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VÖGEL/626: Die Vogelwelt im Nordsteigerwald (Vogelschutz)


Vogelschutz - 3/2010
Magazin für Arten- und Biotopschutz

Die Vogelwelt im Nordsteigerwald

Von Dr. Georg Sperber


Alte Buchenwälder sind Specht-, Schnäpper- und Eulenwälder

Vogelbeobachter mieden bisher die siedlungsfernen geschlossenen Buchenwälder des Nordsteigerwaldes. Sie beobachten und forschen in der abwechslungsreichen Kulturlandschaft des Vorlandes und dessen Gewässern. Im Vergleich dazu blieb der Wissensstand um die Vogelwelt im Inneren der Wälder bescheiden.

Umso bemerkenswerter, dass wir über die historische Vogelwelt des Oberen Steigerwaldes um Ebrach vor 150 Jahren erstaunlich genau informiert sind. Es ist dem Wirken des naturkundigen Ebracher Wundarztes Ignaz Kress zu verdanken, der seine Feststellungen seinem im nahegelegenen Aischgrund lebenden Freund A. J. Jäckel, dem Nestor bayerischer Vogelkunde, mitteilte. 169 Vogelarten führt er auf, die meisten auf dem Zug beobachtet, oft als Beleg geschossen und für das königliche Naturalienkabinett in Bamberg präpariert. Auch über die Säugetiere berichtet Kress, so über den damals an allen Steigerwaldflüsschen vorkommenden Fischotter und über die trotz aller Verfolgung noch heimische Wildkatze, um deren Wiedereinbürgerung im nördlichen Steigerwald sich seit 25 Jahren der Bund Naturschutz bemüht.

Ausschnitt des Steigerwalds, ein einzelner Baum im Mittelpunkt - Foto: © Thomas Stephan

Der Steigerwald
Foto: © Thomas Stephan
Inzwischen liegt für den nördlichen Steigerwald die derzeit eingehendste wissenschaftliche Bearbeitung eines deutschen Buchenwaldgebietes vor. Jörg Müller hat in seiner Dissertation (2005) mit einem Team sachkundiger Spezialisten hier zahlreiche Buchenbestände unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Naturnähe systematisch auf Strukturen und Artenbestand erforscht. Als Indikatoren wurden neben Pilzen, Nachtfaltern und holzbewohnenden Käfern auch die Vögel kartiert. Insgesamt wurden 53 Brutvogelarten angetroffen. Das sind mehr als in den eingehend untersuchten berühmten Reservatbeständen in nordostdeutschen Tieflandbuchenwäldern, wo 48 Vogelarten nachgewiesen wurden.

Artenvielfalt und Siedlungsdichte waldtypischer Vogelarten hängen von der Naturnähe der Waldbestände ab, von deren Bestandsalter, dem Vorrat stehenden und liegenden Totholzes und dessen Zersetzungsstadien und der Vielzahl an Sonderstrukturen wie Höhlenbäumen, Totholzästen, Astabbrüchen, Ersatzkronenbäumen.

Die mit Abstand höchste Vielfalt waldtypischer Arten bei hoher Bestandsdichte wurde in den ältesten Reservatbeständen entdeckt. Sechs Spechtarten brüten hier.

Besondere Erwähnung verdient der Mittelspecht, von dem Deutschland ein Fünftel seines weltweiten Bestandes verantwortet. Entgegen der bisher üblichen Annahme seiner engen Bindung an die Baumart Eiche kann er auch in Buchenbeständen in hoher Dichte vorkommen, so diese nur alt, mit genügend grobborkigen Baumindividuen und reichlich stehendem Totholz ausgestattet sind. Der Mittelspecht ist seiner Natur nach ein "Urwaldvogel" unserer sommergrünen Laubwälder.

Ähnliches gilt für den Kleinspecht, der mit dem Älterwerden und der Anreicherung von Totholz nachweislich häufiger wurde. Ein sehr zuverlässiger Weiser für Naturnähe von Laubwäldern im Hügel- und Bergland ist der seit Jahren bundesweit stark gefährdete Grauspecht, dem die Insektenwelt modriger Tothölzer als wichtige Nahrungsgrundlage dient.

