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VÖGEL/960: Ameisen sind sein Leben - Der Grünspecht (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 1/14
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Ameisen sind sein Leben

Der Grünspecht ist Vogel des Jahres 2014.



Ja, gibt es das denn? Eben war er noch da, ganz deutlich. Vorne am Waldrand, grün auf weiß, ein Grünspecht hüpfend auf dem harschen Altschnee. Und jetzt: wie vom Erdboden verschluckt.

Na also, da ist er doch wieder - und fliegt mit einem "kjückkjückkjück" auf und davon. Ganz klar ein Grünspecht, er beschleunigt mit schnellen Flügelschlägen, segelt dann ein Stück, schließlich wieder Flügelschläge. Wie in langgezogenen Wellen fliegt der Specht und dann ist er zwischen den Bäumen verschwunden. Und im Schnee tatsächlich ein Loch. Hier war der Grünspecht verschwunden.

Nahrungssuche im Schnee
Auch wenn der Grünspecht zu den sogenannten Erdspechten gehört, er wohnt nicht dort unten in dem Schneeloch. Der Specht war auf Nahrungssuche, hier muss irgendwo ein Ameisenbau sein. Grünspechte finden die Ameisennester zielsicher auch unter einer höheren Schneedecke. Um an die eiweißreiche Beute zu kommen, kann er gut 20 bis 30 Zentimeter hohen Schnee wegräumen oder auch tiefe Gänge durch den Schnee graben, um dann trichterförmige Löcher bis zu dem Gangsystem der Ameisen zu schlagen. Zu solchen Trichtern kehrt er immer wieder zurück.

Unter allen europäischen Spechten hat der Grünspecht die längste Zunge. Er kann sie bis zu zehn Zentimeter vorstrecken. Dabei hilft ihm sein Schnabel als kombiniertes Werkzeug, das er als Meißel, Zange oder Axt einsetzt. Er schlägt Löcher in Ameisennester im Boden oder in weiche Baumstümpfe. Seine mit Widerhaken besetzte Zunge ist gleichzeitig ein hochempfindliches Tastorgan, mit dem er in die Ameisengänge eindringt. Gefundene Ameisen, Larven und Puppen bleiben an ihr kleben. Nur zu einem sehr geringen Teil fressen Grünspechte auch andere Insekten, Regenwürmer und Schnecken sowie Beeren und Obst.

Verdopplung der Bestände
Anders als die Bekassine, Vogel des Jahres 2013, ist der Grünspecht in seinem Bestand derzeit nicht bedroht. Im Gegenteil: In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Zahl der Brutpaare in Deutschland auf 42.000 bis 76.000 verdoppelt. "Kurz- und mittelfristig sind die Grünspechtbestände stark von der Härte der Winter abhängig", erklärt NABU-Vogelschutzexperte Lars Lachmann. "Bei viel Schnee und langen Frostperioden sterben viele Grünspechte, weil sie dann trotz ihrer Grabfähigkeiten nicht mehr an die Ameisen herankommen. Jahre mit milderen Wintern kann der Grünspecht nutzen, um seine Populationen wieder aufzubauen. In den letzten 20 Jahren hatten wir viele milde Winter, weshalb der Grünspechtbestand zunehmen konnte. Dass sich dieser Trend auch schnell wieder umkehren kann, zeigen die neuerlichen Bestandsabnahmen nach den vergangenen drei Wintern, die wieder härter waren."

Langfristig ist entscheidend, ob Grünspechte, die den Winter überstehen, ausreichend geeignete Lebensräume vorfinden. "Leider beobachten wir derzeit das zunehmende Verschwinden von Streuobstwiesen und einen starken Rückgang von extensiv genutztem Grünland durch Düngung oder Umbruch in Äcker", betont Lachmann. "Wir müssen also dafür sorgen, dass der Grünspecht weiterhin ausreichend Lebensraum hat, um in Phasen mit wärmeren Wintern Einbrüche aus kalten Wintern ausgleichen zu können."

Industriebrache statt Obstwiese?
Dabei zeigen die Daten des sogenannten Brutvogelmonitorings, dass die Grünspecht-Bestände in Waldgebieten nur wenig, in den Siedlungen jedoch sehr deutlich angestiegen sind. "Diese Tendenz der Verstädterung gibt es derzeit bei einer Reihe von Vogelarten", so Lachmann. "Grund dafür sind sowohl die Verarmung der Lebensräume unserer Kulturlandschaften, als auch das Entstehen geeigneter Bedingungen im Siedlungsraum. Der Grünspecht hat zum Beispiel innerstädtische Industriebrachen als Brutgebiete entdeckt, so dass er etwa im Ruhrgebiet inzwischen besonders hohe Vorkommensdichten erreicht. Hier findet er ameisenreiche Rohbodenstandorte. Geeignete Brutbäume findet er dann in benachbarten Gärten und Parks."

Werden Pestizide oder Insektizide eingesetzt, verliert der Grünspecht seine Nahrungsgrundlage, die Ameisen.

