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FORSCHUNG/1006: Interview - Wie wirkt "urbane Wildnis" auf die Menschen? (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 1 vom 21. Januar 2014

Wie wirkt "urbane Wildnis" auf die Menschen?
Interview mit Dr. Mathias Hofmann

Die Fragen stellte Mathias Bäumel



TUD-Experten gefragt: Dr. Mathias Hofmann vom Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung erläutert anhand seines Projektes, was ein Umweltpsychologe macht


UJ: Mathias Hofmann, Sie sind Umweltpsychologe - ein wohl sehr seltener Beruf. Sicherlich geht es dabei nicht um die Diagnose und Therapie der Psychen von Pflanzen oder Gebäuden. Was also muss man sich unter Umweltpsychologie vorstellen?

Mathias Hofmann: Die Umweltpsychologie untersucht die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt. In der Psychologie gibt es unterschiedliche Spezialisierungen: Beispielsweise betrachtet die Persönlichkeitspsychologie gezielt die Unterschiede zwischen Menschen. Die Sozialpsychologie hingegen untersucht, wie Menschen sich in Gruppen verhalten. Als Umweltpsychologen aber wollen wir wissen, wie die Umwelt - mit ihren unterschiedlichen Elementen und Konfigurationen - auf das menschliche Erleben und Verhalten wirkt. Aber auch, wie Menschen umgekehrt Veränderungen in ihrer Umwelt hervorrufen, die danach wiederum auf sie zurückwirken. Das geht also bis hin zur Psychologie des Umweltschutzes. Anders gesagt: Wir Umweltpsychologen interessieren uns für die Wirkmechanismen der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt.


UJ: Was heißt das konkret?

Mathias Hofmann: Wir fragen beispielsweise: Unter welchen Umständen macht Hitze Menschen aggressiv? Warum werden wir im Winter eher depressiv als im Sommer? Warum trennen wir ganz diszipliniert unseren Müll, nutzen aber für Urlaubsreisen manchmal Flugzeuge statt Zügen, obwohl wir um die Umweltauswirkungen wissen? Oder: Warum fühlt sich die Nähe zu anderen Personen unangenehm an, wenn wir im Fahrstuhl stehen, aber nicht bei einem Rockkonzert? Da gibt es sehr viele spannende Fragen. Die Umweltpsychologie ist dabei eine Wissenschaft mit unmittelbaren Anwendungsbezügen. Sie will nicht nur beschreiben und erklären, sondern auch Grundlagen für konkrete Verbesserungen bieten.


UJ: Was machen denn Umweltpsychologen beruflich, wenn sie nicht forschen?

Mathias Hofmann: Umweltpsychologisches Wissen kann praktisch überall angewendet werden, wo es um die Gestaltung unserer Lebenswelt geht. Das ist ein sehr weites Feld - vom individuellen Wohnen über das Layout von städtischen Orientierungsplänen, die Unterstützung von Bürgerbeteiligung bei Städtebaumaßnahmen oder im Umweltschutz, bis hin zur Beratung beim Bau von öffentlichen Gebäuden. Krankenhäuser beispielsweise sollten ja so gebaut werden, dass man sich darin wohl fühlt, dass man optimal gesund wird und dass Besucher sich darin leicht zurechtfinden können. Dabei müssen viele Dinge beachtet werden - und kleine Änderungen können große Wirkungen haben: Stühle in einem Wartezimmer können beispielsweise eher so angeordnet sein, dass sie Kommunikation erzeugen oder so, dass sie Privatsphäre erhöhen.


UJ: Was von beiden ist denn besser?

Mathias Hofmann: Das hängt vom Kontext ab - also beispielsweise vom üblichen Krankheitsbild eines Spezialkrankenhauses. Da kann eher das eine oder das andere gewünscht sein.


UJ: Stühle im Wartezimmer kann man leicht umstellen, andere Entscheidungen müssen aber vermutlich schon in der Planung beachtet werden.