Eine Hohltaube, Kopf und Oberkörper sind zu sehen, lugt aus ihrer Baumhöhle - Foto: © Thomas Stephan

Die Hohltaube gehört zu den Charakterarten des Nordsteigerwaldes
Foto: © Thomas Stephan

Der im Nordsteigerwald allgemein verbreitete Schwarzspecht eröffnet als Schlüsselart mit seinen geräumigen Höhlen zahlreichen Nachmietern geeignete Nischen. Dazu gehört die Hohltaube, die eine Charakterart des Nordsteigerwaldes ist. Mit der beschleunigten Abnutzung alter Buchenbestände in den 1960er Jahren ging diese Holztaube auch hier alarmierend zurück. Durch konsequentes Erhalten der Höhlenbäume überlebt in einigen hundert Brutpaaren eine der bedeutendsten bekannten Brutpopulationen in Mitteleuropa. Ein weiterer von Jahr zu Jahr im Brutbestand markant wechselnder Folgenutzer von Schwarzspechthöhlen ist der Raufußkauz. Seine Dichteschwankungen sind abhängig von der Massenvermehrung von Gelbhals- und Rötelmaus, die ihrerseits durch die Ergiebigkeit der Samenjahre von Buche und Eiche gesteuert werden.

Ein Raufußkauz lugt aus seiner Baumhöhle, nur das 'Gesicht' ist von vorn zu sehen - Foto: © Thomas Stephan

Ein Raufußkauz lugt aus seiner Höhle
Foto: © Thomas Stephan

Eine echte Überraschung im nördlichen Steigerwald bescherte den Vogelkundigen ab Mitte der 1990er Jahre der Sperlingskauz. Er brütet hier entgegen der bisher angenommenen engen Bindung an Fichtenwälder in erstaunlicher Dichte in nahezu reinen, mehrschichtigen und spechthöhlenreichen Laubwäldern.

Eine Besonderheit des Steigerwalds ist der elegante Halsbandschnäpper. Hier in Unterfranken an der Nordwestgrenze seines geschlossenen Areals ist derzeit der Schwerpunkt seiner Vorkommen in Deutschland. Ein Nationalpark im Nordsteigerwald wäre das erste deutsche Waldgroßschutzgebiet mit dem Halsbandschnäpper als Charaktervogel. Er ist an totholzreiche alte Buchen-Traubeneichen-Bestände gebunden. Der Halsbandschnäpper weist im Buchenwald ebenso wie der Mittelspecht als Indikator auf "Urwaldqualitäten". Noch höhere Ansprüche stellt der Zwergschnäpper. Hier am äußersten Westrand seines riesigen Areals findet man ihn gelegentlich nur in den urigsten Reservaten. 1856 hatte ihn Ignaz Kress erstmals nahe Ebrach nachgewiesen und sein Verhaltens anschaulich beschrieben.

Schwarzstorchhorst mit vier langbeinigen Jungtieren auf einem wettergegerbten Baum im Steigerwald - Foto: © Thomas Stephan

Schwarzstorchhorst mit vier Jungtieren im Steigerwald
Foto: © Thomas Stephan


Rückkehr der großen Vögel

Die bezeichnendste Greifvogelart der Laubwälder unserer FFH-Gebiete ist der Wespenbussard. Er horstet in den zweischichtigen alten Buchen-Eichenbeständen in überraschend hoher Dichte. Der Kolkrabe ist Ende der 1990er Jahre in den Steigerwald zurückgekehrt, wo er seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet war. Die Ausbreitung des Schwarzstorchs in Bayern, von dem unser Gewährsmann Ignaz Kress für den Steigerwald um 1850 nur ein gelegentlich einer Hühnerjagd geschossenes Exemplar erwähnt, ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Von einzelnen Paren in Truppenübungsplätzen der Oberpfalz ausgehend, brütet er heute in mehr als 70 Paaren in Bayern. Im Steigerwald kommen die vielen Waldweiher und Hunderte von Forstleuten errichtete Tümpel seinen Nahrungsansprüchen entgegen. Auch der Uhu war durch Verfolgung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts im Steigerwald ausgerottet. Erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts brütet er wieder regelmäßig zunächst in einem der wenigen Steinbrüche. Häufiger sind inzwischen Bodenbruten. 2005 wurde eine erfolgreiche Baumbrut inmitten der größten Graureiherkolonie der alten Bundesländer an der Nordostgrenze des Steigerwaldes in einem Steilhangwald zum Maintal bekannt.

