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FORSCHUNG/578: Unverantwortliches Experiment - Eisendüngung im Südatlantik (Kritische Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 72 Ausgabe 24 [1] - Sommer 2009

LOHAFEX
Wissenschaftliche Expedition schlägt hohe Wellen - Umstrittene Eisendüngung im Südatlantik

Von Rüdiger Stegemann


Eines späten Abends Anfang Januar 2009 versandte die internationale zivilgesellschaftliche Organisation ETC-Group aus Kanada eine dringende eMail. Darin wurde aufgerufen, gegen ein kurz bevorstehendes Experiment zu protestieren. Es ging um das deutsche Forschungsschiff POLARSTERN, das wenige Tage danach den Hafen von Kapstadt (Südafrika) verlassen sollte. Fahrtrichtung West-Süd-West, Zielgebiet Scotia-See im antarktischen Südatlantik. Was gab es da zu protestieren?

Die ETC-Group hatte herausgefunden, dass mit der POLARSTERN ein Experiment unter dem Namen LOHAFEX zur Ozeandüngung vorgenommen werden sollte. Der Name LOHAFEX setzt sich zusammen aus dem Hindi-Wort für Eisen ("Loha") und den Anfangsbuchstaben von Fertilization Experiment. Schnelleres und stärkeres Algenwachstum sollte dazu führen, dass bei deren Photosynthese mehr Kohlenstoffdioxid als normalerweise aufgenommen wird und beim Absterben der Algen mit diesen auf den Meeresboden sinkt. Also ein Experiment des Geo-engineering zum Thema Klimawandel.

Das Vorhaben war aufgrund eines deutsch-indischen Forschungsabkommens von 2007 geplant worden. An ihm nahmen 48 Wissenschaftler aus Indien, Deutschland und weiteren Ländern teil. Die Federführung lag beim deutschen ALFRED-WEGENER-INSTITUT FÜR POLAR- UND MEERESFORSCHUNG (AWI, Bremerhaven), das das Experiment zusammen mit dem indischen NATIONAL INSTITUTE OF OCEANOGRAPHY (NIO) durchführte.

Viele haben es nicht gewusst, manche wollen es bis heute nicht wahrhaben: dieses Vorhaben gibt gleich zweimal Anlass zum Protest. Der eine Grund liegt im Bruch von Völkerrecht, der andere in der Gefährdung der Biodiversität.

Im Mai 2008, also über ein halbes Jahr vor dem Start der Expedition hatte die 9. Vertragsstaatenkonferenz (COP 9) der Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) in Bonn ein Moratorium für derartige Experimente der Ozeandüngung beschlossen. In diesem de-facto-Moratorium hieß es, dass im Blick auf das Vorsorgeprinzip solche Aktivitäten nicht stattfinden sollen, solange eine ausreichende wissenschaftliche Basis dafür fehlt, dass solche Aktivitäten sinnvoll und wirksam sind. Erst sollten besonders die damit verbundenen Risiken abgeschätzt werden. Außerdem müsse vorher ein "globaler, transparenter und wirksamer Kontroll- und Regulierungsmechanismus" geschaffen werden. Beides ist bis heute nicht erfüllt. Die Proteste richteten sich in Deutschland zuerst an Bundesumweltminister Gabriel, der als Präsident der COP 9 bis zur COP 10, die 2010 in Japan stattfinden wird, für die Wahrung und Umsetzung der Beschlüsse der COP 9 verantwortlich ist. Gabriel hatte sich während der COP 9 persönlich für das Moratorium eingesetzt, das dann von den 191 Mitgliedsstaaten der Biodiversitäts-Konvention einmütig beschlossen wurde - unter Einschluss von Indien, Deutschland und Südafrika. Gegenüber der Presse erklärte Gabriel: "Es ist eine seltsame Idee, dass man mit Technologie alles lösen kann. Das ist sehr riskant und zeigt, wozu Menschen bereit sind. Ich bin froh, dass wir das de-facto-Moratorium erreicht haben."

Mit diesem Experiment ist auch ein zweites internationales Abkommen berührt, die Londoner Konvention der International Maritime Organisation - ein Vertrag, der das Mülldumping auf See reguliert. Auch dieser völkerrechtliche Vertrag wurde durch LOHAFEX missachtet.


Bruch des Völkerrechts

Das AWI behauptete nach Aufkommen der Proteste, beide Abkommen - die CBD und die Londoner Konvention seien nicht berührt. Da es sich bei LOHAFEX um ein Forschungsvorhaben handelt, war neben dem Umweltministerium auch das Forschungsministerium zuständig. Forschungsministerin Schavan suchte nach Rechtfertigungen für das Experiment und gab ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag, das die völkerrechtlichen Fragen klären sollte. Es wurde über Wochenende erstellt. Ergebnis: Kein Problem, das Vorhaben verstößt nicht gegen Völkerrecht. Auf die ersten Proteste hin war die POLARSTERN gestoppt worden. Nun wurde grünes Licht gegeben. Das Schiff setzte seine Fahrt in die südatlantischen Gewässer fort.

