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FINANZEN/199: Bundesumweltminister Röttgen zum Haushaltsgesetz 2010, 16.03.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Norbert Röttgen, zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 16. März 2010 in Berlin


Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Der Haushalt, den wir in dieser Woche in zweiter und dritter Lesung debattieren, ist geprägt durch die Finanzmarktkrise - es wird nicht der letzte Haushalt sein, der dadurch geprägt ist -; er ist geprägt durch die Rettungsmaßnahmen, veranlasst durch die Finanzmarktkrise. Er ist darum, nebenbei gesagt, in seiner Dimension, natürlich nicht in jeder Einzelheit, geprägt und verursacht durch die Entscheidungen, die in der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD ganz maßgeblich getroffen worden sind. Darum kann man sich als Opposition den fiskalischen Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen zur Abwendung der Krise jetzt nicht entziehen.

Es gibt eine sehr wichtige Erkenntnis, die auf dem Höhepunkt der Krise hier von diesem Pult immer wieder auch von der Bundeskanzlerin vorgetragen worden ist und die immer noch maßgeblich ist, nämlich dass wir mit Entschlossenheit das Ziel verfolgen wollen, aus dieser Krise, so schlimm und so fundamental sie auch ist, gestärkt herauszukommen.

Das heißt, dass wir diese Krise in ihren Konsequenzen - wir befinden uns ja in den Haushaltsberatungen - nicht nur fiskalisch erleiden dürfen, sondern dass wir sie auch politisch zu gestalten haben. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

Die ordnende Antwort - ich betone das besonders in der Debatte um den Umweltetat; es ist aber genauso in den Debatten über die anderen Haushalte angemessen - auf den Exzess der Kurzfristigkeit, welcher die Finanzmarktkrise ja kennzeichnet, ist eine Politik der Nachhaltigkeit. Das ist die ordnende Antwort.

Diese ordnende Antwort, auf die Erfahrungen mit dem Exzess der Kurzfristigkeit mit Nachhaltigkeit zu reagieren, hat ganz konkrete Konsequenzen für unsere politische Strategie.

Der Kollege Schulte-Drüggelte hat zu Recht ausgeführt: Es geht darum, dass wir begreifen, dass durch Klimaschutz, dass durch Ressourceneffizienz, dass durch eine nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen gerade unsere wirtschaftliche Modernisierung betrieben wird.

Es geht gar nicht mehr darum, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen, es geht schon gar nicht mehr um den scheinbaren Gegensatz von beidem, vielmehr ist das eine die Bedingung des anderen. Das müssen wir verstehen und daraus politische Konsequenzen ableiten.

Der übergreifende Gesichtspunkt lautet von daher: Nachhaltigkeit ist Zukunftsverantwortung. Ich möchte anhand von drei Feldern, über die schon debattiert worden ist, zeigen, wie diese Bundesregierung in ihren ersten Monaten auf dem Gebiet der Umweltpolitik, der Klimapolitik und der Nachhaltigkeitspolitik konkret ihre Verantwortung wahrnimmt. Ich nehme die Punkte atomares Endlager, erneuerbare Energien und Klimaschutz.

Ich fange mit dem ersten Punkt an, weil es ja hierzu eine jüngst von mir verkündete Entscheidung gibt, und möchte aufzeigen, wie wir aus dem Gesichtspunkt der Verantwortung mit der Frage der atomaren Endlagerung umgehen. Ich versuche es einmal ganz ruhig und Schritt für Schritt vorzutragen. Ich weiß zwar, dass es zwischen uns durchaus Unterschiede in der grundsätzlichen und auch aktuellen Einschätzung der Kernenergie gibt - diese darf es geben; das ist völlig legitim -, aber zugleich gibt es auch bestimmte Verantwortungsfolgen, denen wir uns vernünftigerweise nicht entziehen sollten. Deshalb sollten wir uns auch die Frage stellen, inwiefern wir trotz Aufrechterhaltung unserer kontroversen Positionen gemeinsam Verantwortung übernehmen können, weil das im Interesse dieses Landes und insbesondere ein Gebot der Verantwortung gegenüber den nächsten Generationen ist.

Damit komme ich zu der ersten Feststellung, für die ich hoffe, Konsens zu finden, nämlich dass es unabhängig von der Frage, wie man inhaltlich zur Kernenergie steht, eine Verantwortung für atomare Endlagerung gibt, der wir nicht entfliehen können. Bärbel Krauß hat in der Stuttgarter Zeitung zu Recht gesagt: Angesichts der Probleme eine "Vogel-Strauß-Politik" zu betreiben beziehungsweise den Kopf in den Sand zu stecken, ist verantwortungslos.

Deshalb müssen wir alles tun, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.

Wir müssen damit aufhören - ich sage bewusst: wir -, die Frage der Endlagerung als taktisches Spiel zwischen den Parteien zu betreiben. Das hat nämlich nur zu dem Ergebnis geführt, dass wir das Thema ungelöst der nächsten Generation vor die Schuhe kippen. Damit muss Schluss sein. Das widerspricht unserer Auffassung von Verantwortung.

Frau Kollegin Höhn, ich möchte folgende Feststellungen machen. Als die Grünen und die rot-grüne Regierung im Jahr 2002 den Atomausstieg beschlossen haben, waren sie der Meinung, man könne nicht sofort aus der Kernenergie aussteigen, sondern man brauche eine Übergangszeit von 20 Jahren. Sie selber haben damit eine Laufzeitverlängerung von 20 Jahren beschlossen. Es mag Ihnen nicht gefallen, wenn ich sage: Sie sind nicht ausgestiegen, sondern Sie haben damals gesagt: Wir können bei der Energieversorgung im Moment auf Kernenergie nicht verzichten.

Natürlich haben Sie das gesagt, ansonsten wären Sie doch ausgestiegen. - Das ist ja auch völlig richtig.

Es ist doch gar nicht zu bestreiten, dass es im Jahre 2002 ohne die Kernkraftwerke zu einer Lücke bei der Stromversorgung gekommen wäre. Das Gegenteil wollen Sie doch im Ernst nicht behaupten. Sie haben daher gesagt: Wir brauchen die Kernenergie, um unsere energiepolitischen Ziele zu erreichen. Meine Kritik an diesem Beschluss ist, dass Sie das Datum 2020 nicht seriös berechnet haben.

Es war vielmehr eine willkürliche Terminsetzung, die Ihnen politisch gepasst hat. Das ist doch der Punkt.

Ich will die Antwort auf die Frage der Kollegin Höhn abkürzen.

Erstens. Die Frage der Verantwortung für die Laufzeitverlängerung stellt sich heute unabhängig davon, ob man jemals für oder gegen Kernenergie war.

Zweitens. Als Sie an der Regierung waren, haben Sie deswegen nicht "Schluss mit Kernenergie" gesagt, weil die Kernenergie für unsere Energieversorgung noch gebraucht wird. Sie haben daher gesagt: noch 20 Jahre Laufzeit.

Was wir jetzt vertreten, basiert auf dem gleichen Mechanismus: Wir brauchen die Kernenergie als Brückentechnologie. Wir haben eine klare Vorstellung von dem Ziel, das wir erreichen wollen. Das Ziel ist die Versorgung mit erneuerbaren Energien. Dahin wollen wir. Die Kernenergie ist die Brücke dorthin. Die Verantwortung, die sich aus der Benutzung dieser Brücke für Sie wie für uns stellt, besteht darin, ein Endlager zu organisieren.

Im Bemühen um Konsens will ich jetzt keine Schärfe in die Debatte bringen. Aber ich glaube, die Feststellung darf erlaubt sein, dass das zehnjährige Moratorium, das Rot-Grün gegenüber Gorleben verhängt hat, nicht Ausdruck von Entschlossenheit war, diese Verantwortung wahrzunehmen. Ich möchte es einmal so zurückhaltend formulieren.

Frau Kotting-Uhl, ich habe unterstellt, dass Sie so realistisch sind, einzusehen, dass es zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich war und zum heutigen Zeitpunkt, zehn Jahre später, nicht möglich ist, sofort aus der Kernenergie auszusteigen, und zwar nicht nur aus rechtlichen Gründen, sondern vor allen Dingen, weil es aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht zu verantworten ist. Ich glaube, darüber braucht man seriöserweise gar nicht zu streiten; das wäre ein falscher Streit.

Ich komme zu meinem Punkt. Es ist vielleicht schwierig; aber dennoch besteht eine Verantwortung für die Endlagerung. Diese Verantwortung wird nicht durch Moratorien und Blockaden wahrgenommen. Darum ist es richtig, diese zu beenden und die Suche nach dem Endlager, die Erkundung, zu gestalten.

Eine weitere Feststellung, die uns hoffentlich gemeinsam ist - jedenfalls ist es meine Feststellung: Wenn es in Gorleben zu einem atomaren Endlager kommen sollte, dann geschieht dies nur und ausschließlich auf der Grundlage eines atomrechtlichen Zulassungsverfahrens, mit allen Instrumenten, die dort vorgesehen sind, von der Bürgerbeteiligung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bis zum gerichtlichen Rechtsschutz. Selbstverständlich wird dies nicht ohne ein atomrechtliches Zulassungsverfahren geschehen. Bevor es dazu kommen kann, sind Erkenntnisse und weitere Erkundungen notwendig, sozusagen zur Vorbereitung eines solchen Verfahrens.

Ich sichere hier noch einmal zu - damit wende ich mich an die Betroffenen vor Ort, deren Emotionen ich vielleicht nachvollziehen kann; jedenfalls glaube ich, mich in ihre Lage hineinversetzen zu können. Ich sichere zu, in jedem Stadium des Verfahrens auch über das rechtlich Gebotene hinaus volle Transparenz, Bürgerbeteiligung und Information zu gewährleisten. Ich bitte, diese ausgestreckte Hand anzunehmen. Das heißt nicht, dass wir einer Meinung sind; aber das Angebot der Transparenz steht, und zwar in jeder Phase, voll und uneingeschränkt.

Wir disponieren nicht: Wir sind in einem Rechtsstaat, in dem die Regierung nicht über die Rechtslage disponiert. Vielmehr beschließt das Parlament die Rechtslage, die die Verwaltung anzuwenden hat. So ist es bei jeder Regierung.

Es handelt sich um ein offenes Verfahren mit einem offenen Ausgang. Es gibt keine Präjudizierung, sondern Offenheit. Ich glaube, dass das eine faire Basis ist; es ist eine verantwortungsvolle Grundlage, der sich keiner entziehen sollte. Ich appelliere, die gemeinsame Verantwortung zu erkennen und zu versuchen, ihr gerecht zu werden.

Ich möchte jetzt den zweiten Punkt ansprechen, die erneuerbaren Energien. Die Entsorgungsfrage, die Endlagerfrage ist mit der Nutzung der Kernenergie untrennbar verbunden. Die Kernenergie ist nach dem energiepolitischen Konzept, das wir in diesem Jahr erarbeiten werden, eine Brückentechnologie. Sie ist eindeutig davon geprägt, dass sie die Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist.

Wir können aus Klimaschutzgründen nicht dauerhaft auf die fossile Energieversorgung setzen. Darum sind die erneuerbaren Energien unser Ziel.

Sie sind schon heute unser Weg. Vorhin habe ich von der Krisensituation gesprochen. Erneuerbare Energien leisten in der Krise einen stabilisierenden Beitrag; denn sie bergen ein positives Innovations- und Wachstumspotenzial. Darum ist schon in der Krise merklich fühlbar, dass erneuerbare Energien auch in wirtschaftlicher Hinsicht einen vernünftigen Weg darstellen, der zudem die natürlichen Lebensgrundlagen bewahrt.

