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FORSCHUNG/1357: Wildes Herz - Städtische Wildschweine bevorzugen natürliche Nahrung (idw)


Forschungsverbund Berlin e.V. - 12.04.2017

Wildes Herz: Städtische Wildschweine bevorzugen natürliche Nahrung


Anders als vermutet kommen Wildschweine nicht nach Berlin, um dort Mülleimer zu plündern oder andere Nahrungsquellen aus menschlicher Herkunft zu nutzen. Im Gegenteil, auch Stadtschweine ernähren sich vorzugsweise von natürlichen Ressourcen. Das ist das überraschende Ergebnis einer Studie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), die von National Geographic und der Stiftung Naturschutz Berlin unterstützt wurde. Die ForscherInnen untersuchten Mägen von 247 Wildschweinen aus Berlin und dem Umland. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der wissenschaftlichen Zeitschrift "PLOS ONE" veröffentlicht.


Wildschweine mit Frischlingen - Foto: © David Wiemer / Leibniz-IZW

Wildschweine in Berlin
Foto: © David Wiemer / Leibniz-IZW

Immer mehr Wildtiere leben in Städten, auch in Berlin, das als "Hauptstadt der Wildschweine" bekannt ist. Aufgeteilt in vier Forstgebiete sind 20% des Berliner Stadtgebiets von großflächigen Wäldern bedeckt, ideal für Wildtiere aller Art. Allerdings leben Berliner Wildschweine nicht nur in diesen Stadtwäldern, sondern werden auch regelmäßig in innerstädtischen Parks oder Gärten gesichtet und bringen dort sogar Frischlinge auf die Welt.

Wildschweine sind Allesfresser und bekannt für ihre hohe Flexibilität bei der Nahrungssuche; die aufgenommene Nahrung spiegelt in der Regel die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen im untersuchten Lebensraum wider. Bislang wurde angenommen, dass sie vor allem durch ein attraktives Nahrungsangebot wie Kompost, sonstiger Abfall oder auch direkte Fütterung durch Anwohner in die Siedlungen gelockt werden. Derartige Beobachtungen wurden bereits bei anderen Wildtieren wie Schwarzbären in Nordamerika, Makaken in Indien und Füchsen in urbanen Lebensräumen in Europa gemacht. Um diese Vermutung auch bei Berliner Wildschweinen zu überprüfen, sollten die Zusammensetzung und der Energiegehalt ihrer Nahrung im Vergleich zu ländlichen Wildschweinen aus Brandenburg untersucht werden. Die ForscherInnen beprobten dazu 247 Mägen von gejagten Wildschweinen und analysierten die Landschaftsstrukturen an den Sammelorten.

"Überraschenderweise fressen Wildschweine in Berlin und Brandenburg fast ausschließlich natürliche Nahrungsmittel, vorrangig Eicheln, Engerlinge, Fasern oder auch Mais, während Nahrungsmittel aus direkter menschlicher Herkunft nur einen Bruchteil ausmachen. So waren nur in vier von 247 Mägen Brot mit Wurst und Käse und in weiteren fünf Mägen Plastikpartikel zu finden", berichtet Leibniz-IZW Doktorandin Milena Stillfried, die die Studie durchführte. Ihre Analysen zeigen, dass es trotzdem Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Stadt und Land unterscheiden sich in der Landschaftsstruktur und damit auch in der Verfügbarkeit natürlicher Nahrung; so gibt es in Berlin beispielsweise mehr masttragende Mischwälder, in denen die Wildschweine mehr Eicheln oder Bucheckern finden, während in Brandenburg, neben landwirtschaftlichen Flächen, eher "nahrungsarme" Kiefernwälder dominieren. Der Energiegehalt der im Magen gefundenen Nahrung war in Berlin höher als in Brandenburg, was vermutlich auf die erhöhte Aufnahme von Eicheln zurückzuführen ist. Analysen von Makronährstoffen wie Protein, Fett, Stärke oder der Fasergehalt zeigen, dass nicht das Stadt- oder Landleben an sich, sondern die Zusammensetzung der Landschaft innerhalb des Streifgebiets eines Wildschweins die Nahrungsqualität bestimmt. So wurden beispielsweise erhöhte Stärkewerte in Mageninhalten nachgewiesen, wenn ein Großteil der durchstreiften Fläche landwirtschaftlich genutzt wurde, während der Proteingehalt der Nahrung in Nadelwäldern stark abfiel. Wildschweine in ländlichen Gebieten profitierten teilweise von menschlich geprägten, urbanen Landschaftsstrukturen, da in ländlichen Gebieten mit hoher Flächenversiegelung energiereichere Mageninhalte gefunden wurden.

Während Wildschweine im ländlichen Gebiet Begegnungen mit Menschen meiden, lernen sie in der Stadt, dass vom Menschen oftmals keine direkte Gefahr ausgeht und sie auch in unmittelbarer Nähe zu menschlichen Behausungen geeignete Lebensräume und Nahrung finden können. Noch nutzen sie auch in der Stadt eher natürliche Lebensräume, aber wie lange noch? "Aufgrund der hohen Lernfähigkeit der Wildschweine ist es wichtig, sie nicht zu füttern und Kompostbehälter sowie Mülleimer zu sichern, da Wildschweine mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Ressourcen aus menschlicher Herkunft zurückgreifen, falls sie einfach zugänglich sind oder natürliche Nahrungsressourcen knapp werden", so die Initiatorinnen des neuen Forschungsschwerpunktes "Urbane Wildtierökologie", Stephanie Kramer-Schadt und Sylvia Ortmann, die diese Initiative 2012 am Leibniz-IZW ins Leben gerufen haben.

Um Konflikte langfristig zu vermeiden, sollte sich die städtische Bevölkerung an gewisse Regeln halten. Wildschweine in urbanen Gebieten sind bekannt für wiederholt auftretende Schäden an privaten und öffentlichen Grünanlagen, die sie bei der Nahrungssuche verursachen. Viele BürgerInnen haben Angst vor den eigentlich friedlichen Wildschweinen. Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Ernährungsweise der Wildschweine in Berlin und Brandenburg tragen zum Verständnis von Prozessen der Urbanisierung bei. Für die Behörden könnte die aktuelle Studie eine wichtige Datengrundlage für einen verbesserten Umgang mit Mensch und Wildtier sein.

Publikation:
Stillfried M, Gras P, Busch M, Börner K, Kramer-Schadt S, Ortmann S (2017): Wild inside: urban wild boar select natural, not anthropogenic food resources. PLOS ONE.



Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
http://idw-online.de/de/news672882
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution245

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsverbund Berlin e.V., Anja Wirsing, 12.04.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2017

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