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FORSCHUNG/1634: Verändertes Zusammenspiel von Pflanzen und Bestäubern - Weniger Nachtfalter, mehr Fliegen (UFZ)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Pressemitteilung, 3. Januar 2023

Weniger Nachtfalter, mehr Fliegen

Die komplexen Beziehungen zwischen Pflanzen und ihren Bestäubern haben sich im Laufe des letzten Jahrhunderts erheblich verändert


Im hohen Norden des Planeten hinterlässt der Klimawandel besonders deutliche Spuren. Eine neue Studie in Finnland zeigt nun, dass es parallel dazu dramatische Veränderungen bei den bestäubenden Insekten gegeben hat. Forscherinnen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) haben festgestellt, dass sich das Netzwerk von Pflanzen und ihren Bestäubern dort seit dem Ende des 19. Jahrhunderts massiv verändert hat. Möglicherweise könne das dazu führen, dass Pflanzen künftig weniger effektiv bestäubt werden und sich dadurch schlechter vermehren, warnen die Wissenschaftlerinnen im Fachjournal Nature Ecology & Evolution.

Ihre Leistung ist nicht zu bezahlen. Das Heer von Insekten und anderen Tieren, das die Pflanzen dieser Erde bestäubt, erfüllt eine extrem wichtige Funktion. Ohne diese Blütenbesucher könnten sich zahlreiche Wildpflanzen nur noch schlecht oder gar nicht mehr vermehren, so dass die Ökosysteme in ihrer heutigen Form nicht mehr funktionsfähig wären. Und auch mehr als drei Viertel der bedeutendsten Nutzpflanzen sind auf tierische Hilfe angewiesen, wenn sie einen hohen Ertrag und eine gute Qualität liefern sollen. Ein Ausfall der Bestäuber würde daher auch wirtschaftlich zu Milliardenschäden führen.

Ob die fliegenden Helfer den gewohnten Service auch in Zukunft noch bieten können, ist allerdings unklar. Denn Pflanzen und ihre Bestäuber sind in einem ausgeklügelten Netzwerk miteinander verwoben. Die Verteilung und Häufigkeit der beteiligten Arten sind darin ebenso aufeinander abgestimmt wie ihr jahreszeitliches Auftreten, ihre Physiologie und ihr Verhalten. Schon kleine Veränderungen könnten das Ganze aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb befürchten Fachleute, dass menschliche Einflüsse wie der Klimawandel und eine veränderte Landnutzung zu weniger effektiven Bestäubungsleistungen führen könnten.

Ob und in welchem Umfang solche Entwicklungen schon im Gange sind, ist allerdings schwer zu sagen. Denn es gibt bisher kaum Untersuchungen, die das Zusammenspiel von Pflanzen und verschiedenen Bestäuber-Gruppen über lange Zeiträume hinweg beobachtet haben. Umso spannender sind die mehr als 120 Jahre alten Daten aus Finnland, auf denen die neue Studie basiert. In den Jahren 1895 bis 1900 hatte der Förster Frans Silén in der Umgebung des Dorfes Kittilä etwa 120 Kilometer nördlich des Polarkreises systematisch erfasst, welche Insekten wie häufig welche Blüten besuchten.

"Ich arbeite leidenschaftlich gern mit solchen historischen Datensätzen", sagt Prof. Tiffany Knight vom UFZ. "Wenn man die historischen Untersuchungen heute noch einmal wiederholt, ist das oft die einzige Möglichkeit, etwas über langfristige ökologische Prozesse zu erfahren." Für sie ist das eine Arbeit, die auch die Fantasie herausfordert. "Ich versuche zu verstehen, was die Datensammler damals motiviert hat und vor welchen Herausforderungen sie standen", erklärt die Forscherin. "Diese Informationen kann man dann nutzen, um eine vergleichbare moderne Studie zu planen."

So haben die Wissenschaftlerinnen in der Umgebung von Kittilä erst einmal nach Stellen gesucht, an denen auch ihr Vorgänger schon Beobachtungen gemacht hatte - und an denen die 17 von ihm am besten untersuchten Pflanzenarten heute noch wachsen. Dort hat das Team in den Jahren 2018 und 2019 die Volkszählung der Bestäuber wiederholt. Das Gebiet ist nach wie vor dünn besiedelt, und an der Landnutzung hat sich wenig geändert. Der Klimawandel aber ist auch dort deutlich zu spüren. Und das hatte offenbar Konsequenzen. "Wir haben drastische Veränderungen in den Netzwerken der Bestäuber festgestellt", sagt Leana Zoller von der MLU. Nur bei sieben Prozent der beobachteten Blütenbesuche waren damals wie heute dieselben Arten von Insekten und Pflanzen beteiligt. "Das ist überraschend wenig", findet die Forscherin.

Schwebfliegen und Nachtfalter zum Beispiel tauchen auf den Blüten rund um das Dorf heute deutlich seltener auf als früher. Das ist wahrscheinlich keine gute Nachricht. Denn diese beiden Gruppen haben einige besonders effektive Bestäuber in ihren Reihen. Dazu gehört etwa die Hummel-Waldschwebfliege Volucella bombylans - eine große, pelzige Fliege, die tatsächlich an eine Hummel erinnert. Zu Siléns Zeiten war diese Art die häufigste Besucherin auf den Blüten der Arktischen Brombeere Rubus arcticus und des Wald-Storchschnabels Geranium sylvaticum. In ihrem haarigen Gesicht konnte sie die Pollen dieser Arten sehr gut von einer Pflanze zur nächsten tragen.

Auch die Nachtfalter nutzen bei ihrem Bestäubungsjob einen körperlichen Vorteil: Mit ihrem langen Rüssel können sie auch den Nektar erreichen, der am Grund von röhrenförmigen Blüten auf sie wartet. Deshalb waren sie früher die häufigsten Besucher der Prachtnelke Dianthus superbus und des Taubenkropf-Leimkrauts Silene vulgaris, die beide solche Blüten besitzen.

Während diese Insekten seltener geworden sind, bekommen die Blüten um Kittilä inzwischen deutlich mehr Besuch von Hummeln und bestimmten Fliegen. Ob diese Tiere genauso effektiv arbeiten wie die früheren Bestäuber, weiß bisher niemand so genau. Es gibt allerdings einen Trend, der den Forscherinnen Sorgen macht. So sind heute insgesamt deutlich weniger Insekten unterwegs, die sich auf bestimmte Blütenformen spezialisiert haben. Abgelöst wurden diese zum Beispiel von den Fliegen der Gattung Thricops, die viele verschiedene Pflanzen besuchen. Solche Generalisten sind oft robuster gegen Umweltveränderungen. Denn wenn eine ihrer Nahrungspflanzen ausfällt, können sie leicht auf andere ausweichen. Dafür schleppen sie dann aber auch die Pollen aller möglichen fremden Pflanzenarten auf eine Blüte. Sie bieten also möglicherweise einen weniger effektiven Bestäubungsservice als die Spezialisten.

"Bisher scheint das Bestäuber-Netzwerk in unserem Untersuchungsgebiet trotzdem noch gut zu funktionieren", sagt Leana Zoller. "Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Pflanzen heute zu wenig Pollen bekommen und sich deshalb schlechter fortpflanzen können." Doch nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen kann sich das im Falle anhaltender Veränderungen in den Insektengemeinschaften künftig jederzeit ändern. Bisher scheinen die dortigen Fliegen zwar mit den steigenden Temperaturen zurechtzukommen. Weiter im Norden in der Hoch-Arktis hat eine Studie aber schon einen massiven Fliegen-Schwund dokumentiert. "Wenn das in unserem Untersuchungsgebiet auch passiert, kann das zum Problem werden", sagt Leana Zoller. Denn irgendwann werden die Pflanzen die Ausfälle in ihrem Bestäuber-Netzwerk nicht mehr kompensieren können.

Publikation:
Leana Zoller, Joanne Bennett, Tiffany M. Knight: Plant-pollinator network change across a century in the subarctic. Nature Ecology and Evolution. DOI: 10.1038/s41559-022-01928-3
https://www.nature.com/articles/s41559-022-01928-3

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
www.helmholtz.de

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Quelle:
UFZ-Pressemitteilung, 03.01.2023
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
E-Mail: presse@ufz.de
Internet: www.ufz.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 3. Januar 2023

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