Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → BRENNPUNKT


GEFAHR/018: Brandsatz Fukushima - Eiswall gescheitert, das nächste bitte ... (SB)


In Fukushima ist alles im Griff ...

... fragt sich nur, in wessen!

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Als in den Stunden und Tagen nach dem schweren Erdbeben und meterhohen Tsunami vom 11. März 2011 Explosionen in drei von sechs Reaktoren des zerstörten japanischen Akw Fukushima Daiichi auftraten und im vollbeladenen Abklingbecken eines vierten Meilers ein Brand ausbrach, hielt die Welt den Atem an. Nur 25 Jahre nach der schweren Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, durch die halb Europa mit radioaktiver Strahlung überzogen wurde, baute sich im Norden Japans ein Schadensereignis auf, das Tschernobyl in den Schatten stellen könnte. Die Bemühungen, den Unfall in den Griff zu bekommen, bleiben vergebens, waren Blendwerk zur Beruhigung der Bevölkerung, der Nachbarstaaten und der Aktionäre der Akw-Betreibergesellschaft Tepco. Oder sie erzeugten Folgeschäden, wodurch weitere Sachzwänge geschaffen wurden, die zu beheben nunmehr zwingend erforderlich geworden war.

An dieser Eskalationsentwicklung hat sich bis heute wenig geändert. Nun ist auch das letzte größere Vorhaben, die Errichtung eines unterirdischen Eiswalls, grandios gescheitert. Wie die japanische Tageszeitung Asahi Shimbun [1] meldete, hat eine Expertengruppe der japanischen Atomaufsichtsbehörde NRA (Nuclear Regulation Authority) am 18. August einen Bericht Tepcos über den Zustand des havarierten Akw erhalten, aus dem hervorgeht, daß der Eiswall das Eindringen von Grundwasser in den Reaktor 1 des Akw offensichtlich nicht oder nur geringfügig aufgehalten hat. Die Versuche sind fehlgeschlagen, stellte Prof. Yoshinori Kitsutaka von der Tokyo Metropolitan University, der Mitglied der NRA-Kommission ist, fest. Auch wenn Tepco an seinem bisherigen Plan festhalte, müsse es eine andere Lösung vorschlagen.

Das Akw Fukushima Daiichi war über einem unterirdischen Fluß errichtet worden. Von den Bergen kommend strömt das Grundwasser seit dem Unfall nicht mehr nur unterhalb des Akw weiter ins Meer, sondern dringt durch die zerstörten Fundamente in die Meiler ein, mischt sich mit dem hochverstrahlten Kühlwasser und fließt dann weiter in den Pazifik. Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr strömen seit Beginn der Katastrophe täglich 300 bis 400 Tonnen radioaktiv kontaminiertes Grundwasser ins Meer.

Mit dem aus Steuergeldern finanzierten 344 Millionen Dollar teuren Eiswall (34,5 Milliarden Yen), dessen Bau im März von der Firma Kajima begonnen wurde, sollte das Eindringen des Grundwassers auf eine Menge verringert werden, die handhabbar schien - eine gezielt verbreitete Erwartung, an deren Erfüllung allerdings schon im Vorfeld Zweifel aufgekommen waren. Noch nie zuvor war die Methode des Eiswalls bei einem so großen Projekt verwendet worden, geschweige denn daß so eine Anlage jemals für den Dauerbetrieb geplant worden wäre.

Noch ist das Projekt nicht abgeschlossen, noch fließen Steuergelder in seine Umsetzung, doch hat es sich bereits herausgestellt, daß unvermindert gleich große Mengen an radioaktivem Wasser ins Meer fließen wie zu der Zeit, als die 1,5 Kilometer lange Vereisungsmaschine rund um die Meiler 1 bis 4 noch nicht angeworfen worden war. Tepco behauptet zwar, daß 99 Prozent der Thermometer entlang der Eisbarriere Minustemperaturen anzeigen, aber den Angaben zufolge liegt das verbliebene eine Prozent in den Grundwassergebieten mit besonders hoher Strahlenbelastung.

Ob der Eiswall auf 99 Prozent seiner Strecke tatsächlich dicht ist, wie hier mit den Temperaturangaben suggeriert wird, dürfte kaum zu überprüfen sein. Jedenfalls setzt Tepco seine Taktik fort, trotz des Scheiterns des einen Projekts die nächste Perspektive zu eröffnen. Nun sollen die nicht gefrorenen Bereiche durch Beton verstärkt werden. Etwas ähnliches wurde an anderer Stelle des Akw schon einmal versucht, doch unter den Bedingungen des fließenden Wassers war auch das fehlgeschlagen.