Aus globaler Sicht muss im Zentrum deutscher Naturschutzbemühungen die Erhaltung der Buchen-Eichenwälder mit ihrem typischen Arteninventar stehen


Einsichten aus der Biodiversitätsresolution 1992: Deutschlands Naturerbe Buchenwälder und ihre Vogelwelt

Die legendäre Resolution zur Biodiversität der UN-Umweltkonferenz 1992 in Rio hat die Gewichte auch im deutschen Vogelschutz grundlegend verschoben. Aus globaler Sicht muss im Zentrum deutscher Naturschutzbemühungen die Erhaltung der Buchen-Eichenwälder mit ihrem typischen Arteninventar stehen. Martin Flade (1998) hat in einem provozierenden Aufsatz "Kleiber oder Wiedehopf" die deutschen Ornithologen auf diesen überraschenden Paradigmenwechsel aufmerksam gemacht. Die bisherigen "Flaggschiffe" des deutschen Artenschutzes seien attraktive Vorzeigevögel wie Seeadler, Wanderfalke, Uhu, Raufußhühner oder Weißstorch und Kranich gewesen. Arten mit riesigen eurasischen oder sogar globalen Vorkommen, die in ihrem Bestand insgesamt nicht gefährdet sind, bei uns meist am Rande ihrer Areale oder sogar in der Verschleißzone ihres Populationsüberschusses existieren.

Betrachtet man dagegen die Brutvogelarten, die in ihrer globalen Verbreitung auf Europa beschränkt sind und weiterhin die, welche über Europa hinaus vorkommen, von denen in Deutschland zehn und mehr Prozent ihres europäischen Bestandes brüten und deren Population zugleich die größte oder zweitgrößte Europas ist, dann ergeben sich überraschende Erkenntnisse. Etwa die Hälfte dieser Arten sind echte Waldvögel, ein Drittel an Buchen- und Eichenwälder mit altem Baumbestand gebunden. Von Sumpfmeise, Sommergoldhähnchen, Misteldrossel, Ringeltaube brütet mehr als ein Fünftel des Weltbestandes bei uns. Die Hälfte der Mäusebussarde Europas, 35 Prozent der Habichte, 20-25% der Schwarzspechte, Waldkäuze, Amseln und Kernbeißer, 10-15% aller Grauspechte, Buntspechte, Kleinspechte, Hohltauben, Kohlmeisen und fünf weiterer Waldarten brüten in deutschen Wäldern. Der Schutz solcher Arten ist die Pflicht- und Hausaufgabe deutschen Naturschutzes, die Fürsorge um unsere bisherigen Flaggschiffarten eine zusätzliche Kürübung.


Der Autor

Dr. Georg Sperber
Forstdirektor a.D

Von 1972 bis 1998 Leiter des Forstamtes Ebrach im Steigerwald. Als stellvertr. Leiter war er maßgeblich am Aufbau des Nationalparks Bayerischer Wald beteiligt und ist bekannt als Autor zahlreicher Fachbeiträge und Bücher.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Absterbende Bäume wie dieser bieten Nahrung und Brutplätze nicht nur für Spechte
Mittelspecht
Halsbandschnäpper
Seit Mitte des 18. Jhdts. galt er hier als ausgestorben. Ende der 1990er Jahre ist der Kolkrabe in den Steigerwald zurückgekehrt

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Quelle:
Vogelschutz - 3/2010, S. 6-9
Magazin für Arten- und Biotopschutz
Herausgeber:
Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. -
Verband für Arten- und Biotopschutz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2010