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BUCH/618: David R. Montgomery - dreck (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 160 - Februar/März 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Stoffgeschichten: dreck Warum unsere Zivilisation den Boden unter den Füßen verliert

Von Jörg Parsiegla


Als sechster Band der Stoffgeschichten des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg erschien jetzt der Titel "dreck" des amerikanischen Autors David R. Montgomery - seines Zeichens Geologieprofessor an der Universität von Washigton in Seattle. Die Übersetzung des Originaltitels dirt: The Erosion of Civilisations (2007) besorgte Eva Walter.

Der Untertitel des Werkes ist Programm: Montgomery zeigt in seinem faktenreichen Buch, dass der Boden, der uns trägt, ziemlich knapp wird. Denn die moderne Landwirtschaft verbraucht fruchtbare Erdkrume schneller als sich neue bilden kann. Das vielleicht Neue an der Betrachtungsweise des Autors: Er weist nach, dass Bodenverbrauch nicht nur ein Gegenwartsproblem darstellt, sondern sich wie ein rotes Band durch (fast) alle Kulturen der Menschheitsgeschichte zieht - vom Zweistromland Mesopotamien über das antike Griechenland und Rom hin zu den Hochkulturen der Neuen Welt und der westlichen Kolonisierungsära.

Die Synthese aus geologischer, archäologischer und historischer Betrachtungsweise macht dreck zugleich opulent und informativ. So wird dem Leser das immer gleiche Muster des Bodenverlusts vermittelt. Ackerbau beginnt in den fruchtbaren Tälern, die jedoch irgendwann die anwachsende Bevölkerung nicht mehr ernähren können. Es folgt ein Ausweichen auf Hanglagen, deren Wälder zuvor gerodet wurden. Mit dem Pflügen und der nun verstärkt einsetzenden Erosion rutscht der Boden die Hänge hinunter. Einmal ausgelaugt, muss neuer Boden her, und der Kreislauf beginnt von vorn. Das funktioniert solange, wie neuer Boden verfügbar ist oder Wege und Mittel gefunden werden, den Boden ertragsfähig zu halten. Gelingt beides nicht, geht die Bevölkerung zugrunde oder wird zumindest stark dezimiert. Mit ihr und dem gesellschaftlichen Zerfall geht schließlich die gesamte Kultur unter (oder in eine neue auf, die es vermutlich - über kurz oder lang - nicht viel besser macht).

Montgomery beziffert dieses "kurz oder lang" mit 30 bis 70 Generationen oder zwischen 800 und 2.000 Jahren. Ausnahmen bestätigen die Regel: Die ägyptischen Nilbauern konnten ihr Land über 7.000 Jahre, bis zum Bau des Assuan-Staudamms, ernähren - dank der jährlichen Hochwässer mit ihrer einzigartigen mineralischen Schlammfracht aus Weißem und Blauem Nil. Aber auch kleineren Kulturen beziehungsweise Gesellschaften gelang und gelingt es, den Boden fruchtbar und am Ort zu halten. Montgomery beschreibt sie als "Inselerfahrungen" mit dem jüngsten Beispiel Kuba. Auch die Terra- Preta-Wirtschaft der einstigen Tieflandbauern Amazoniens ist hier einzuordnen.

Was erwartet den Leser außerdem? Natürlich macht Montgomery mit den konkreten, zum Teil altbe altbekannten, bodenerhaltenden Maßnahmen vertraut: Terrassierung, organische Düngung, abgestimmte Fruchtfolgen und Zwischensaat, Konturpflügen (das heißt entlang der topografischen Höhenlinien), Mulchen, Direktsaat ... Diese Verfahren müssen den Gegebenheiten vor Ort angepasst werden mit dem Ziel, Bodenerosion und Bodenbildung ins Gleichgewicht zu bringen. Andere Antworten zum Thema ziehen den Kreis weiter: Entschleunigung und Entglobalisierung der Landwirtschaft. In jedem Fall wird die Zeit knapp, den Bodenverlust aufzuhalten. Denn "Boden lässt sich nicht in für den Menschen relevanten Zeitabschnitten ersetzen. Er ist ein besonderer Stoff, eine unentbehrliche Ressource, die sich nur im Schneckentempo erneuert".

Montgomery verzichtet in seinem gut recherchierten, knuffig gebundenen Buch bewusst auf wissenschaftlichen Dokumentationsstil mit Tabellen und Diagrammen. Herausgekommen ist eine angenehme unaufgeregte Erzählweise, die auch einige Wiederholungen gut verkraftet.

David R. Montgomery
dreck
Warum unsere Zivilisation den
Boden unter den Füßen verliert
oekom verlag, München 2010
347 Seiten, 24,90 Euro
ISBN 978-3-86581-197-4


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 160 - Februar/März 2011
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2011