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DEBATTE/011: Wachstum, Wachstum über alles? - Interview mit Michael Frein (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 1/2009
Themen & AGs

Wachstum, Wachstum über alles?

Ein Interview mit Michael Frein
Von Monika Brinkmöller


Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt - so heißt die im Oktober 2008 erschienene Studie des Wuppertal-Institutes, die von Brot für die Welt, dem Evangelischen Entwicklungsdienst und dem BUND in Auftrag gegeben wurde. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Krisen - Klimakrise, Ressourcenkrise, Gerechtigkeitskrise, etc. - verlangt die Studie einen radikalen Zivilisationswandel - unter anderem die Abkehr vom ökonomischen Imperativ des Wachstums. "Dabei ist der Punkt nicht nur, dass Wachstum weitgehend zum Selbstzweck verkommen ist und meist nur Lösungen für Bedürfnisse vermarktet, die vorher niemand verspürt hatte. Sondern es mehren sich die Anzeichen, dass Wachstum mehr Nachteile als Vorteile produziert, also in der Gesamtheit die Grenzkosten des Wachstums schneller zunehmen als sein Grenznutzen. (...) Die Destabilisierung des Klimas sowie die soziale Aufspaltung vieler Gesellschaften sind dafür die herausragenden Beispiele. Deshalb steht der Wachstumszwang im Widerspruch zur Nachhaltigkeit. Erst wenn Wachstum zu einer Option unter anderen zurückgestuft wird, kann man einen Kapitalismus mit sozialem und ökologischem Mehrwert erwarten." (S. 28)

Frage: Die Börsenkurse fallen, Arbeitsplätze gehen verloren, überall droht ein massiver Rückgang des Bruttoinlandsprodukts. Von Wirtschaftswachstum kann zur Zeit jedenfalls keine Rede sein. Ist Deutschland damit nun auf einem guten Weg zur Zukunftsfähigkeit?

Michael Frein: Nein, sicherlich nicht. Zum einen nicht, weil die derzeitige Wirtschaftskrise zwar mit einer Reduktion des Ressourcenverbrauchs einhergeht, aber Fragen der sozialen Gerechtigkeit offensichtlich völlig außen vor lässt. Zum anderen nicht, weil die Rezepte zur Krisenbewältigung eben nicht auf einen Kurswechsel Richtung Zukunftsfähigkeit orientiert sind, sondern, so sie denn wirken, wieder auf den Pfad des wachstumsorientierten Wirtschaftens zurückführen.

Frage: Beispielsweise?

Michael Frein: Beispielsweise die Abwrackprämie. Sie ist nichts anderes als eine Subventionierung der Autoindustrie. Und es fehlt sogar noch jeglicher Anreiz, sich besonders umweltfreundliche Autos zuzulegen, oder gar auf klimaschonende Verkehrsmittel umzusteigen. Stattdessen wird argumentiert, dass neue Autos zumindest im Durchschnitt ja weniger CO2 in die Luft blasen als alte - als ob die Produktion eines Neuwagens völlig ohne Energie und Ressourcenverbrauch vonstatten ginge. Mehr noch: die Maßnahme ist sozial ungerecht. Nur, wer sich einen Neuwagen leisten kann, bekommt vom Staat 2.500 Euro. Wer sich mit Hartz IV über Wasser zu halten versucht, geht leer aus. Von Zukunftsfähigkeit kann also keine Rede sein, einziges Ziel scheint es zu sein, die Nachfrage künstlich hoch zu halten, bis die Industrie auch ohne staatliche Stützung genügend Autos verkaufen und dann weiter wachsen kann.

Frage: Aber führt es denn nicht aus der Krise, wenn das
Wirtschaftswachstum angekurbelt wird?

