Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → FAKTEN


ATOM/359: Wildschweinfleisch aus Bayern ist weiterhin hoch radioaktiv belastet (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 734-735 / 31. Jahrgang, 3. August 2017 - ISSN 0931-4288

Nahrungsmittelbelastungen
Wildschweinfleisch aus Bayern ist weiterhin hoch radioaktiv belastet

von Thomas Dersee


1500 Angehörige der Jägerfamilien in Südbayern sind durch den Verzehr betroffen

Durch den Verzehr von hoch belastetem Wildschweinfleisch wurden 2015 allein in Südbayern 500 Angehörige von Jägerfamilien mit einer Dosis von 234 Mikrosievert belastet. Dies entspricht pro Person einer Belastung von 12 Röntgenaufnahmen der Lunge jährlich. Darauf weist Helmut Rummel hin, ehemaliger langjähriger Strahlenschutzbeauftragter für Radioaktivität und 4 Jahre lang Betreiber einer Qualifizierten Wildbretmessstelle (QWM) für Schwarzwild in Bayern.[1]

Weitere 200 Angehörige wurden vergleichbar mit 10 solcher Röntgenaufnahmen belastet, weitere 300 Angehörige mit vergleichbar 8 Röntgenaufnahmen und weitere 500 Angehörige mit vergleichbar 6 Röntgenaufnahmen, rechnet Rummel vor.[2]

Dieses Risiko wäre leicht vermeidbar, wenn jedes erlegte Wildschwein einer Radiocäsium-Messung zugeführt würde. Dies ist jedoch im Bereich des Bayerischen Jagdverbandes nicht der Fall, beklagt Rummel.

Eine Aufschlüsselung nach der Höhe der Belastung ergibt für das Jahr 2015 Rummel zufolge in allen Landkreisen und kreisfreien Städten der Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Schwaben:

183 Wildschweine mit 6.000 bis 18.500 Bq/kg.
071 Wildschweine mit 5.000 Bq/kg.
111 Wildschweine mit 4.000 Bq/kg.
177 Wildschweine mit 3.000 Bq/kg.

Erlegtes Wildbret, das an andere außerhalb des eigenen häuslichen Bereichs abgegeben oder verkauft werden soll, sogenanntes "In-Verkehr-Bringen", ist vorher auf Radioaktivität zu untersuchen. Von der Europäischen Union (EU) ist für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln ein Höchstwert für radioaktives Cäsium von 600 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg, hier: Bq Cäsium-137 pro kg Wildfleisch) vorgegeben worden, der nicht überschritten werden darf. Verantwortlich für den Nachweis, daß der Höchstwert für radioaktives Cäsium-137 im Wildbret eingehalten wird, ist der Jäger, der Wildbret "In-Verkehr" bringt. In Bayern wurde dafür ein Netz von "Qualifizierten Wildbretmessstellen" (QWM) bei der Jägerschaft eingerichtet, um dort das Wildbret auszumessen. Selbst erlegtes Wildschwein darf der Jäger jedoch gemeinsam mit allen seinen Familienangehörigen im eigenen Haushalt verzehren. Er ist nicht verpflichtet, es vorher messen zu lassen.

Die Messstellen müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen und von der zuständigen Behörde anerkannt sein. In ihrem Jahresbericht 2016 schreibt das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU Bayern): "Neben den Untersuchungen von Wildschweinen nach den Programmen des Bundes und des Landes führt das LfU auch Vergleichsmessungen zur Kontrolle der Messeinrichtungen der Qualifizierten Messstellen des Bayerischen Jagdverbandes und der Bayerischen Staatsforsten durch. Diese überprüfen in Eigenverantwortung die Verkehrsfähigkeit von Wildbret, weshalb diese Ergebnisse dem LfU nicht vorliegen." Das gilt auch für das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und das Umweltministerium. Das LfU Bayern gibt auch die Ergebnisse seiner Kontrollmessungen nicht an.