Doch städtische Brachen sind nicht unbedingt von Dauer. Oft werden sie neu bebaut oder in Grünanlagen umgewandelt. Hier kommt es dann auf die Pflegeintensität an. Werden Pestizide oder Insektizide eingesetzt, verliert der Grünspecht seine Nahrungsgrundlage. Das Einwirken auf die Grünflächenämter im Sinne einer naturverträglichen Pflege ohne Giftspritze gehört deshalb neben Schutz und Bewirtschaftung der Streuobstwiesen - einem ohnehin traditionellen NABU-Arbeitsschwerpunkt - zu den wichtigen Aufgaben im Grünspechtjahr.

Frühlingsgefühle im Januar
Und unser Schnee-Specht? Der hat nun tief im Winter bisweilen bereits Frühlingsgefühle. Schon Ende Januar starten die Grünspechte nämlich mit den ersten Balzgesängen. Anders als etwa der Buntspecht, beim dem das Trommeln die Paarungszeit bestimmt, fällt der Grünspecht durch seine Ruf laute auf. Sein ganzjährig ertönender dynamischer, meist mehrsilbiger Ruf gleicht einem gellenden Lachen. Zur Balzzeit baut der Grünspecht diesen Ruf zu einer langen lachenden Strophe aus, um sein Revier zu markieren und die Damenwelt zu beeindrucken.

Obwohl der Grünspecht so auffällig lacht, ist er vom Wesen eher scheu. Selbst untereinander, denn im August, nach der Brutzeit, trennt sich das Grünspechtpaar wieder. Wer Grünspechte aus der Nähe ansehen möchte, sollte ausdauernd sein. Täglich fliegen sie die gleichen Routen und besuchen dieselben Plätze, um Ameisen zu finden. Unter allen Spechten ist der Grünspecht am stärksten auf sie spezialisiert. Auch seine Jungvögel füttert er ausschließlich mit Ameisen. Während andere Spechte ihre Nahrung an Bäumen finden, sucht er gezielt auf lockeren Böden mit Störstellen ohne oder mit wenig Vegetation.

Gemeinsamer Höhlenbau
Dennoch sind alte Bäume für den Grünspecht lebenswichtig. Nur in ausreichend dicken Bäumen mit weichen Stellen kann er seine Höhlen anlegen, bevorzugt in zwei bis zehn Metern Höhe. Grünspechte beginnen häufig mehrere Höhlen, die in späteren Jahren, wenn der Höhlenanfang etwas angefault ist, fertig gebaut werden. Das Eingangsloch ist meist sechs mal sieben Zentimeter groß. Der gemeinsame Höhlenbau ist ein Ritual, das Männchen und Weibchen aneinander bindet. Doch nicht jedes Jahr gönnt sich der Grünspecht eine neue Behausung. Oft bezieht er auch vorhandene Höhlen, wie die Schlafhöhle aus dem vergangenen Winter.

Alte Bäume sind für den Grünspecht lebenswichtig.

Hat sich das Paar gefunden, legt das Weibchen im April und Mai in der Höhle fünf bis acht weiße Eier auf eine dünne Schicht von Holzspänen. Wie bei allen Spechten wird kein Nistmaterial in die Höhlen eingetragen. Beim Brüten wechseln sich Männchen und Weibchen ab. Falls die Brut nicht erfolgreich ist, wird sie ein bis zweimal wiederholt. Nach gut zwei Wochen schlüpfen die Jungen und werden nach weiteren drei bis vier Wochen flügge. Das Paar füttert die Kleinen auch nach dem Ausfliegen für einige Zeit und nimmt sie mit auf Nahrungssuche. Jungvögel übernachten nach dem Ausfliegen oft an den Stamm gekrallt. Nach einem knappen Jahr erreichen Grünspechte ihre Geschlechtsreife, so dass die Jungen bereits im Folgejahr selbst brüten.



Infomaterial

Wer mehr über den Grünspecht erfahren möchte, kann beim NABU eine 32-seitige Broschüre (ein Euro), eine Aufkleber-Postkarte (50 Cent) und ein Poster (kostenlos) bestellen. Bezug von Einzelexemplaren beim NABU-Infoservice, Tel. 030-28 49 84-60 00, info@nabu.de (je Bestellung 1,45 Euro Porto), größere Stückzahlen beim NABU-Natur-Shop,
www.nabu-shop.de.

Ausführliche Infos zum Grünspecht unter
www.vogel-des-jahres.de.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Beim Grünspecht-Weibchen fehlt im Unterschied zum Männchen der rote Fleck im schwarzen Bartstreif.
- Junger grünspecht beim Blick aus der Bruthöhle. Die Jungvögel erkennt man am gefleckten Gefieder.
- Nicht jedes Jahr gönnt sich der Grünspecht eine neue Behausung. Oft bezieht er auch vorhandene Höhlen aus dem vergangenen Winter.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/14, Seite 8 - 10
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2014