Mathias Hofmann: Absolut. Innerhalb der Umweltpsychologie gibt es ein ganzes Teilgebiet, das sich mit gebauter Umwelt beschäftigt, die Architekturpsychologie. Das ist gewissermaßen eine empirisch abgesicherte Alternative zu Feng Shui. Gerade wenn Gebäude mit öffentlichen Geldern errichtet werden, ist es sehr wichtig, dass Ansprüche aller Nutzer berücksichtigt werden. Und wenn man später, also beim Nutzen eines Gebäudes, dennoch Defizite erkennt, muss dafür gesorgt werden, dass beim nächsten Gebäude dieser Art nicht wieder derselbe Fehler passiert. Architekturpsychologen können dabei helfen, indem sie bestimmte bekannte Lücken in der Kommunikation zwischen Nutzern und Architekten überbrücken.


UJ: Ihr Arbeitsgebiet ist aber eher die natürliche Umwelt, richtig?

Mathias Hofmann: Zumindest was meine aktuelle Forschungsarbeit betrifft, ja. Auf diesem Forschungsfeld passieren sehr wichtige Dinge; gerade für das Wohlbefinden von Stadtbewohnern ist Natur kaum zu unterschätzen. Da reichen manchmal schon kleine natürliche Elemente - beispielsweise Parks, begrünte Bachläufe, ein Straßenbaum vor dem Fenster oder sogar Zimmerpflanzen. Wenn wir der Natur ausgesetzt sind, sinkt zum Beispiel unser Blutdruck, die Aufmerksamkeit verbessert sich und wir werden schneller gesund.


UJ: Dass mehr Grün in die Stadt muss, ist eine Binsenweisheit, denn dies ist schon allein wegen der Verringerung der Feinstaubbelastung und der Verbesserung des städtischen Mikroklimas im Kontext der Klimaveränderungen bitter nötig.

Mathias Hofmann: Richtig, es gibt auch aus gesundheitlicher Sicht ganz viele Gründe, die generell für mehr Natur in der Stadt sprechen. Dazu kommt, dass Natur die Effekte von Einkommensungleichheit auf die Gesundheit verringern kann: Gesundheitliche Unterschiede zwischen armen und reichen Menschen sind in Vierteln mit grüner Natur deutlich geringer als in eher "grauen " Stadtteilen. Kurz gesagt: Auch ärmere Stadtbewohner sind gesünder und leben länger, wenn sie Zugang zur Natur haben. Das ist volkswirtschaftlich durchaus beachtlich. Dennoch bestehen hier große Defizite.


UJ: Warum passiert da so - oder besser: zu - wenig?

Mathias Hofmann: Ich denke, wir sind hier in einer zeitlichen Falle, denn die positiven Effekte treten erst mit beachtlicher Verzögerung auf: Wenn aber aktuell städtisches Grün verbessert werden soll, muss das natürlich sofort bezahlt werden; den Nutzen haben wir aber möglicherweise erst Jahre oder Jahrzehnte später.

Politische Entscheider denken häufig in deutlich kürzeren Zeiträumen; das liegt schon an der Länge ihrer Legislaturperioden. Hinzu kommt, dass der positive Effekt von städtischem Grün in der Summe zwar beachtlich ist, sich bei einzelnen Menschen aber viel schwerer messen lässt. Häufig geht das in der immer vorhandenen Variabilität der Menschen in Bezug auf gesundheitliche Kennziffern unter. Keiner kann sagen, ob sich für ihn persönlich eine "Investition" in mehr städtisches Grün gesundheitlich lohnen wird. Für Zustimmungsraten zu höheren Steuern für mehr Grün sind das natürlich nicht die besten Voraussetzungen.


UJ: Ihre Doktorarbeit, die Sie 2011 erfolgreich an der Humboldt-Universität in Berlin verteidigt haben, hat den Titel "Urbane Wildnis aus Sicht der Nutzer - Wahrnehmung und Bewertung vegetationsbestandener städtischer Brachfläche". Worum ging es konkret?

Mathias Hofmann: Berlin ist sehr dynamisch - es wird viel gebaut, viele Menschen wohnen da. Trotzdem gibt es viele Flächen, die schon sehr lange nicht genutzt werden. Teilweise hat das mit der Geschichte der Teilung der Stadt und kuriosen Eigentumsverhältnissen zu tun. Mit der Zeit holt sich die Natur solche Flächen zurück und es entwickelt sich eine Art Dschungel - urbane Wildnis eben. Diese Flächen kosten nicht viel und sind aus ökologischer Sicht sehr wertvoll, weil sie einen Lebensraum für viele seltene Pflanzen und Tiere bieten, die teilweise sogar außerhalb von Städten kaum noch vorkommen.

