Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

FORSCHUNG/1080: Bakterium mit Knall-Effekt (idw)


Universität Wien - 29.08.2014

Bakterium mit Knall-Effekt



Nitrit-oxidierende Bakterien spielen eine Schlüsselrolle im natürlichen Stickstoffkreislauf der Erde sowie in Kläranlagen. Bislang wurde angenommen, dass diese Spezialisten stets Nitrit als Energiequelle benötigen. Ein internationales ForscherInnenteam unter der Leitung von Holger Daims, Mikrobiologe an der Universität Wien, hat nun gezeigt, dass Nitrit-oxidierende Bakterien Wasserstoff als alternative Energiequelle nutzen können. Die Oxidation von Wasserstoff mit Sauerstoff, auch Knallgas-Reaktion genannt, ermöglicht ihnen Wachstum unabhängig von Nitrit und damit ein Leben entkoppelt vom Stickstoffkreislauf. Die Ergebnisse erscheinen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Science".

Abb.: © Boris Nowka und Eva Spieck, Universität Hamburg

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Nitrospira-Zellen bei 70.000-facher Vergrößerung.
Abb.: © Boris Nowka und Eva Spieck, Universität Hamburg

Stickstoff ist ein zentraler Baustein des Lebens und wird im globalen Stickstoffkreislauf in vielen Schritten in seine unterschiedlichen chemischen Formen umgewandelt. Nitrit-oxidierende Bakterien sind wichtige Akteure im Stickstoffkreislauf, da sie giftiges Nitrit zu harmloserem Nitrat umsetzen. "Der Mensch macht sich diesen Prozess in der biologischen Abwasserreinigung zunutze. Das gebildete Nitrat ist aber auch Grundlage für weitere wichtige mikrobielle Prozesse und eine Stickstoffquelle für viele Pflanzen", erläutert die Erstautorin der Studie, Hanna Koch, Doktorandin am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien. Seit der ersten Beschreibung von Nitrit-oxidierenden Bakterien im 19. Jahrhundert wurde angenommen, dass ihr Überleben von Nitrit als Energiequelle abhängt. Daher wurde das Vorkommen dieser Bakterien in der Umwelt und in Kläranlagen immer mit dem Stickstoffkreislauf in Verbindung gebracht.

Nitrospira: Nitrit-Oxidierer mit überraschenden Eigenschaften

Die am weitesten in der Natur verbreiteten Nitrit-Oxidierer gehören zur Gattung Nitrospira. Diese Bakterien kommen in verschiedenen Lebensräumen wie Böden, Flüssen, Seen und Meeren bis hin zu heißen Quellen vor. Nitrospira-Bakterien sind auch die Schlüsselfiguren der Nitrit-Oxidation in Kläranlagen. Ein Team von ForscherInnen aus Österreich, Dänemark, Deutschland und Frankreich hat nun Überraschendes über die Bakterien herausgefunden. "Die Analyse der Erbinformation einer Nitrospira-Art ergab Hinweise auf die Verwendung von Wasserstoff als alternative Energiequelle. Die biologische Energiegewinnung aus Wasserstoff in Gegenwart von Sauerstoff wird auch als Knallgas-Stoffwechsel bezeichnet - in Anlehnung an die explosive Wirkung des Gemischs der beiden Gase", so Holger Daims vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien. Das Potential von Nitrospira, diese Energiequelle zu nutzen, wurde genau untersucht.

Rechts neben der mikroskopischen Ablichtung ist eine Temperaturskala - Abb.: © Arno Schintlmeister, Universität Wien

Nachweis der Wasserstoff-abhängigen Kohlendioxid-Fixierung von einzelnen Nitrospira-Zellen mittels NanoSIMS. Je wärmer die Farbe, desto mehr Kohlendioxid wurde von den Zellen eingebaut.
Abb.: © Arno Schintlmeister, Universität Wien

NanoSIMS der Universität Wien ermöglicht neue Einzelzell-Analysemethoden

Die Visualisierung des Wasserstoff-abhängigen Wachstums von Nitrospira gelang dem Team auf der Ebene einzelner Bakterienzellen mit dem hochauflösenden Sekundärionen-Massenspektrometer der Universität Wien, kurz NanoSIMS genannt. Unter Hochvakuumbedingungen wie im Weltall werden bei dieser Methode Teilchen aus einzelnen Bakterienzellen geschossen, um sie anschließend durch Massenspektrometrie zu identifizieren. "Eine solche Vorgehensweise ist weltweit nur an sehr wenigen Forschungsinstituten möglich", freut sich Daims über die High-Tech-Ausstattung der Universität Wien. Die WissenschafterInnen haben so gezeigt, dass Nitrospira-Zellen mit Wasserstoff als Energiequelle Kohlendioxid aufnehmen und in ihre Zellsubstanz einbauen. Diese Stoffwechsel-Aktivität ist mit der Zellvermehrung verknüpft und war somit eine wichtige Grundlage für den Beweis, dass die Nitrospira-Bakterien tatsächlich mit Wasserstoff wachsen. Die neu entdeckten Eigenschaften dieser Nitrospira-Art werfen nun viele Fragen über die Lebensweise ihrer "frei lebenden" nahen Verwandten in der Umwelt und in Kläranlagen auf.

Neue Erkenntnisse zur Ökologie der Nitrit-Oxidierer

"Die Oxidation von Wasserstoff ermöglicht Nitrospira nicht nur unerwartete Lebensräume zu besiedeln, sondern hilft ihnen auch aktiv zu bleiben, wenn gerade kein Nitrit zur Verfügung steht", erklärt Hanna Koch. Holger Daims ergänzt schmunzelnd: "Diese Entdeckung war für uns ein richtiger Knaller. Im nächsten Schritt wollen wir untersuchen, wie wichtig Wasserstoff als Energiequelle für Nitrit-Oxidierer in der Umwelt ist. Unser Ziel ist, die Ökologie dieser Bakterien und ihre Bedeutung im globalen Stickstoff- und Kohlenstoffkreislauf besser zu verstehen."

Die Arbeit an der Studie über Nitrit-oxidierende Bakterien wurde vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) und vom Wissenschaftsfonds (FWF) gefördert.

Publikation in Science
Growth of nitrite-oxidizing bacteria by aerobic hydrogen oxidation: Hanna Koch, Alexander Galushko, Mads Albertsen, Arno Schintlmeister, Christiane Gruber-Dorninger, Sebastian Lücker, Eric Pelletier, Denis Le Paslier, Eva Spieck, Andreas Richter, Per H. Nielsen, Michael Wagner, und Holger Daims. In: Science, DOI: 10.1126/science.1256985

Weitere Informationen finden Sie unter
http://medienportal.univie.ac.at/presse
Medienportal der Universität Wien

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
http://idw-online.de/de/news601129
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution84

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Veronika Schallhart, 29.08.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2014