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KOHLEALARM/418: Klimakampf und Kohlefront - Medienmonster ... (SB)



Wo Rauch ist, da ist auch Feuer ... allein es zündet der Verdacht.
(H. B.)

Am Sonntagmorgen wurde der Finanzvorstand des Unternehmens Innogy, Bernhard Günther, überfallen. Der Manager war auf dem Heimweg vom Brötchenholen noch rund 200 Meter von seinem Haus in Haan bei Düsseldorf entfernt, als er zu Boden gestoßen und sein Gesicht mit Säure übergossen wurde. Dem 51jährigen gelang es, nach Hause zu eilen und den Rettungsdienst zu verständigen. Mit einem Hubschrauber wurde er zur Behandlung in eine Spezialklinik geflogen. Gegenüber den Sanitätern soll er angegeben haben, daß es sich bei den Tätern um zwei Männer zwischen 20 und 30 Jahren und von südländischem Aussehen handelte. Die Polizei bestätigte diese Angaben zunächst nicht, unter Verweis darauf, daß sie den Verletzten noch nicht befragen konnte. Inzwischen wurde eine Befragung durchgeführt, aber Günther konnte keine näheren Angaben zu den Tätern machen. Die Polizei ermittle in alle Richtungen, heißt es. Wegen eines möglicherweise politischen Motivs des Anschlags wurde der Staatsschutz in die Ermittlungen einbezogen.

Innogy ist eine Tochterfirma des Energiekonzerns RWE und deren Aushängeschild für erneuerbare Energien. Unter anderem betreibt das Unternehmen Ladestationen für Elektroautos. Die Bildzeitung zog sogleich eine Verbindung des Anschlags zum umstrittenen Tagebau Hambach, für den RWE ein riesiges Waldgebiet opfert. Im verbliebenen Rest des Waldes harren seit Jahren Waldbesetzerinnen und -besetzer aus, um die Erweiterung des Braunkohletagebaus zu verhindern. Die von Bild lancierte Mutmaßung über die angebliche Gewaltbereitschaft der Besetzer wurde von anderen Medien aufgegriffen und weiter verbreitet. Stellvertretend genannt seien hier Tagesspiegel, Deutsche Welle, Welt, FAZ und Badische Zeitung.

Diese berichteten im vermeintlich sachlich gehaltenen Tonfall, daß die Polizei vor allem in zwei Richtungen ermittle. Zum einen könnte es sich um einen Anschlag ähnlich dem auf den Mannschaftsbus des Fußballclubs Borussia Dortmund im April 2017 handeln, um sich am fallenden Aktienkurs zu bereichern, zum anderen wird der Säureanschlag in Verbindung mit den Protesten gegen den Braunkohletagebau Hambach gebracht. Beweise? Nicht einen. Indizien? Keine.

In der Vergangenheit hat es immer wieder Versuche seitens der Medien und auch des Energiekonzerns RWE, respektive seines Sicherheitsdienstes, gegeben, die Leute, die an der Waldbesetzung beteiligt sind, zu kriminalisieren und als gewalttätig darzustellen. Mit der geballten Medienmacht im Rücken ist es sehr einfach, einen Verdacht gegen die "Schmuddelkinder" im Wald auszusprechen. Auch wenn der Verdacht im gleichen Atemzug wieder zurückgenommen wird, wurde mit im Widerschein des angeblichen Qualitätsjournalismus bestens erprobter Unschuldsmiene schon mal die Hand an die Lunte gelegt, eine Hand, die fix dabei ist, die Tat zu vollenden, sollte sich der Wind drehen und das eigene Fähnchen flattern lassen.

So fragt man sich, was schwerer wiegt, wie die Bildzeitung mit grobem Keil irgendwelche wilden Spekulationen über eine mögliche Beteiligung der Waldbesetzerinnen und -besetzer an dem Säureattentat in die Welt zu setzen, oder unter Berufung auf die Bildzeitung deren Stochern im Nebel als Information von vermeintlicher Bedeutung weiterzugeben.

