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FORSCHUNG/536: Die raffinierten Tricks von Täuschorchideen (uni ulm intern)


uni ulm intern, Nr. 296, Februar 2009 - Das Ulmer Universitätsmagazin

Die raffinierten Tricks von Täuschorchideen
Chemische Ökologie bei Insekten und Orchideen

Von Professor Manfred Ayasse


Chemische Botenstoffe haben eine herausragende Bedeutung in der Kommunikation von sozial lebenden Insekten und bei Interaktionen zwischen Tieren und Pflanzen. Beide Bereiche bilden Forschungsschwerpunkte in der Arbeitsgruppe von Professor Manfred Ayasse (Institut für Experimentelle Ökologie). So untersuchen im Moment mehrere Mitglieder bei sozial lebenden Insekten, darunter Hummeln und Stachellose Bienen Pheromone, die die Arbeitsteilung steuern, als Wegpheromone Nestgefährten den Weg zur Futterquelle weisen oder bei den sozialparasitisch lebenden Kuckuckshummeln den Zugang ins Wirtsnest ermöglichen.


Blütenduftstoffe haben eine enorm wichtige Rolle bei Tier-Pflanze-Interaktionen. Sie locken nicht nur die Bestäuber an, sondern manipulieren auch deren Verhalten auf den Blüten. Besonders faszinierende Untersuchungsobjekte sind Orchideen. Sie sind Weltmeister, wenn es darum geht mit Hilfe von Täuschung ihre Bestäuber anzulocken. Fast die Hälfte aller Orchideenarten, in Deutschland sogar noch wesentlich mehr, sind Täuschblumen, die ihre Bestäuber unter Vortäuschung falscher Tatsachen mit gefälschten Signalen anlocken. Falls es sich dabei um chemische Signale handelt, spricht man auch von Chemischer Mimikry. Diese Form von Mimikry bei der Bestäubung hat schon früh viele Forscher beschäftigt, da man hier Evolutionsvorgänge besser nachvollziehen kann als bei üblichen Pflanzen. Bereits Darwin hat ein Buch über die Bestäubungsbiologie von Orchideen veröffentlicht.

Eine der bemerkenswertesten Täuschmechanismen findet man bei Orchideen der Gattung Ophrys. Es handelt sich um so genannte Sexualtäuschblumen, deren Blüten in Form, Farbe und im Duft ein Weibchen der entsprechenden Bestäuberart imitieren und so die Männchen zum Landen auf der Blüte veranlassen und zu so genannten »Pseudokopulationen«, das heißt Versuchen, mit der Blüte zu kopulieren.

Dabei findet die Bestäubung statt. Bestäuber sind in den meisten Fällen Wildbienen. Mit Hilfe von Verhaltensexperimenten und chemischen Analysen konnten Ayasse und sein Team zeigen, dass Ophrys-Blüten dazu ein Duftstoffgemisch benutzen, welches identisch ist mit dem Sexualpheromon der paarungswilligen Weibchen. Einen entscheidenden Durchbruch bei diesen Untersuchungen erzielten sie mittels einer elektrophysiologischen Methode, bei welcher die Antenne der Bienenmännchen als hochempfindlicher Biodetektor genutzt wird. Damit, so Ayasse, könne man in einem komplexen Bouquet von oft über 100 Verbindungen diejenigen Substanzen finden, die gerochen werden und daher auch bei der Bestäuberanlockung verwendet werden.

Blütenbesuche durch Bestäubermännchen sind bei Sexualtäuschblumen in der Regel sehr selten. Der Grund dafür ist in der hohen Bestäuberspezifität zu suchen. Jede Ophrys-Art wird in der Regel nur durch eine Bestäuberart besucht. Dadurch wird Hybridisierung und Pollenverlust verhindert. Zusätzlich führt bei Täuschblumen Habituation, das heißt das Lernen von Blütendüften, zu einer geringen Anzahl an Blütenbesuchen. Um dem entgegenzuwirken, duftet jede Blüte leicht verschieden, und ein getäuschtes Männchen wird sprichwörtlich mehrere Male an der Nase herumgeführt. Letztendlich führt dies zu einer größeren Anzahl an bestäubten Blüten, wichtig in Anbetracht der geringen Frequenz an Bestäuberbesuchen.