Michael Frein: Zunächst ist es eine Illusion, angesichts endlicher Ressourcen und der begrenzten Aufnahmekapazitäten der Atmosphäre für CO2 ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum zu erwarten. Dieses Problem wird verschärft durch die Schwellenländer, die nicht nur hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft, sondern auch mit Blick auf ihren Ressourcenverbrauch und ihre Umweltverschmutzung aufholen. Früher hieß es: was tun wir, wenn die Chinesen auch beginnen, Auto zu fahren? Heute fahren sie, und was tun wir? Wie wollen wir ihnen erklären, dass sie nicht fahren dürfen, wir aber wohl. Umgekehrt kommt aus vielen Entwicklungsländern das Argument, um im Bilde zu bleiben, wir seien lange genug gefahren, nun seien sie mal dran. Sodann gründet unser Wohlstand vielfach auf der Armut der anderen. Das ist zum einen die ganz klassische Form der Ausbeutung durch Dumping-Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, etc. Zum anderen versucht die deutsche Wirtschaft, durch eine Liberalisierung des Welthandels neue Märkte zu erschließen. Auch der Exportweltmeister will jedes Jahr mehr verkaufen.

Frage: Und nun?

Michael Frein: Schluss damit. Es geht nicht um Wachstum um jeden Preis. Wachstum ist gut, wenn es den Armen zugute kommt, und dabei weder die Umwelt schädigt noch die sozialen Menschenrechte verletzt. Deshalb ist eine bestimmte Form des Wachstums für Entwicklungsländer durchaus angesagt. Bei uns in Deutschland und den Industriestaaten insgesamt sieht das jedoch anders aus.

Frage: Das heißt für uns hier aber dann: Verzicht?

Michael Frein: Ja, klar. Wir, einige mehr, andere weniger, werden auf einige Dinge verzichten müssen. Früher oder später wird genau dies passieren.

Frage: Also wird "Sufizienz" oder Mäßigung als ein Aspekt von Zukunftsfähigkeit gesellschafts- und letztlich mehrheitsfähig?

Michael Frein: Vermutlich nicht. Wer verzichtet schon gerne? Ich jedenfalls nicht: Oder bestenfalls auf Dinge, die ich ohnehin nicht brauche. Aber wir tun immer so, als hätten wir keine Wahl. Suffizienz ist zwar irgendwie ökologisch moralisch notwendig und ehrenwert, aber leider nicht durchsetzbar - also müssen wir weiter wachsen! Langfristig ist es aber wahrscheinlich genau anders herum. Die aktuelle Wirtschaftskrise täuscht über die wahre Problematik hinweg. Ende 2007 bis Mitte 2008 hatten wir bereits einen Vorgeschmack, der schon fast vergessen scheint: die hohen Energie- und Lebensmittelkosten. Für viele Menschen mit schmalem Portemonnaie hieß das schlicht: Verzicht. Sie sind auch nicht gefragt worden, ob ihnen das recht wäre. Der Markt ließ ihnen schlicht keine andere Wahl. Obwohl sich die Preise entspannt haben, wird die Situation der Knappheit wieder eintreten. Der so heiß ersehnte nächste Aufschwung wird dies unweigerlich mit sich bringen. Und was machen wir dann? Die einen fahren mit ihrem durch Abwrackprämien geförderten Auto, die anderen frieren zu Hause?

Frage: Aber genau darin liegt doch das Problem: Wir brauchen scheinbar immer mehr Wachstum, damit alle Auto fahren können

Michael Frein: Diese Argumentation ist unrealistisch. Irgendwann geht das letzte Ölfeld zur Neige...

Frage: Aber was ist mit Erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen?

Michael Frein: Die Umstellung auf Erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe kann das Knappheitsproblem zwar lindern, aber nicht lösen. Alles, vom Computer über Solaranlagen bis zu Baumaschinen, aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen, wird nicht gelingen - zumal in Schwellenländern immer mehr Menschen an den Segnungen des westlichen Lebensstils teilhaben wollen...

Frage: ...die vermutlich der Wachstumsfrage noch weniger kritisch gegenüberstehen als wir?

Michael Frein: Richtig! Dort haben die meisten Menschen ja nach wie vor einen viel niedrigeren Lebensstandard. Und wir geben das Vorbild für ungebremsten Konsum ab. Von daher werden wir unsere Konsum- und Produktionsmuster zuerst verändern müssen. Dabei helfen fraglos Erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe. Aber sie schaffen das Problem nicht aus der Welt. Man kann den Zeitpunkt, zu dem sich ein Rohstoff erschöpft, durch die verstärkte Nutzung nachwachsender Rohstoffe hinausschieben. Aber auch das geht nicht unendlich. Zumal nachwachsende Rohstoffe nicht in unbegrenzter Menge produziert werden können. Wir haben nur eine Erde.

