Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

VÖGEL/971: Ziegenmelker - Meist zu hören, kaum zu sehen (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 4/2013

Ziegenmelker
Meist zu hören, kaum zu sehen

Von Jürgen Herrmann



Namen hat er viele: Nachtschwalbe, Nachtvogel, Nachtschatten, Tagschläfer, Ziegen- oder Geismelker, Kuh- und Milchsauger; Alfred Edmund Brehm hat diese und noch weitere in seinem "Illustrirten Thierleben" von 1866 aufgezählt.


Die etwas absonderliche Vogelart findet seit alters her Beachtung. Schon Aristoteles nennt im 3. Jahrhundert v. Chr. den Namen, der heute noch im deutschen Sprachraum gilt: Ziegenmelker - das ist die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen und auch die der lateinischen Bezeichnung "Caprimulgus". Nach der Überlieferung stehlen Ziegenmelker Milch von Haustieren. Der Römer Plinius hat in seiner "Naturgeschichte" dieses Verhalten bestätigt, schlimmer noch: Die von diesem Vogel gemolkenen Ziegen würden bald danach siech und blind, schreibt er.

Wer einen Ziegenmelker betrachtet, ist verwundert über den schwächlichen Schnabel, der nur kurz aus dem Gefieder hervorragt. Doch wenn der Vogel ihn öffnet, wird ein "unnatürlich" großer, geräumiger Mund und Rachen sichtbar, in dem schon eine Ziegen- oder Kuhzitze ihren Platz finden könnte. Wahrscheinlich ist das der Ursprung der fantastischen Vorstellungen vom Milchstehlen, ebenso wie die Beobachtung, dass Ziegenmelker in der Dämmerung gern in der Nähe von Weidetieren (Ziegen, Schafe, Rinder) herumfliegen, weil sich Insekten bei den Tierherden aufhalten.

Ziegenmelker sind in der Dämmerung und während der Nacht aktiv. Ihre großen Augen können Insekten auch bei extrem schlechten Lichtverhältnissen orten. Sie ernähren sich ausschließlich von Insekten wie Stechmücken, Schnaken, nachtaktiven Schmetterlingen oder Käfern bis zur Maikäfergröße, die sie im Flug erbeuten. Ihr lautloser, wendiger Jagdflug mit raschen Flügelschlägen, jähen Wendungen, Gleitstrecken, raschen Stößen und Rüttelphasen spielt sich meist unterhalb der Baumwipfel ab. Ziegenmelker haben lange schmale Flügel und einen langen Schwanz, ihr Flugbild erinnert etwas an Turmfalke und Kuckuck.

Einen in der Abenddämmerung dahinjagenden Vogel, der wie ein Schatten rasch vorbeihuscht und Einzelheiten von Größe und Flugbild kaum erkennen lässt - das ist fast alles, was man von den Vögeln zu Gesicht bekommt - etwa bei einer der abendlichen Ziegenmelker-Exkursionen des NABU Berlin im Mai und Juni am nördlichen Stadtrand. Doch mit den Ohren erhalten wir eindrucksvollere Erlebnisse. Die Ziegenmelkermännchen, die um die Monatswende März/April aus ihren afrikanischen Winterquartieren zurückkehren, markieren mit langen Gesangsstrophen und lautem Flügelklatschen ihre Reviere und locken die einige Tage später eintreffenden Weibchen an. Allerdings würde man den "Gesang" wohl eher für ein mechanisches Geräusch, etwa für das Surren eines Spinnrads, als für eine Vogelstimme halten. Es ist ein meist minutenlanges Schnurren, das in regelmäßigen Abständen die Tonhöhe und Klangfarbe wechselt. Nach dem nächtlichen Treiben halten Ziegenmelker an ihrem Rastplatz Tagesruhe. Das ist oft am Boden oder auf einem stärkeren Ast, auf dem sie - anders als die meisten Vögel - der Länge nach sitzen. Dort ruhen sie während der hellen Tageszeit nahezu bewegungslos und sind durch ihre Tarnfärbung (graubraun mit schwärzlichen, gelblichen und beigen Mustern) kaum zu entdecken. Am Boden befindet sich auch das "Nest" der Ziegenmelker - die Stätte, an der sie ihre beiden Eier einfach auf den Heideboden ablegen. Nach einer Brutzeit von etwa 17 bis 20 Tagen trippeln die Jungen schon nach wenigen Tagen in der näheren Umgebung herum. Offene trockene Heidegebiete mit Sandböden, die tagsüber gut Wärme aufnehmen und nachts wieder abgeben, sind die bevorzugten Lebensräume des Ziegenmelkers. Er ist eine Leitart der Sand- und Kiefernheiden und hat lange auch im Berliner Grunewald gebrütet. Seit 1926 sind die Berliner Vorkommen allerdings erloschen. Heute sind die stadtnächsten Beobachtungsmöglichkeiten für Ziegenmelker in der Döberitzer Heide und der Schönower Heide zu finden - beides ehemalige Truppenübungsplätze.

Brandenburg verzeichnet mit rund 2.500 Brutpaaren bundesweit den höchsten Ziegenmelkerbestand. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in der südlichen Landeshälfte. Die heutigen Vorkommen sind fast ausschließlich auf Truppenübungsplätze und die Bergbaufolgelandschaften beschränkt. Die Brutvorkommen in den Wäldern und Forsten Brandenburgs sind inzwischen fast gänzlich erloschen. Im gesamten Bundesgebiet nimmt die Art seit den 1960er Jahren stetig ab.

Auch in Brandenburg ist der Ziegenmelker auf der Roten Liste des Landes als "Gefährdet" eingestuft. Todesfälle im Straßenverkehr und durch Stromleitungen stehen an der Spitze der Ziegenmelker, die den Vogelwarten gemeldet werden. Nur wenige Ziegenmelker werden von einer der drei deutschen Beringungszentralen markiert. Die allermeisten Rückmeldungen kommen aus dem Nahbereich des Beringungsortes. Da macht schon die Kontrolle eines in Norwegen beringten Vogels durch die Vogelwarte Helgoland Freude, wie kürzlich in der Zeitschrift "Die Vogelwarte" zu lesen war. Entsprechend gering ist unsere Kenntnis, was die Zugrouten und Winterquartiere der brandenburgischen Ziegenmelker betrifft. Im demnächst erscheinenden "Beringungsatlas Deutschland" wird das aktuelle Wissen zusammengefasst.

Fernfunde von Malta oder der marokkanischen Küste stellen bis jetzt die entferntesten Nachweise von in Europa beringten Ziegenmelkern dar. Der älteste Ringträger - ein Vogel aus Großbritannien - wurde elf Jahre und elf Monate alt.

Am heimlichen nächtlichen Ziegenmelker bleibt noch vieles zu erforschen. Eines ist jedoch gewiss: Nachtschwalbe mit zwölf Buchstaben heißt im Kreuzworträtsel immer Ziegenmelker.

*

Quelle:
NATURMAGAZIN, 27. Jahrgang - Nr. 4,
November 2013 bis Januar 2014, Seite 12-13
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Redaktion:
Natur & Text in Brandenburg GmbH
Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
Tel.: 033708/20431, Fax: 033708/20433
E-Mail: verlag@nutonline.de
Internet: www.nut-online.de
 
Das naturmagazin erscheint vierteljährlich und kostet 4,30 Euro
oder 16,50 Euro im Abonnement (4 Ausgaben). Schüler, Studenten und
Mitglieder eines Naturschutzverbandes zahlen jährlich 12,50 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2014