Damit ist aber noch nicht genug. Eine weitere Strategie der Orchideen besteht darin, dass die Blüten nach der Bestäubung unattraktiv werden für die Männchen, die nur von unbestäubten Blüten angelockt werden. Dazu imitieren bestäubte Blüten den Duft von gepaarten Weibchen, die sich nach der Paarung ihrem Nachwuchs widmen und daher nicht mehr durch paarungswillige Männchen belästigt werden möchten. Sie signalisieren dies durch einen veränderten Duft, gleiches findet man bei den bestäubten Blüten. Die Bestäuber werden dadurch bevorzugt zu unbestäubten Blüten eines Blütenstandes gelenkt.

Im Moment beschäftigen sich Ayasse und Mitarbeiter im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Schwerpunkts zum Thema: »Radiation - Ursprünge biologischer Diversität« mit Prozessen der Artbildung, die bei den Ragwurzarten sehr rasch stattfinden können. Durch Mutationen der Duftgene oder durch Hybridisierung locken neue Duft-veränderte Pflanzen neue Bestäuber an, die eine Isolationsbarriere gegenüber den »alten Bestäuberarten« darstellen. Wir haben Hinweise dafür, so Ayasse, dass eine Ragwurzart, die nur auf den Balearen vorkommt, sich wohl von einer anderen dort vorkommenden Art abgespalten hat. Auf Sardinien konnten wir zeigen, dass eine durch Hybridisierung entstandene Art gerade dabei ist, ihre Elternarten zu verdrängen und deren ökologische Nische einnimmt. Ragwurzarten stellen Modellsysteme dar, wenn es um solche Artbildungsprozesse geht.

Eine andere Gruppe von Täuschenden Orchideen wird von Wespen bestäubt. In einem weiteren Forschungsvorhaben untersuchen Ayasse und Mitarbeiterin Jennifer Brodmann die Reproduktionsbiologie von mehreren Wespenblumen, darunter auch die in Baden-Württemberg heimische Orchideenart Epipactis helleborine, eine typische Wespenblume.

Die Blüten weisen Anpassungen an den Besuch und die Bestäubung durch soziale Faltenwespen auf und schon Darwin fragte sich, warum die Blüten fast ausschließlich Wespen anlocken und nicht auch andere typische Blütenbesucher wie Honigbienen und Hummeln.

In einer vor Kurzem erschienenen Arbeit in der hoch angesehenen Fachzeitschrift Current Biology konnten Professor Ayasse und Mitarbeiterin Jennifer Brodmann nun klären, wie es diese Orchideen bewerkstelligen, Wespen zur Bestäubung anzulocken. Das Forscherteam zeigte, dass die Orchideen zur Bestäuberanlockung Duftstoffe nachahmen, die von Pflanzen abgegebenen werden, wenn diese von Insekten wie zum Beispiel Kohlweißlingsraupen befallen sind. Die Wespen ernähren ihre Brut oft gerade mit diesen Raupen, die sie mit Hilfe dieser Duftstoffe finden. Die befallenen Pflanzen locken also die Fressfeinde der Raupen, in diesem Fall Wespen, an um sich gegen Befraß zur Wehr zu setzen.

Der Trick der Orchideen ist nun, durch Produktion dieser Verbindungen Beute jagende Wespen zur Bestäubung anzulocken. Sie finden bei den Blüten dann zwar keine fleischliche Nahrung, dafür aber jede Menge Nektar, was dazu führt, dass die Wespen anschließen auch weitere Blüten dieser Orchideenart besuchen und sie bestäuben.

Die bereits identifizierten Substanzen werden im Moment im Rahmen einer bereits bestehenden Kooperation mit der Firma Sterling RESCUE!(r), USA auf ihre mögliche Bedeutung als Wespenattraktantien in Form von umweltfreundlichen Wespenfallen untersucht.

Dieser anwendungsorientierte Aspekt der Untersuchungen verleiht dem Thema eine nicht nur wissenschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Bedeutung und stellt ein Beispiel dafür dar, dass oft zunächst Grundlagen orientierte Forschung zu Ergebnissen führen kann, die in einer Anwendung enden. Weitere Wespenblumen werden im Moment in der Türkei und in China untersucht.


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Quelle:
uni ulm intern, Nr. 296 (39. Jg.), Februar 2009, S. 30-31
Herausgeber: Universität Ulm, Pressestelle
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uni ulm intern erscheint sechsmal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2009