In seinem Jahresbericht 2016 gibt das LfU Bayern für Wildschweinfleisch aus 151 Messungen das Spektrum der Ergebnisse für Cäsium-137 mit 0,1 bis wenige 1000 Bq/kg an, mit einem Median von lediglich weniger als 10 Bq/kg. 32 der Proben hätten dabei unterhalb der Nachweisgrenze gelegen.

Die tatsächlichen Belastungen mit Cäsium-137, das aus der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl stammt, liegen in Südbayern dagegen 10- bis 30fach über dem Grenzwert der EU und werden zwar nicht "In den Verkehr gebracht", aber in vielen Jägerfamilien mangels Information über die zum Teil noch sehr hohen Meßwerte verzehrt, zeigt Rummel auf.

Von den 24.974 erlegten Wildschweinen im Jahr 2015 in Südbayern, berichtet Rummel, wurden 11.000 nicht gemessen, aber verzehrt.[3] Da die nicht gemessenen aus dem gleichen Gebiet und dem gleichen Zeitraum wie die gemessenen stammten, ist auch bei ihnen mit den gleichen hohen Belastungen zu rechnen.

Rummel beklagt, weder der Bayerische Jagdverband noch das Umweltministerium informiere die Jäger über die teilweise immer noch extrem hohen Messergebnisse. Im Gegenteil: Jahrelang stand im Internetauftritt des dafür zuständigen LfU folgender verharmlosender Vergleich, extra für die Jäger gedacht: "Der Verzehr von 1 kg mit 10.000 Bq/kg belastetem Wildschweinfleisch ergibt die gleiche Dosis wie 3 Prozent der natürlichen Umgebungsstrahlung."

Das führte zu erheblichem Leichtsinn bei vielen Jägern, was man dramatisch an den 11.000 allein in Südbayern nicht gemessenen Wildschweinen ersehen kann. Dies ist eines der wichtigsten Ergebnisse von Rummels Recherchen. Denn daß 11.000 Wildschweine allein in Südbayern nicht gemessen wurden, ist weder den Jägern, noch dem Bayerischen Jagdverband (BJV), dem LfU Bayern, dem LGL und dem bayerischen Umweltministerium bekannt. Ohne Kenntnis der immer noch vorkommenden hohen Messwerte können Jäger und Verbraucher keine Vorsorge treffen.


Anmerkungen

[1] helmutrummel[at]gmx.de, Tel. 0841/1709.

[2] Den Berechnungen liegen zugrunde: jeweils 3 Personen pro Jägerhaushalt; 1 Wildschwein, erlegt mit ca. 13 kg verwertbarem Fleisch, gekühlt in der Tiefkühltruhe des Jägerhaushalts; Verzehr von je 1 Mahlzeit von 250 Gramm im Monat, ergibt 3 kg pro Person und Jahr.

Beispielrechnung für die oben angeführten, am höchsten belasteten, 500 Personen: Belastung des Fleisches mit 6.000 Bq/kg x 3 kg = 18.000 Bq x 0,013 µSv/Bq = 234 Mikrosievert (µSv).

Erläuterung: Eine Röntgenaufnahme der Lunge entspricht 20 µSv. 234 Mikrosievert : 20 µSv/Röntgenaufnahme = 12 Röntgenaufnahmen.

0,013 µSv/Bq ist der Dosiskoeffizient der effektiven Dosis für das radioaktive Cs-137 für Kinder und Erwachsene ab 12 Jahre.

[3] Die 11.000 nicht gemessenen Wildschweine ergeben sich rechnerisch aus der Jagdstrecke Südbayerns abzüglich der Anzahl der gemessenen Wildschweine durch die Staatsforsten und dem Bayerischen Jagdverband. Die Anzahl der Messungen stammen vom Bayerischen Umweltministerium, die Jagdstrecken von der Obersten Jagdbehörde.


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_17_734-735_S08-09.pdf

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, August 2017, Seite 8 - 9
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang