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FORSCHUNG/673: Wir erforschen, wie Umweltpolitik funktioniert (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2010

Wir erforschen, wie Umweltpolitik funktioniert
Interview mit Prof. Dr. Christoph Görg, Leiter des Departments Umweltpolitik am UFZ

Interview: Doris Böhme


Seit Januar 2010 gibt es am UFZ das Department Umweltpolitik. Um Umweltpolitik zu machen?

Die Aufgabe des neuen Departments ist es nicht, Politik zu machen. Es erforscht die Umweltpolitik, wie sie funktioniert, welche Rolle z. B. Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Lobbyisten, Betroffene oder die Medien spielen, wie Stakeholderbeteiligung und Partizipationsverfahren verbessert werden können, um Konflikte zu lösen und größere Akzeptanz herzustellen. Das Thema ist nicht neu am UFZ, da wir schon seit vielen Jahren in vielfältiger Weise in Umweltpolitik involviert sind, teilweise direkt über Politikberatung in vielen Feldern oder indirekt durch Publikationen und Interviews. Auch die Erforschung der Umweltpolitik ist nicht ganz neu. Beispielsweise wurden auch bislang schon umweltpolitische Instrumente aus juristischer und ökonomischer Sicht untersucht. Durch die Neugründung des Departments bündeln und stärken wir die vorhandenen sozialwissenschaftlichen Kompetenzen. Dadurch können wir einerseits die gesellschaftspolitische Relevanz unserer Forschungsprojekte deutlicher machen und andererseits dazu beizutragen, die Meinungsbildung im Hinblick auf umweltpolitische Maßnahmen zu verbessern.

Ist das nicht eine gefährliche Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Politik? Wissenschaftlern des IPCC wird vorgeworfen, sich zu sehr als politische Aktivisten zu verstehen.

Wir müssen uns über unsere eigene Rolle klar werden. Wo verlassen wir das Feld der Wissenschaften und wechseln in die Rolle des Advokaten? Man kann als Forscher durchaus engagiert für ein Ziel eintreten, muss aber seine Rolle dabei reflektieren. Ist z.ein Thema oder Problem überhaupt noch nicht in der öffentlichen Agenda angekommen, kann der Wissenschaftler durchaus den Advokaten spielen und darauf hinweisen, dass er dort ein Problem auf uns zukommen sieht. Wenn aber wie beim Klimawandel ein Thema hochgradig politisiert ist, sollten Wissenschaftler vorsichtiger sein und sich auf ihre wissenschaftliche Expertise und Erkenntnisse konzentrieren. Denn sonst besteht die Gefahr, dass sie instrumentalisiert werden und selbst die beste wissenschaftliche Forschung infrage gestellt wird. Es ist eben nicht trivial, die richtige Form der Politikberatung zu finden.

Seit 2005 gibt es Beratungen und Verhandlungen, eine Art "IPCC für Biodiversität" einzurichten. Sozialwissenschaftler des UFZ haben sich in den Diskussionsprozess eingeschaltet. Wo stehen wir heute?

Wir haben 2006 in einem internationalen Workshop am UFZ genauer durchleuchtet, wie die internationale Biodiversitätspolitik bislang funktioniert und was für sie wirklich erforderlich ist. Wir sind damals mit der These angetreten, dass die Bedingungen ganz anders sind als in der Klimapolitik. Daher brauchen wir hier einen anderen Ansatz. Die Ergebnisse der Diskussion sind in die weiteren Verhandlungen um einen solchen Weltbiodiversitätsrat eingegangen. Jetzt stehen wir kurz vor dem entscheidenden Schritt: Vielleicht schaffen wir es noch in diesem Jahr, dass ein Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) etabliert wird. Es gibt einige wenige Länder, die noch nicht richtig überzeugt sind. Offen ist vor allem noch die genaue Funktionsweise. Wie sollen Entscheidungen getroffen werden? Wer wird wann und wie einbezogen? Wer finanziert was? Wo bzw. an welche Institution wird ein solches Gremium angebunden?

Wie könnte ein solches Beratungsgremium für Biodiversität aussehen?

Er wird keine Kopie des IPCC werden. Das Problem bei der Biodiversität ist etwas anders als im Klimabereich. Es gibt auf internationaler Ebene bereits eine Reihe guter Abkommen und Maßnahmen. Allerdings bewirken sie auf nationaler, regionaler und vor allem lokaler Ebene nicht das, was man erreichen möchte. Wir haben das Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 signifikant zu reduzieren, nicht erreicht, trotz der Convention on Biological Diversity (CBD), dem Washingtoner Artenschutzabkommen, dem Abkommen zu wandernden Tierarten oder zu Feuchtgebieten, NATURA 2000 usw. Es genügt eben nicht, mehr Naturschutzgebiete bereitzustellen, sondern man muss die Biodiversität in ihrer ganzen Breite erhalten. Hinzu kommt: die Umsetzung passiert nicht auf globaler, sondern auf lokaler Ebene. Um diese Probleme zu lösen, ist ein sehr spezifisches Wissen, ein lokales Praxiswissen um die konkreten Zusammenhänge vor Ort erforderlich. Deshalb wurde die Idee aufgegriffen, die zahlreichen lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Netzwerke und das dort vorhandene Wissen in einen neuen Mechanismus einzubinden, sie zu stärken und sehr spezifische Links zwischen Wissenschaft, anderen Wissensformen und Entscheidungsträgern einzurichten. Das UFZ selbst organisiert z.das nationale Netzwerk-Forum Biodiversität und ist bereits eng mit der European Platform for Biodiversity Research Strategy (EPBRS) sowie Diversitas auf internationaler Ebene vernetzt. Es wäre unsinnig, solche Schnittstellen zur Politik zu verdoppeln und einen riesigen Wasserkopf draufzusetzen.

Was muss passieren, damit IPBES erfolgreich wird?

Es wäre naiv, mit guten wissenschaftlichen Ergebnissen Regierungen überzeugen zu wollen, zu handeln. Und oft sind die Erwartungen darüber, was Regierungen in Verhandlungen lösen sollen, übersteigert. Dazu sind die Entscheidungsprobleme zu verschieden und zu komplex. Zuerst einmal braucht man den Konsens, dass ein bestimmtes Problem vorhanden ist, z. dass es einen anthropogen verursachten Klimawandel gibt. Bei der biologischen Vielfalt gibt es eine Vielzahl viel konkreterer Probleme. Wie kann auf internationaler Ebene die Frage von Zugang und Vorteilsausgleich gelöst werden? Wie geht man mit Gewinnen aus der Nutzung der biologischen Vielfalt um und wie können ärmere Länder daran beteiligt werden? Da kann zwar wissenschaftlicher Input geleistet werden, aber das ist vor allem ein politisches Thema. Vielfalt und Klimawandel miteinander zusammenhängen, ganz klar mit sehr viel Forschung und Politikberatung verbunden. Hier ist sehr spezifisches Wissen in ganz bestimmten Regionen notwendig, um Landwirten, Tourismusverbänden, Verkehrsplanern oder Förstern vor Ort mit ihrem konkreten Problem konkrete Antworten geben zu können. Da reicht es nicht zu sagen, dass der Klimawandel die Biodiversität beeinflusst.(db)


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Wie Beteiligungsprozesse in der EU verbessert werden können. Das Projekt Governat

