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FORSCHUNG/1030: Eine Mikrobe macht noch keinen Frühling (idw)


Universität Wien - 07.04.2014

Eine Mikrobe macht noch keinen Frühling



ÖkologInnen der Universität Wien untersuchten das Teamwork der Kleinstlebewesen und zeigen: Vielfalt bringt's. Diverse Gemeinschaften von Mikroorganismen sind flexibler und effizienter beim Abbau von Biomasse - und spucken weniger CO2 in die Atmosphäre zurück.

Mikoorganismen sind überall und führen wichtige biogeochemische Prozesse aus, die die Welt um uns am Laufen halten. Der Großteil dieser kleinen Lebewesen befindet sich im Boden und ist hauptverantwortlich für den Abbau abgestorbener Biomasse. Dabei wird jedes Jahr ungefähr dieselbe Menge an Kohlenstoff, die durch pflanzliche Photosynthese aus der Luft entnommen wird, wieder in die Atmosphäre zurückgebracht (ca. 60 Mrd. Tonnen).

"Das ist ungefähr die sechsfache Menge des CO2 das derzeit durch Verbrennen fossiler Brennstoffe zusätzlich in die Atmosphäre gelangt", erklärt der Ökologe Andreas Richter von der Universität Wien.

Welkes Laub am Boden und ein blühendes Buschwindröschen - Foto: © Universität Wien

Eine Mikrobe macht noch keinen Frühling: Ein abgestorbenes Blatt ist ein komplexes Substrat, das nur im Teamwork abgebaut werden kann.
Foto: © Universität Wien


Die Mikroorganismen und das Klima

Wie die großen Kohlenstoffflüsse zwischen Land und Atmosphäre auf den Klimawandel reagieren, ist eine der großen Unbekannten in aktuellen Klimaprognosemodellen. Besonders mikrobielle Prozesse würden empfindlich auf Umweltänderungen, wie erhöhte Temperatur oder Nährstoffinput, reagieren, so der Experte. "Wenn mikrobielle Abbauprozesse in Böden durch die Umweltänderungen beschleunigt werden, dann könnte das, durch eine zusätzliche Erhöhung des atmosphärischen CO2-Gehalts, den Klimawandel weiter verstärken", sagt Andreas Richter.


Vielfältige Mikroben-WG auf engstem Raum

Wie genau Mikroorganismen in Boden und Streuschicht auf veränderte Umweltbedingungen reagieren, ist jedoch alles andere als klar. Ein Grund dafür ist, dass diese Mikroorganismen auf kleinstem Raum im Boden oder in der Streuschicht in sehr diversen und komplexen Gemeinschaften zusammenleben, wo sie miteinander interagieren und sich gegenseitig funktionell ergänzen.

"Eine Mikroben-Art alleine wäre beispielsweise nicht in der Lage, ein chemisch so komplexes Substrat wie ein abgestorbenes Blatt abzubauen", erklärt Christina Kaiser, seit kurzem Universitätsassistentin am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien und Erst-Autorin der aktuellen Studie: "Die Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen passiert daher nicht nur auf der physiologischen Ebene der einzelnen Mikroben, sondern auch durch Änderungen in der Artenzusammensetzung innerhalb der Gemeinschaft."


Computergestützte Forschung

Um nun den Effekt von solchen Gemeinschaftsprozessen zu untersuchen, erstellten die ÖkologInnen der Universität Wien in enger Zusammenarbeit mit ForscherInnen des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse IIASA ein Computermodell, das in der Lage ist, komplexe Populationsdynamiken von Mikroorganismen auf kleinstem Raum zu simulieren. "Ich habe die Arbeiten an diesem Modell hier an der Universität Wien begonnen und konnte sie in den letzten beiden Jahren im Rahmen eines Postdoc-Fellowships am IIASA fertigstellen", erzählt Christina Kaiser.

In ihrem Modell verglichen die ForscherInnen eine Gemeinschaft von diversen, funktionell unterschiedlichen Mikroorganismen mit einer Gemeinschaft von einheitlichen Mikroben. Dabei konzentrierten sie sich auf den Einfluss der Nährstoffverfügbarkeit auf die Mikroorganismen - mit überraschenden Ergebnissen.


Diverse mikrobielle Gemeinschaft effizienter und flexibler

Denn bisher wurde angenommen, das ein Mangel an Stickstoff - ein wichtiger Nährstoff für Mikroorganismen - zu einem überproportionalen Veratmen von Kohlenstoff führe, da die Mikroorganismen nicht in der Lage seien, den überzähligen Kohlenstoff unter diesen Umständen sinnvoll zu verwenden.

Das trifft, wie die aktuelle Studie zeigt, aber nur auf das Modell der einheitlichen Mikroorganismengemeinschaft zu. Hier führt Pflanzenstreu mit geringem Stickstoffgehalt tatsächlich zu einem weniger effizientem Abbau, d.h. er geht mit durchschnittlich größeren Kohlenstoffverlusten an die Atmosphäre einher.

"Wenn das Modell hingegen Mikroorganismen mit unterschiedlichen Eigenschaften enthielt, kam es bei nährstoffarmen Ausgangsbedingungen automatisch zu einer Verschiebung der Artzusammensetzung", erklärt Christina Kaiser das unerwartete Ergebnis, und weiter: "Die Vielfalt erlaubt es den Mikroorganismen, die wenigen vorhandenen Nährstoffe effizienter zu nutzen und somit die Streu auch ohne größere zusätzliche Kohlenstoffverluste abzubauen."


Neues Modell

"Mit diesen Ergebnissen sind wir unserem Ziel das System Boden besser zu verstehen, einen großen Schritt weitergekommen", freuen sich Andreas Richter und Christina Kaiser. Gemeinsam zeigen die ForscherInnen zum ersten Mal, dass die Regulation von mikrobiellen Prozessen und deren Reaktion auf veränderte Nährstoffbedingungen von "gruppendynamischen" Prozessen der Mikroorganismen gesteuert sein kann, wodurch mögliche extreme Reaktionen der Bodenprozesse auf sich ändernde Umweltparameter abgepuffert werden könnten.

Das Paper "Microbial community dynamics alleviate stoichiometric constraints during litter decay" (AutorInnen: Christina Kaiser, Oskar Franklin, Ulf Dieckmann und Andreas Richter) erschien im Fachjournal "Ecology Letters".


Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Veronika Schallhart, 07.04.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2014