Der Katharina-Blum-Effekt greift noch immer, daran hat sich nie etwas geändert, seit Heinrich Böll seine inzwischen berühmte Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" über die Macht des sensationslüsternen Revolverblatts namens ZEITUNG veröffentlicht hat. Die Mechanismen, die das sehr viel größere, heutige Medienmonster wie im Schlaf anzuwenden versteht, sind jedoch noch subtiler, als in dem lesenswerten Roman geschildert. Vor dem Hintergrund früherer Bezichtigungen der Waldbesetzerinnen und -besetzer wird durch die Mainstreammedien, Schritt für Schritt, allmählich der Nährboden bereitet, auf dem sich die Ab- und Ausgrenzung exekutieren läßt. Daß dann irgendwann die schwarz-gelbe Landesregierung von NRW die endgültige Räumung des Hambacher Forstes anordnet und eine Wiederbesetzung verhindert, wäre nur noch der logische Vollzug.

Die Presse, die zeitweilig und zumindest partiell relativ wohlwollend über die Proteste gegen den Braunkohletagebau berichtet hatte - denkt man beispielsweise zurück an die im vergangenen November medienwirksam inszenierte Besetzung des Hambacher Tagebaus auf Initiative der Organisation Ende Gelände -, wird dann erwartungsgemäß sekundieren. Einen Makel wie den, möglicherweise an einem Säureattentat beteiligt gewesen zu sein, werden die Leute vom Hambacher Forst so schnell nicht wieder los, ganz egal, ob sie etwas damit zu tun hatten oder nicht. Die Bezichtigung ist es, die im Gedächtnis bleibt, nicht die Entlastung vom Verdacht. Wer erinnert sich noch an irgendeine Gegendarstellung zu irgendeiner Behauptung in der Zeitung, die sich als Falschmeldung erwiesen hat?

Für die Mainstreampresse und deren Leserschaft ist es sicherlich bequemer und nicht zuletzt beruhigender, das immer wieder formulierte Anliegen der Beteiligten an der Waldbesetzung, sich für eine friedliche und gewaltfreie Welt einzusetzen, mit einem Federstrich ins Gegenteil zu verkehren, und sie in die Nähe des willkürlich interpretierbaren Vorwurfs des "Linksextremismus" (Die Welt, Tagesspiegel ...) zu rücken, als die eigene, in der Regel verbrauchsintensive Lebensweise ernsthaft mit dem Anliegen der so Bezichtigten zu konfrontieren.

Der vierten Gewalt im Staate steht für solche Manöver in der Berichterstattung längst das entsprechende Instrumentarium zur Verfügung. Man spricht gar von "Terrorismus" und meint damit in der Konsequenz, daß die von vornherein schuldig gesprochenen Menschen ihren Anspruch verwirkt haben, Teil der Gesellschaft zu sein. Man versagt ihnen die Anerkennung und gestattet ihnen aber auch nicht, sich in einem Stückchen Wald dauerhaft einzurichten und dort die eigenen Vorstellungen davon, wie sie leben wollen, zu pflegen.

Und diese in der Praxis weiterzuentwickeln. Denn was ist schon der persönliche Widerspruch der "Waldmenschen" vom Hambacher Forst, die natürlich auch von der industriegestützten Lebensweise profitieren, indem sie deren Reste verwerten, gegenüber dem eklatanten Widerspruch eben jener industriegestützten Lebensweise, für die vom Rheinland bis zu den Ländern des Südens riesige Waldflächen verwertet und der Lebensraum und die Lebensweise von Millionen indigener Menschen zerstört werden - von der planetaren Bedrohung durch den von der fossilen Energiewirtschaft vorangetriebenen Klimawandel ganz zu schweigen?

Die Menschen im Hambacher Forst sind der Stachel im Fleisch einer Gesellschaft, die mit unermeßlicher Vernichtungsgewalt gegenüber ihrer Um- und Mitwelt den eigenen Fortbestand sichert und mit vielen Dingen äußerst intensiv befaßt ist, nur nicht damit, den menschlichen und nicht-menschlichen Blutfluß zum Versiegen zu bringen sowie die Myriaden Brandherde als zerstörerisches Resultat der vorherrschenden Produktionsweise und des bevorzugten Konsumstils unwiederbringlich zu löschen.

6. März 2018


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