Ich habe mich mit den Grundlagen dafür beschäftigt, wie solche Flächen behutsam so umgestaltet werden können, dass sie für die Stadtbewohner nutzbar sind und ähnliche Funktionen übernehmen wie klassische Grünflächen. Die ökologischen und ökonomischen Vorteile sollten aber erhalten bleiben. Mit meiner Arbeit konnte ich unter den vielen denkbaren Anforderungen diejenigen herausfinden, die aus psychologischer Sicht dabei besonders relevant sind: Zunächst muss die jeweilige Fläche gut zugänglich und vielfältig nutzbar sein. Insbesondere sollte sie die wichtigste Nutzung, passive Erholung - also beispielsweise Ausruhen oder Spazierengehen - ermöglichen. Andere wichtige Punkte bei der Nutzbarmachung städtischer Wildnisflächen sind das Verständnis der Fläche und die wahrgenommene Sicherheit: Umgestaltungsmaßnahmen sollten möglichst dafür sorgen, dass Menschen sich auf einer Fläche leicht zurecht finden und sich dort sicher fühlen. Das kann schon mit relativ einfachen Mitteln erreicht werden, beispielsweise mit weithin sichtbaren Landmarken, klar sichtbaren Wegen und bestimmten Zeichen menschlicher Anwesenheit wie Parkbänken oder Laternen.


UJ: Hier an der TU Dresden sind Sie derzeit am Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung beschäftigt und bearbeiten dort gemeinsam mit Vertretern der Professuren für Forstbotanik und für Forstliche Biometrie und Systemanalyse das Projekt "citree". Dabei geht es um die Entwicklung einer Planungssoftware zur Auswahl von Gehölzen für urbane Räume. Was genau ist das Ziel dieses Projektes?

Mathias Hofmann: In Städten werden ja regelmäßig Gehölze gepflanzt, also Bäume oder Sträucher. Dabei müssen viele Ansprüche beachtet werden, die sich teilweise widersprechen. In ungünstigen Fällen brauchen Gehölze später besondere Pflege, Bewässerung und Düngung, ansonsten kränkeln sie oder sterben sogar. Dann müssen sie ersetzt werden, was natürlich Geld kostet. Es ist also wichtig, dass Gehölze an Standorte gepflanzt werden, die für sie günstig sind. Außerdem muss beispielsweise beachtet werden, dass einige Gehölze giftig sind, Allergien auslösen oder dazu beitragen können, dass Menschen sich in einer Umgebung unsicher fühlen. Für jede Neupflanzung muss man also abwägen, welche Eigenschaften eines Standorts zu den Merkmalen eines Baums passen. Unsere Software soll diese Auswahl erleichtern und so zu einer nachhaltigen Stadtvegetation beitragen.


UJ: Wer sind die künftigen Nutzer dieser
Software?

Mathias Hofmann: Die Software ist ausgerichtet an der Arbeitsweise von Planern, wird aber frei verfügbar und auch von Laien bedienbar sein.


UJ: Wenn man untersucht, wohin welche Büsche und Bäume gepflanzt werden sollen, um die Stadt besser zu begrünen, geht es also eigentlich um zwei Themenkomplexe: einerseits um die Pflanz- und dann kontinuierlichen Unterhaltungskosten, andererseits um biologische Fragen, zum Beispiel die Eignung der Pflanzen für die jeweilige Boden-, Grundwasser- und Klimasituation.

Mathias Hofmann: Genau.


UJ: Was genau ist bei diesem "citree"-Projekt Ihre Aufgabe als Umweltpsychologe?

Mathias Hofmann: Zusammen mit einer Kollegin untersuche ich die subjektive Bewertung von Gehölzen, und zwar auf der Ebene einzelner Arten. Dazu laden wir Freiwillige in unser "Labor" ein, legen ihnen Bildmaterial vor und stellen ihnen dazu Fragen oder Aufgaben. Zuerst haben wir untersucht, welche Merkmale von Gehölzen in der menschlichen Wahrnehmung überhaupt eine Rolle spielen. Im nächsten Schritt wollen wir wissen, wie diese Merkmale dazu beitragen, dass Menschen manche Gehölze eher mögen und andere nicht. Daran arbeiten wir gerade.


Weitere Informationen:
http://tinyurl.com/tud-phil-citree

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 25. Jg., Nr. 1 vom 21.01.2014, S. 7
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82, Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2014