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VÖGEL/584: Wettlauf gegen die Zeit - Wiesenweihen-Schutz in Sachsen-Anhalt (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/10
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Wettlauf gegen die Zeit
Projekt Wiesenweihen-Schutz in Sachsen-Anhalt

Von Annika Natus


Wenn René Fonger im Mai und Juni spazieren geht, dann fast ausschließlich in der Nähe von Getreideäckern. Hier brütet die Wiesenweihe, ein Greif aus der Habicht-Familie, der überall in Deutschland stark gefährdet oder beinahe ausgestorben ist.

Der zierliche Bodenbrüter mit seinem - je nach Alter und Geschlecht - bräunlichen bis grauen Gefieder tarnt sich bestens zwischen den Halmen der Getreidefelder, was ihm häufig zum Verhängnis wird. Landwirte übersehen beim Mähen die Gelege der Wiesenweihe, und Jungvögel, die noch nicht flügge sind, sterben einen grausamen Tod.

Anders ist das in der westlichen Altmark in Sachsen-Anhalt, wo der NABU ein beispielhaftes Projekt zum Schutz der Wiesenweihe initiiert hat, das 2009 auf das gesamte Bundesland ausgeweitet wurde. René Fonger, der das mit Landes- und EU-Mitteln finanzierte Projekt betreut, geht also nicht nur zum Spaß an den Äckern spazieren. Er hält Ausschau nach Gelegen der Wiesenweihe.


Zäune im Getreideacker

"Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit", sagt Fonger. Denn wo er Gelege findet, muss schnell gehandelt werden. Nicht nur Mähdrescher sind eine Gefahr für die seltenen Vögel, sondern auch natürliche Feinde wie Fuchs, Marder, Wildschwein und Waschbär. Um ihnen zuvor zu kommen, spricht René Fonger mit dem betroffenen Landwirt und zieht dann mit dessen Zustimmung einen meterhohen Zaun um das Gelege. Er hält hungrige Tiere ab und markiert den schützenswerten Ort, den der Landwirt bei der Ernte ganz einfach umfahren kann.

Wo der NABU die Gelege eingezäunt hatte, waren die Bruten ausnahmslos erfolgreich. "Wenn wir aber nichts unternehmen würden, gäbe es im Altmarkkreis 80 bis 90 Prozent Ausfälle", ist sich Fonger sicher. "Nach wenigen Jahren gäbe es dann nur noch so wenige Tiere, dass sie sich nicht mehr fortpflanzen könnten, so wie schon in vielen anderen Bundesländern." Für die Landwirte sind solche Schutzmaßnahmen ein organisatorischer Mehraufwand, schließlich müssen sie, nachdem die Jungvögel flügge geworden sind, das ausgesparte Gebiet noch einmal gesondert abernten. "Trotzdem sind die Landwirte sehr kooperativ und interessiert", hat René Fonger erlebt. Für ihren Aufwand entschädigt sie das Landesverwaltungsamt auch finanziell.


Betreuer gesucht

Ziel des NABU-Projektes ist es, das Schutzsystem landesweit zu etablieren. Jeder Landkreis soll einen Wiesenweihen-Koordinator bekommen, der Informationen über gefundene Gelege bündelt und die Naturschutzbehörde kontaktiert, um Ausgleichszahlungen für Landwirte zu beantragen. Denn die Behörden können bundesweit auf Fördertöpfe zugreifen, die zum Schutz gefährdeter Tierarten, also auch der Wiesenweihe bestimmt sind.

"Aller Anfang ist schwer", sagt René Fonger über den Fortschritt des Projektes. Zwar hat er bereits Koordinatoren für mehrere Landkreise gefunden, "aber ein Betreuernetz ist nie fertig", sagt er: "Es kann immer besser werden." In einem zweiten Schritt wünscht sich René Fonger, dass es auch auf Gemeindeebene mehr Aktive gibt, die wie er durch die Felder und Wiesen streifen, um nach Wiesenweihen Ausschau zu halten. Klar ist nämlich: Die Wiesenweihe kann man nur schützen, wenn man weiß, wo sie brütet.


Gefahren im Winterquartier

Ebenso deutlich ist, dass sich die Schutzmaßnahmen des NABU auszahlen: Von 20 bis 25 Brutpaaren in Sachsen-Anhalt befinden sich zwischen 13 und 16 Paare allein im Altmarkkreis. Ähnlich sieht es mit der Wiesenweihen-Population in der Region Mainfranken in Bayern aus, wo der bayerische NABU-Partner LBV schon seit Jahren ein Schutzprojekt betreibt: Von den deutschlandweit 400 Brutpaaren leben 130 allein dort. Weitere nennenswerte Vorkommen gibt es in Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit je 50 bis 60 Brutpaaren sowie in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit je 20 bis 40 Paaren. In den übrigen Regionen sind die eleganten Segler fast ausgestorben.

Doch nicht nur hierzulande, auch in ihren Winterquartieren in Afrika sind die Wiesenweihen Bedrohungen ausgesetzt. Hier ernähren sie sich hauptsächlich von großen Heuschrecken, die aber von den dortigen Landwirten mit Gift bekämpft werden, an dem auch die Greifvögel verenden. Holländische Vogelschützer arbeiten deshalb an der Aufklärung der Bevölkerung, damit möglichst viele Wiesenweihen sicher in ihre Brutgebiete zurückkehren.


Lebensraum-Wechsel

Aber auch in Deutschland ist viel Aufklärung zu leisten. Das beginnt schon bei der Information über den Lebensraum der Wiesenweihe. Legt ihr Name nahe, dass sie sich hauptsächlich auf Wiesen aufhält, so hat sich das - offenbar durch die Umgestaltung der Landschaft durch den Menschen - seit den 1970ern stark geändert. Da Getreide in der ersten Maihälfte, wenn die Wiesenweihen nach Balz- und Brutplätzen Ausschau halten, höher steht als die meisten Wiesen, brüten Wiesenweihen heute lieber in den ihr sicherer erscheinenden Getreidefeldern. Doch hier bedrohen die Auswirkungen des zunehmend milden, trockenen Klimas die Tiere, denn Getreide wird häufig schon Anfang Juli reif. Die meisten Jungvögel werden jedoch erst in der zweiten Julihälfte flügge und so erhöht sich die Gefahr, dass sie den Mähdreschern zum Opfer fallen.

Um die Wiesenweihen künftig noch besser schützen zu können, hat der NABU Westliche Altmark begonnen, die Tiere farbig zu beringen. Dadurch könne man die einzelnen Tiere leichter auseinander halten und die Bestandgröße besser abschätzen, erklärt René Fonger. Der Wiesenweihen-Schützer hofft nun, dass das Projekt auch über 2010 hinaus verlängert wird. Guten Mutes ist Fonger. Denn bei den zuständigen Stellen hat jeder längst Wichtigkeit und Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen erkannt.

Wer Gelege von Wiesenweihen oder auch einzelne Tiere entdeckt, kann dies an jede Untere Naturschutzbehörde melden. Weitere Infos zum Wiesenweihen-Projekt des NABU-Kreisverbandes Westliche Altmark erteilt René Fonger unter wiesenweihe.lsa@web.de.


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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/10, S. 20-21
http://www.nabu.de/nabu/nh/2010/1/11949.html
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010