Die Aufenthaltszeit in den Zielgewässern war auf 45 Tage beschränkt worden. In dieser Zeit sollten die Auswirkungen der Eisendüngung auf das Algenwachstum und insbesondere deren Blüte und späteres Absinken beobachtet werden. Untersuchungen weiterer Auswirkungen auf die Ökologie des Ozeans und die marine Biodiversität waren nicht vorgesehen. Dies wurde auch vom Bundesumweltminister bemängelt. Die sehr fragile und komplizierte ozeanische Ökologie erfordert jedoch bei allen Einwirkungen und Eingriffen einer besonderen Beachtung und Vorsicht. Internationale Wissenschaftler haben wiederholt vor den unkalkulierbaren Risiken derartiger Eingriffe in die Ozeane gewarnt. Es ist unverantwortlich, dass sich Deutschland und Indien bei LOHAFEX über das Vorsorgeprinzip hinweggesetzt haben.

Völlig ungewiss ist auch, was die Lagerung der auf den Meeresboden, mit mehr Kohlenstoffdioxid angereicherten abgestorbenen Algen dort bedeutet, und wie lange dieses Kohlenstoffdioxid dort gebunden bleibt.


Gefährdung der marinen Biodiversität

Verschiedene frühere Experimente ähnlicher Art haben gezeigt, dass die Aufnahme von Kohlenstoffdioxid durch die Algen sehr unterschiedlich ausfällt. Eine jüngere Untersuchung erbrachte, dass gerade einmal ein Prozent des von den Algen zunächst gebundenen Kohlenstoffdioxids nach ihrem Absterben dauerhaft am Meeresgrund gelagert wird. Der Rest wurde zuvor wieder recycelt und mehr oder weniger schnell wieder freigesetzt.


Kommerzielle Dimensionen?

Die Betreiber von LOHAFEX weisen weit von sich, dass das Experiment etwas mit kommerziellen Interessen zu tun hat oder gar ein "Türöffner" für kommerzielle Aktivitäten werden könne. Aber kann man hier noch von reiner Wissenschaft und Forschung sprechen, wenn man weiß, dass in den letzten Jahren private Firmen nur knapp von Aktivitäten zur Ozeandüngung abgehalten werden konnten? Die Ocean Nourishment Corporation aus Australien und die Planktos Inc. aus den USA waren drauf und dran, derartige Düngung in der Sulu-See (Philippinen) und nahe den Galapagos-Inseln (Ecuador) durchzuführen. Das wirtschaftliche Ziel: Verkauf der Kohlenstoffdioxid-Senkung am internationalen Markt für Emissionszertifikate.


Verlauf und Ergebnis

War es ein Omen für dieses unter internationalen WissenschaftlerInnen umstrittene Experiment, dass von Bord der POLARSTERN berichtet wurde - "Gleich zu Beginn der Expedition haben wir sehr schlechtes Wetter angetroffen, so dass noch viele dabei sind, sich an das schaukelnde Schiff zu gewöhnen"? Die Seekrankheit war wohl nicht das einzige Manko. In Deutschland gerieten sich der Umweltminister (SPD) und die Forschungsministerin (CDU) in die Haare. Vorboten des Wahlkampfes? Jedenfalls setzte sich Ministerin Schavan durch und LOHAFEX wurde wie geplant durchgeführt.

Aufgescheucht durch die vielen und massiven internationalen Proteste schenkten die Medien und die Öffentlichkeit dem Experiment eine hohe Aufmerksamkeit. Die Bundesregierung musste im Bundestag Stellung nehmen. Die Leitung des AWI reiste eilig zu einer eigentlich nicht geplanten Pressekonferenz von Bremerhaven nach Berlin, wo gerade die GRÜNE WOCHE stattfand. Viele JournalistInnen kamen und stellten kritische Fragen.

Und dann kam alles anders. Die Algenblüte verlief anders als bei vorangegangenen Experimenten. Der Leiter der AWI-Fachabteilung Biowissenschaften gab zu: "Das ist ein Argument gegen die kommerzielle, großflächige Eisendüngung, da ihre Auswirkungen nicht kalkulierbar sind." Außerdem war zu beobachten, dass die Algen vermehrt von Kleinstgetier gefressen wurden, die wiederum als Futter für andere Meerestiere dienen. So bleibt das Kohlenstoffdioxid im Nahrungskreislauf und landet nicht in der Tiefsee.

Fazit: Die künstliche Düngung der Weltmeere mit Eisen kann die Konzentration des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid in der Luft kaum vermindern. Dies wurde vom AWI nach Abschluss des Experimentes zugegeben.

Aber rechtfertigt dieses Ergebnis das gesamte Vorhaben? Es war und bleibt ein unverantwortliches Experiment: Einerseits stellt es die Missachtung einer auch von den Betreibern mit getroffenen völkerrechtlichen Entscheidung dar. Und andererseits missachtet es das Vorsorgeprinzip, das in diesem Falle die marine Biodiversität schützen sollte.


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 72 Ausgabe 24 [1] Sommer 2009, S. 9-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2009