Gerade weil das so ist, weil wir auf erneuerbare Energien setzen, muss es darum gehen, erneuerbare Technologien in den Markt einzuführen. Die Vorstellung, dass erneuerbare Technologien als Dauersubventionstatbestand zu verstehen sind, ist zum Scheitern verurteilt.

Spanien ist ein Beispiel dafür, dass gut gemeint nicht immer gut gemacht ist: Wir mussten dort erleben, dass die nicht limitierte Förderung, die nicht der Markteinführung diente, zu einem Kollaps geführt hat. Markteinführung ist also das Instrument, das die erneuerbaren Energien für den Markt fit macht; denn dort müssen sie ihre Bringschuld einlösen. Darum ist es kein guter Dienst an erneuerbaren Energien, wenn man sie mehr fördert, als der Markt zulässt und verlangt.

Mein dritter Punkt ist der Klimaschutz. Dieser Etat - das ist doch gar nicht zu bestreiten, jeder Regierung ginge es so - findet in dem fiskalischen Umfeld von 80 Milliarden Euro neuen Schulden statt. Man kann die eine oder andere Stelle für falsch halten, aber die Größenordnung ist rezessions- beziehungswiese finanzmarktkrisenbedingt. Das ist gar keine Frage. Dass es im Umfeld eines solchen Haushalts durch den Einsatz der Haushälter - in diesem Punkt sind durchaus Gemeinsamkeit vorhanden - gelungen ist, eine Etatsteigerung von knapp 8 Prozent zu realisieren, ist ein Erfolg.

Ja, auch das gehört dazu, wobei die Endlager von den Verursachern zu fast 100 Prozent finanziert werden. Das ist ausnahmsweise keine Aufgabe des Bundeshaushaltes. Ich hätte mir auch für andere Positionen gewünscht, mehr Mittel zu bekommen. Das ist keine Frage; auch das verbindet uns.

Bei all dem Streit darüber - das ist völlig in Ordnung, das ist die Aufgabe der Opposition - steht fest: Der Klimaschutz wird entschlossen vorangetrieben. Wir sind ein führendes Land in Sachen Klimaschutz.

Wir haben übrigens viel mehr Einfluss, als es unserer geopolitischen Lage entspricht. Diesen Einfluss nehmen wir wahr, auch durch internationale Kooperation. Wir werden uns an der französisch-norwegischen Waldschutzinitiative beteiligen.

Wir laden eine repräsentative Gruppe von Experten auf den Petersberg nach Bonn ein, um den Weg zur Erreichung unserer Ziele zu ebnen. Die Ziele behalten wir im Blick. Wir geben sie nicht auf, aber wir stehen vor der Notwendigkeit, nicht nur abstrakt über Ziele zu diskutieren; wir müssen vielmehr konkrete Handlungspläne für den Klimaschutz entwickeln. Das wird ein neuer Ansatz sein, zu dem auch Deutschland einen besonderen Beitrag leisten wird. Wir tun das aus ethischer Verantwortung und der Überzeugung der ökonomischen Richtigkeit, weil wir im Wettbewerb der globalen Modernisierung weiter vorne liegen wollen.

Dafür brauchen wir Haushaltsmittel. Unser Haushalt ist mit 1,59 Milliarden Euro einer der kleineren. Das ist nicht das Entscheidende in der Umweltpolitik, aber ohne Mittel geht es nicht. Darum möchte ich mich für die Kooperation im Berichterstattergespräch und im Ausschuss, für die Unterstützung der wichtigen Ziele und auch für eine gute Debatte sowie für die Unterstützung, die die Umweltpolitik und auch ich persönlich in diesen Beratungen bekommen haben, sehr herzlich bedanken. Ich freue mich auf eine gute und erfolgreiche Kooperation.


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Quelle:
Bulletin Nr. 26-5 vom 16.03.2010
Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit,
Norbert Röttgen, zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag
am 16. März 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2010