Feuchtgebieten angelegt, die als Rastplätze geeignet sind und häufig schon mehrere Jahre lang frequentiert werden. Durch das Zusatzangebot an energiereicher Nahrung zeigen sich die Rallen dort sehr standorttreu und meiden die jagdfreien Gebiete, die einen größeren Aufwand zur Nahrungsaufnahme erfordern würden.

Entgegen der Annahme, dass überwinternde Vögel bei der Wahl einer Nahrungsfläche das störungsärmere und sicherere Angebot wählen würden, geraten die Kammblässhühner in eine sogenannte "ökologische Falle". Fast Dreiviertel des Blässhuhnwinterbestandes in der Region Valencia rastet in traditionellen Jagdgebieten, obwohl das Angebot an jagdfreien, natürlichen Nahrungsflächen weitaus größer ist. Dazu kommt, dass der Anteil der Vögel, der auf das Einsetzen der Jagd mit Abwanderung in ein alternatives Rastgebiete reagiert, unter fünf Prozent liegt.

Erschwerend für die Überlebenschancen der Rallen wirkt sich zudem ihr Fluchtverhalten aus. Kamm- und Blässhühner reagieren auf Schüsse mit mehrmaligem Abtauchen. Im Gegensatz zu aufgeschreckten Entenschwärmen verlassen sie das Gewässer nur zögerlich in kleinen Trupps und stellen dabei fortwährend Ziele für die Jäger dar. Daher liegt die Mortalität selbst in solchen Überwinterungsregionen Spaniens, in denen nur sehr lokal gejagt wird, für beide Rallenarten überdurchschnittlich hoch. Im Gegensatz zu den Blässhühnern, die über weite Strecken aus Mittel- und Südeuropa in die südspanischen Winterquartiere ziehen, setzt sich der Winterbestand der Kammblässhühner fast ausschließlich aus der regionalen Sommerpopulation zusammen. Demzufolge schlagen sich die Bestandsdezimierungen während der Wintermonate unmittelbar negativ im regionalen Brutbestand des folgenden Frühjahres nieder.


Noch zu retten...?

Aufwendige Nachzucht- und Auswilderungsmaßnahmen konnten die iberische Population des Kammblässhuhns bisher nicht entscheidend mit "Nachrückern" vergrößern, um Brutausfälle und Bestandseinbrüche zu kompensieren. Am Rande des nördlichen Verbreitungsgebiets der Art scheinen sich verschiedene Negativfaktoren aufzusummieren, die sowohl im menschlichen Einflussbereich als auch in der biogeografischen Konstellation begründet sind. Der aktuelle Trend im spanischen Naturschutz geht zum Erhalt und zur Verbesserung von Lebensräumen, um die Rahmenbedingungen für den Fortbestand des europäischen Kammblässhuhns zu schaffen.

Erfreulicherweise zeigten sich in den letzten Jahren auch einige positive Entwicklungen: Im Mündungsdelta des Barbate, im Mündungsbereich des Guadalhorce bei Malaga und in Doñana siedelten sich erstmals beziehungsweise nach längerer Abwesenheit erneut brütende Kammblässhühner an. Einige der Altvögel stammten nicht aus Auswilderungsprojekten, sondern scheinen bereits erfolgreich erbrütete Wildvögel zu sein.


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Stirnhöcker des Kammblässhuhns
Im Gegensatz zum weißen Stirnschild, das eine Verlängerung des Oberschnabels in eine breite und flache Hornplatte darstellt, handelt es sich bei den Stirnhöckern um ein separates "Zubehör". Sie bestehen aus pigmentiertem, verhorntem Hautgewebe und können im Jahresverlauf zu kugeligen Höckern anschwellen.
In ähnlicher Form tritt dies beim Amerikanischen Blässhuhn (Fulica americana) auf, dem zur Brutzeit ein einfacher rotbrauner Höcker über der Stirnplatte schwillt. Dabei handelt es sich wie bei den Stirnhöckern des Kammblässhuhns um ein geschlechtsunspezifisches Paarungsmerkmal. Selbst das eurpäische Blässhuhn weist dieses Phänomen auf: Die Ausdehung der weißen Stirnplatte verändert sich im Verlauf eines Jahres und erreicht zur Balz- und Brutperiode die maximale Ausdehnung.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2009
56. Jahrgang, Mai 2009, S. 190-195
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2009