Beteiligungsprozesse können einen wichtigen Beitrag für eine erfolgreichere Umsetzung europäischer Umweltpolitik leisten. Wichtig dabei ist, dass die jeweiligen Ziele, Nutzen und Kosten klar sind und die Beteiligungsverfahren unter Berücksichtigung des jeweiligen institutionellen und sozialen Kontextes individuell gestaltet werden. Unklar ist, welche spezifische Form der Beteiligung in solch komplexen Prozessen angemessen und sinnvoll ist, denn sie betreffen sowohl lokale als auch regionale, staatliche und europäische Akteure verschiedener gesellschaftlicher Bereiche und Ebenen. Das sind Ergebnisse des Projektes "GoverNat", das im Rahmen des Marie-Curie-Stipendiatenprogrammes vier Jahre lang von der EU mit insgesamt 2,4 Millionen Euro gefördert und vom UFZ koordiniert wurde. 12 Doktoranden und Postdocs hatten Partizipationsprozesse, die die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und das Natura-2000-Naturschutznetzwerk erfordern, an mehr als 30 Beispielen in dreizehn europäischen Ländern untersucht. Ihre Ergebnisse haben sie als Empfehlungen an die Politik zusammengefasst.

1. Erwartungen regeln
Die Beteiligten an solchen Partizipationsprozessen haben unterschiedliche Erwartungen und Hoffnungen an den Prozess. Sind die Ziele jedoch nicht klar, dann sind Missverständnisse, Frustration und Konflikte vorprogrammiert, die die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses untergraben können.

2. Prozesse an Kontexte anpassen
Die Fallstudien haben gezeigt, dass sich übliche Beteiligungsverfahren in den einzelnen EU-Staaten und auch in den einzelnen Sektoren sehr unterscheiden. Eine EU-weite Blaupause kann daher nicht erfolgreich sein. Die Prozesse müssen stattdessen stets an den kulturellen und institutionellen Zusammenhang angepasst werden.

3. Verschiedene Akteure einbinden
Aufgrund der vielen Ebenen und gesellschaftlichen Bereiche, die von Natur- und Gewässerschutz betroffen sind, ist es wichtig, konstruktive Wege zu finden, um mit den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, Ressourcen und Verfahrensabläufen umzugehen. Dabei müssen Prioritäten zwischen Sektoren und Ebenen ausgehandelt werden.

4. Initiativen "von unten" einbeziehen
Organisationen der Zivilgesellschaft und lokale Initiativen haben in den letzten Jahrzehnten spürbar zu einer demokratischen Umweltpolitik beigetragen. Ihr Wissen und ihr Engagement können diese Prozesse deutlich voranbringen. So gelang es zum Beispiel, im finnischen Lempääla ein wichtiges Vogelschutzgebiet zu erhalten. Die Initiative ging dabei von lokalen Ornithologen aus, die ihre Erfahrungen einbrachten und durch Vereinbarungen die Aufnahme in das Natura-2000-Netzwerk ermöglichten. Auch beim ungarischen Körös-Maros-Nationalpark ging die Initiative von lokalen Naturschützern aus.

5. Nutzen und Kosten bekannt machen und aufteilen
Auch wenn der demokratische Nutzen dieser Beteiligungsprozesse unbestritten ist, so bedarf die Durchführung personeller Ressourcen. Dabei ist es wichtig, dass Kosten und Nutzen gerecht verteilt werden. Dieser Aspekt wurde bisher häufig von Politik und Forschung unterschätzt.

Kontakt: Dr. Felix Rauschmayer, Department Umweltpolitik
Telefon: 0341-235-1656, e-mail: felix.rauschmayer@ufz.de
policy brief: www.governat.eu/files/files/policy_brief_governat_dt_2010.pdf


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Prof. Dr. Christoph Görg studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt/M. In seiner Habilitation setzte er sich mit der Regulation von Naturverhältnissen auseinander. Seit 2004 forscht er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am UFZ zu den Themen der Biodiversitätspolitik, Landnutzungs- und Klimawandel sowie Transformation geselschaftlicher Naturverhältnisse. Seit Januar 2010 leitet er das Department Umweltpolitik (www.ufz.de/index.php?de=4986).


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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2010, Seite 6-7
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2010