Das Scheitern des Eiswalls ist Inbegriff für das weitgehende Scheitern der gesamten Katastrophenbewältigung von Fukushima Daiichi: Bis heute wurden weder die radioaktiven Einleitungen in den Pazifischen Ozean zum Versiegen gebracht, noch ist es gelungen, auch nur mit robotischen Geräten in die Nähe der Kernschmelzbereiche der havarierten Reaktoren 1 bis 3 zu gelangen.

Die Aufwände, die erforderlich werden, um die Fukushima-Katastrophe zu bewältigen, könnten zu der irrtümlichen Annahme verleiten, daß, wenn nur dieser eine Unfall nicht eingetreten wäre, die Technologie der atomaren Spaltung an sich ein geeignetes Mittel zur Energiegewinnung sei. Bei dieser Vorstellung werden jedoch einige relevante Faktoren übersehen, beispielsweise daß in der Atomwirtschaft laufend kleinere und größere Unfälle passieren, daß auch durch den Normalbetrieb Radioaktivität freigesetzt wird und daß selbst durch den Abbau des Natururans und seine Verarbeitung zu Brennstäben Menschen zu Schaden kommen. Das könnte man durchaus als Scheitern dieser Technologie bezeichnen.

Die Betreiber der Atomkraftwerke werden von einem erheblichen Teil der Kosten, die sie verursachen, freigestellt, sei es bei der Katastrophenbewältigung von Fukushima, sei es der Endlagerung von Atommüll in Deutschland. Ginge es streng nach ökonomischen Gesichtspunkten, gäbe es vermutlich keine Atomkraftwerke, jedenfalls wären sie ohne staatliche Subventionen nicht gebaut worden.

Da aber mit dem Bau von Atomkraftwerken auch ganz andere Zwecke als die vorgebliche Bereitstellung von Energie für die Gesellschaft verfolgt werden, sind von Anfang an ökonomische Kriterien in den Hintergrund getreten. Nachgeordnet sind auch die unkalkulierbaren Risiken für Mensch und Umwelt. Es ist bekannt, daß sich die Krebsrate in der Bevölkerung durch den Normalbetrieb von Atomkraftwerken erhöht. Wen es trifft, weiß man nicht, aber daß es jemanden trifft, ist sicher. Dieses für die Betroffenen und ihre Angehörigen totale Scheitern des Lebensentwurfs wird von den Akw-Betreibern und politischen Entscheidungsträgern, die Atomenergie unterstützen, in Kauf genommen. Der Krebs- bzw. Todesfall geht in der Statistik unter - der oder die Täter können entkommen.

Weil im Prinzip bereits zu Beginn des Atomzeitalters klar war, daß menschliche "Kollateralschäden" unvermeidlich sind, kann man nicht einmal mehr davon sprechen, daß die Atomtechnologie an sich gescheitert ist. Sie erfüllt die in sie gesetzten Erwartungen, Kollateralschäden werden in Kauf genommen und dienen im Zweifelsfall dazu, ordnungspolitische Zwangsmaßnahmen, wie sie einst der Philosoph Robert Jungk in dem Buch "Der Atomstaat" angedeutet hat, zu legitimieren.

Man bräuchte nicht einmal die vorherrschenden Konsummuster zu kritisieren, die Produktionsverhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen oder gar die Eigentumsfrage aufwerfen, um festzustellen, daß es sehr wohl möglich wäre, den Industriestandort Japan (oder Deutschland, Frankreich, USA, Rußland, China ...) von einer zentralistischen, Konzernstrukturen begünstigenden Energieversorgung auf eine dezentrale, weitgehend autarke Form der Produktion und Bereitstellung von Energie zu transformieren. Daß die japanische Regierung dem Destruktionsmodell Atomtechnologie den Vorrang einräumt, verdeutlicht den grundsätzlichen Zwangscharakter der Industriegesellschaft.

Vier Jahre vor Beginn der nächsten Runde elitärer Konkurrenzkämpfe bei den Olympischen Spielen in Japan wird die Regierung in Tokio sicherlich noch die eine oder andere Groteske ähnlich der des Eiswalls inszenieren, um das Publikum von dem zerstörerischen Geschehen in Fukushima abzulenken und den eingeschlagenen, atomenergiefixierten Kurs fortzusetzen.


Fußnote:

[1] http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201608190060.html

22. August 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang