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FORSCHUNG/1382: Leiden Fledermäuse unter Pestiziden? (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 3/2017

Leiden Fledermäuse unter Pestiziden?
Chemieeinsatz steht natürlicher Schädlingsbekämpfung im Weg

von Werner Kratz


Alle in Deutschland heimischen Fledermausarten ernähren sich von Insekten. Doch in der offenen, von Monokulturen geprägten Landschaft ist diese Nahrung knapp geworden. Insektenreiche Brachflächen mit Wildblumen und Kräutern gibt es kaum noch, und auf den Äckern werden Wildblumen und Insekten mit Pestiziden bekämpft.


Deutschlands industrielle Landwirtschaft ist ein Hot Spot der Pestizidausbringung: 2016 wurden pro Hektar Acker im Durchschnitt rund neun Kilogramm unterschiedlicher Gifte ausgebracht, unter anderem der Wirkstoff Glyphosat. Über die die Gesamtackerfläche summierten sich die giftigen Wirkstoffe zu 40.000 Tonnen, verpackt in rund 140.000 Tonnen Präparaten - beispielsweise in "Roundup".

Streng geschützt und doch ohne Schutz
2002 veröffentlichten Angelika Meschede und Klaus G. Heller die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über die Verbreitung und Ökologie der Fledermausarten in Deutschland. Insgesamt wurden in Deutschland 24 Fledermausarten nachgewiesen - sie alle sind nach der Bundesartenschutzverordnung streng geschützt und werden im Anhang IV der FFH-Richtlinie geführt. Sieben Arten sind darüber hinaus im Anhang II gelistet, für den Erhalt von Myotis bechsteinii trägt Deutschland sogar weltweite Verantwortung.

Alle einheimischen Fledermausarten nutzen Wälder intensiv als Lebensraum. In Brandenburg lässt die Landesforstbehörde dort aber jedes Jahr per Hubschrauber flächenhaft Pestizide aus der Luft versprühen. Ziel der Aktionen ist zwar die Bekämpfung der Kiefern- und Eichenprozessionsspinner sowie neuerdings auch der Blatthornbuschwespe, doch auch unter anderen Insektenarten verursachen die Pestizide Massensterben. 2014 hat Thomas Sobzyc in einer Studie für das Bundesamt für Naturschutz (BfN) deutlich herausgearbeitet, dass nicht nur die Antagonistenarten (meist parasitoide Hautflügler), sondern auch mehr als 240 Eulenarten - eine Schmetterlingsgruppe - von Produkten wie "DIPEL" oder "Karate forte" bedroht sind. Fledermäusen geht dadurch wertvolle Nahrung verloren. Betroffen sind vor allem die ausgesprochenen Waldarten, speziell die Fransenfledermaus und das Braune Langohr - sie ernähren sich überwiegend von Spinnen bzw. Nachtfaltern.

Trotz ihres hohen Schutzstatus gibt es für Fledermäuse bislang nur recht wenige Untersuchungen über die Auswirkungen aktuell zugelassener Pestizide. Länger zurückliegende Untersuchungen zeigten aber, dass Organochlor-Insektizide (DDT, DDE), Carbamate und Organophosphate eine hohe akute Sterblichkeit verursachen. Zudem wurden gravierende gesundheitliche Schädigungen beobachtet, etwa die Thermoregulation und die Reproduktionsfähigkeit betreffend.

Es ist daher zu vermuten, dass auch aktuelle Pestizide zumindest indirekte Effekte auf Fledermäuse ausüben. Neben pestizidbedingtem Futtermangel sind chronische Erkrankungen durch die Anreicherung der meist fettlöslichen Gifte in den Körpern der Fledermäuse sehr wahrscheinlich. Mögliche Schädigungen durch Pestizide sind beispielsweise im neuronalen System der Tiere zu vermuten. Auch auf den Energiestoffwechsel sind Wirkungen vorstellbar. Fledermäuse haben einen außerordentlich hohen Energiebedarf, der durch die tägliche Nahrungsaufnahme kompensiert werden muss. Jede Fledermaus muss täglich zwischen 20 und 50 Prozent ihres Körpergewichtes an Nahrung zu sich nehmen. Durch Pestizide geschwächte Tiere sind zudem anfälliger gegenüber Parasitenbefall.

Verschenktes Potential
Dass Fledermäuse durch Pestizidanwendungen weitgehend bedenkenlos geschädigt werden, erscheint umso unverständlicher, bedenkt man ihren Nutzen gerade für die Land- und Forstwirtschaft. Wie wertvoll ihre Dienste sind, haben US-amerikanische Wissenschaftler in einem Experiment belegt. Zwei Jahre lang hatten sie jede Nacht eine Hälfte eines Maisfeldes mit einem engmaschigen Netz abgedeckt, welches die Fledermäuse dort an der Jagd auf den Baumwollkapselbohrer (Helicoverpa zea) hinderte. Die zweite Hälfte des Maisfeldes ließen die Forscher unbedeckt. Auf der abgedeckten Hälfte stellten sie später unerwartet hohe Ernteverluste fest.

Der Baumwollkapselbohrer zählt in Amerika zu den bedeutendsten Schädlingen im Maisanbau. Die Larven der Tiere fressen an Blättern und Kolben. Der Befall erleichtert zudem Pilzen wie Aspergillus flavus oder Fusarium graminear eine Infektion der Maispflanzen. Nach Angaben der Autoren schmälern die Schädlinge die Mais-Erträge im Süden der USA um 1,5 bis 16,7 Prozent. An den abgedeckten Versuchsflächen zählten die Forscher knapp 60 Prozent mehr Larven als an den offenen. Dies zeigt, dass die Fledermäuse durch das Abfangen der ausgewachsenen Schmetterlinge auch die Larven-Population verkleinern. Wie wirksam die natürlichen Schädlingsbekämpfer arbeiten, offenbarte sich auch an den Maispflanzen: Abgedeckte Pflanzen besaßen 56 Prozent mehr beschädigte Körner pro Kolben als die frei stehenden. Die Forscher kalkulierten, dass bei Anwesenheit von Fledermäusen die Erträge um 1,4 Prozent steigen.

Die Ergebnisse der US-Forscher belegen, dass eine Schädlingsbekämpfung mit Fledermäusen kaskadenartig positive Effekte bewirken kann: Direkte Fraßschäden an ökonomisch wertvollem Getreide werden vermieden, die Infektion mit Krankheitserregern und die Bildung von Giftstoffen minimiert. Die Forscher errechneten, dass die Fledermäuse für die Maisbauern weltweit einen ökonomischen Nutzen von jährlich mehr als einer Milliarde US-Dollar besitzen.


Werner Kratz

2. Vorsitzender des NABU Brandenburg und Privatdozent am Institut für Biologie der FU Berlin für Ökologie, Zoologie und Ökotoxikologie

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Quelle:
naturmagazin, 31. Jahrgang - Nr. 3, August bis Oktober 2017, S. 14-15
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts,
Redaktion: Natur & Text GmbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2017

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