Frage: Und der technische Fortschritt?

Michael Frein: Ganz ähnlich. Nehmen wir unser Lieblingsbeispiel, das Auto. Die Motoren sind heute sehr viel effizienter als, sagen wir mal, vor fünfzig Jahren. Dafür werden heute PS-stärkere Fahrzeuge nachgefragt - und, vor allem, viel mehr davon. Dieser sogenannte Reboundeffekt führt dazu, dass der CO2-Ausstoß des deutschen Fuhrparks in den letzten fünfzig Jahren enorm gestiegen ist. Fazit: Der technische Fortschritt hat unter dem Strich eben nicht zu weniger Umweltverbrauch geführt.

Frage: Wenn wir die ökologischen Grenzen so akzeptieren, hat ein Verzicht auf wirtschaftliches Wachstum dann nicht verheerende Folgen für unsere Sozialsysteme?

Michael Frein: In der Tat. Bislang ist die Finanzierung der sozialen Sicherung davon abhängig, dass möglichst viele Menschen regulär beschäftigt sind und damit letztlich vom Wirtschaftswachstum. Gibt es dies nicht oder nur zu wenig davon, drohen die Sicherungssysteme zusammenzubrechen. Die Frage ist: Kann man sie unabhängig machen? Die Antwort darauf mag für manche schmerzlich sein: indem soziale Gerechtigkeit über Maßnahmen wie Grundeinkommen, Bürgereinkommen und ähnliche Instrumente hergestellt wird. Das heißt nicht Gleichmacherei, das heißt aber die Einführung einer Grundsicherung. Die Finanzierung dieser Grundsicherung kann im Grunde nur über zwei Wege verlaufen: entweder über Wachstum, was wir aus den genannten Gründen ausschließen. Oder aber über eine Abgabe auf Reichtum. Die Frage ist: wie viel soziale Ungleichheit wollen oder können wir angesichts der genannten Engpässe und fehlenden Wachstums akzeptieren, wie viel Reichtum muss umverteilt werden, um den sozialen Frieden zu erhalten.

Frage: Also Sozialismus?

Michael Frein: Nein, aber völlig anderer Kapitalismus.

Frage: Ist das nicht der Niedergang des Abendlandes?

Michael Frein: In gewisser Weise ja. Ein guter Teil des sozialen Friedens beruht darauf, dass wir alle mehr haben können, der Arme wie der Reiche. Dies ist sozusagen seit 50 Jahren ein Grundversprechen. Damit konnten soziale Konflikte lange zumindest teilweise überdeckt werden.

Frage: Und wie soll es nun weitergehen?

Michael Frein: Nun gilt es, verschärft darüber nachzudenken, wie die zur Verfügung stehenden Ressourcen und die Naturnutzung gerechter verteilt werden können - in Deutschland, in Europa und auch international. Die Herausforderung besteht darin, dass alle Menschen in Würde leben können. Bislang ist es einer Minderheit im Norden gelungen, eine Mehrheit, die vornehmlich in Entwicklungsländern lebt, davon abzuhalten, die Natur im gleichen Maße zu nutzen wie sie selbst. Der Aufstieg der Schwellenländer und die sich global verschärfende Konkurrenz um Rohstoffe und Emissionsrechte zeigen, dass dieses Zeitalter zu Ende geht. Für die heutigen Industrieländer heißt dies, sich auf eine Zukunft einzurichten, die mit deutlich weniger Naturverbrauch auskommt. Gefragt ist also eher ein aktiver Klima- und Umweltschutz statt einer Abwrackprämie. Dass dies nicht ohne sozialen Ausgleich funktionieren kann, zeigte sich sowohl in Boom-Zeiten mit hohen Energiepreisen als auch heutzutage, in den Zeiten der Wirtschaftskrise. Je früher die Politik dies begreift, desto größer sind die sozialen und ökonomischen Spielräume, den Übergangsprozess, der unausweichlich ist, weniger schmerzlich zu gestalten.

Die Fragen stellte Monika Brinkmöller, Forum Umwelt und Entwicklung

Michael Frein ist Referent für Handel und Umwelt beim EED und Sprecher des Leitungskreises des Forums Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2009