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WALDSCHADEN/004: Grüne Lunge - der Lügen kurzer Atem ... (SB)


Brasilien - Entwaldung unterhalb des Radars

Landbesitzer tricksen Satelliten-Überwachungssystem aus


Brasilien hat schon viel Lob dafür eingeheimst, daß es ihm gelungen ist, im letzten Jahrzehnt die Entwaldungsrate drastisch zu verringern. Zwar werde noch immer mehr Wald abgeholzt als nachwächst, aber die exorbitant hohen Waldverluste von einst seien aufgrund politischer Maßnahmen vor allem aus dem Zeitraum 2004 bis 2008 verringert worden, so die weit verbreitete Einschätzung.

Dieses Bild muß anscheinend korrigiert werden. Einer neuen Studie zufolge beruhen die Erfolgsmeldungen auf Daten des Satellitenüberwachungssystems PRODES. Das hat offenbar ausgerechnet an den Gebieten, in denen größere Waldverluste aufgetreten sind, vorbeigeschaut. Das behauptet zumindest eine Forschergruppe um Peter Richards vom Institute for Environment and Society der Brown University in den USA. Die Forscher gehen sogar noch einen Schritt weiter, denn sie äußerten die Vermutung, daß die Landbesitzer den Wald genau in den Gebieten und dann auch noch auf eine Art und Weise gerodet haben, daß ihr Tun von PRODES nicht erfaßt wird. [1]

Brasiliens vermeintliche Erfolgsgeschichte im Kampf gegen Entwaldung liest sich so: Laut PRODES sank der Waldverlust von 25.000 km² im Jahr 2003 auf 5.200 km² jährlich während des Zeitraums 2009 bis 2013. Die Forschergruppe hält dem entgegen, daß zeitgleich in zwei anderen, inoffiziellen Monitoringsystemen größere Waldverluste beobachtet worden sind. Vermutlich gingen ab dem Jahr 2008 rund 9.000 km² Wald verloren, ohne daß dies von PRODES erfaßt worden sei, hieß es.

Von dem offiziell eingesetzten satellitengestützten Monitoringsystem werden weder trockener Wald, noch Sekundärwald, noch entwaldete Flächen von weniger als 6,25 Hektar Ausdehnung detektiert. Ausgerechnet in diesen drei Arten der Landbedeckung sind jedoch ab 2008 besonders hohe Entwaldungsraten zu beobachten. Die Forschergruppe legt den Finger in eine Wunde, die schon älter ist, und fordert nun Konsequenzen: PRODES sei ein Erfolg, aber das System müsse überarbeitet werden.

Angesichts dessen, daß Brasilien Waldschutzgesetze erlassen hat, die für Landbesitzer, die widerrechtlich Wald roden, empfindliche Geld- oder sogar Gefängnisstrafen vorsehen, ist es nicht verwunderlich, daß die Landbarone die Lücken des Systems nutzen. Sie wollen Flächen schaffen, um darauf beispielsweise Soja für die Viehfutterproduktion oder Eukalyptusbäume für Biosprit zu pflanzen.

Der Amazonas-Regenwald ist die größte zusammenhängende Waldfläche der Welt und gilt als die grüne Lunge des Planeten, weil die intakten Ökosysteme eines Primärwaldes aus dem Wasser große Mengen an Sauerstoff abspalten und der Atmosphäre zuführen. Diese Eigenschaft würde auf Dauer beeinträchtigt, sollte es Brasilien nicht gelingen, den eingeschlagenen Weg des permanenten Wirtschaftswachstums abzubrechen. Solange der Staat zuläßt, daß die Landbarone Profit aus der Zerstörung schlagen können, indem sie Flächen entwalden und für die Landwirtschaft nutzen, steuert die grüne Lunge langsam, aber sicher auf den Kollaps zu.

Brasiliens neue Regierung, die unter höchst zweifelhaften Umständen an die Macht gekommen ist - sie selbst widerspricht der Behauptung, es handele sich um einen Putsch -, hat Pläne gefaßt, die eine drastische Lockerung der Umweltgesetze vorsehen. Möglicherweise wird es deshalb bald keine Entwaldung unterhalb des Radars mehr geben - die Bäume werden dann ganz offen gefällt. Jedenfalls scheint es mit Blick auf den Waldschutz keine besonders gute Idee von Präsident Michel Temer zu sein, ausgerechnet den Soja-König Blairo Maggi zum Landwirtschaftsminister ernannt zu haben. Ihn hatte die Umweltorganisation Greenpeace im Jahr 2005 mit der "goldenen Kettensäge" ausgezeichnet: Unter allen Brasilianern war Maggi derjenige, der am meisten für die Zerstörung des Regenwalds getan hat ...


Fußnote:

[1] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/conl.12310/epdf

14. Oktober 2016


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