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FORSCHUNG/683: Grüner Duft wird Raupen zum Verhängnis (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 26. August 2010

Grüner Duft wird Raupen zum Verhängnis

Tabakschwärmer-Raupen wandeln beim Fressen ungewollt pflanzliche Inhaltsstoffe in Locksignale um und verraten sich so ihren Feinden


Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben in Freilandstudien herausgefunden, dass Tabakschwärmerraupen über ihre Verdauungssekrete in Tabakblätter eine besondere Substanz abgeben, die einen dort vorhandenen Blattduftstoff schlagartig in ein duftendes Locksignal umwandelt. Mit diesem als (E)-2-Hexenal bezeichnetem Signal locken die Raupen ungewollt ihre eigenen Feinde an: insektenfressende Raubwanzen. Diese attackieren zielgenau nicht nur die frisch geschlüpften Raupenbabys, sondern vertilgen gleichzeitig die vom Muttertier abgelegten Eier. (Science, 27. August 2010)

Versuchsaufbau im Freiland: Auf der Tabakblatt-Unterseite befinden sich Eier, eine junge Raupe und eine gerade gelandete Raubwanze. - Bild: © Danny Kessler

Versuchsaufbau im Freiland: Auf der Unterseite eines Tabakblattes befinden sich Eier, eine junge Raupe und eine gerade gelandete Raubwanze.
Bild: © Danny Kessler

Pflanzen haben ein ausgeklügeltes Verteidigungssystem. Sie sind in der Lage, sich nicht nur direkt gegen Fraßfeinde zu wehren, indem sie Giftstoffe produzieren, sondern auch indirekt. Sie geben spezielle duftende Moleküle in die Atmosphäre ab, die von insektenfressenden Schlupfwespen oder Raubwanzen wahrgenommen werden; diese fliegen dann zur attackierten Pflanze und fressen oder parasitieren deren Schädling - zum Überlebensvorteil der Pflanze.

Ökologen interessieren sich seit der Entdeckung der indirekten Verteidigungsstrategien für deren Abläufe und molekularen Mechanismen. Beispielsweise schalten fast alle Pflanzen einige ihrer Verteidigungslinien erst ein, wenn tatsächlich eine Raupe an ihnen frisst. Wie aber erkennt die Pflanze den Schädling? "Sehen kann sie ihre Angreifer nicht, aber diese könnten sich durch verdauungsfördernde Substanzen verraten, die üblicherweise in ihren Mundsekreten enthalten sind und die beim Fressen mit den Blättern in Berührung kommen", so Silke Allmann, Doktorandin in der von Ian Baldwin geleiteten Abteilung "Molekulare Ökologie". In seiner Abteilung wird gezielt in Pflanzen nach Substanzen, Signalketten und Stoffwechselwegen geforscht, sobald der Verteidigungsfall ausgelöst wurde.


Zwei Formen des Lockstoffs

Kürzlich sind die Wissenschaftler auf Inhaltsstoffe des wilden Tabaks aufmerksam geworden, die als "green leaf volatiles" bezeichnet werden; das sind flüchtige Verbindungen, die aus grünen Blättern nach Verwundung abgegeben werden. Diese Moleküle verleihen frisch gemähtem Rasen dessen typische frische Duftnote. Im letzten Jahr wurden die grünen Duftstoffe des Tabaks genau unter die Lupe genommen. Die Wissenschaftler fanden, dass die Menge eines bestimmten grünen Duftstoffes, nämlich des (E)-2-Hexenals, schnell zunahm, nachdem von Tabakschwärmerraupen gewonnenes Verdauungssekret auf verwundete Blätter aufgetragen wurde. Der Aldehyd Hexenal kommt in der Tabakpflanze in zwei isomeren Formen vor: (Z)-3-Hexenal und (E)-2-Hexenal. Z-E Umwandlungen können durch spezielle Enzyme, so genannte "Isomerasen", katalysiert werden. "Wir vermuteten, dass das vermehrte Auftreten von (E)-2-Hexenal einen Lockstoff für Raubwanzen darstellen könnte. Wir entdecken diese Wanzen nämlich immer dann, wenn auf Tabakblättern Tabakschwärmerraupen aus den Motteneiern schlüpfen und zu fressen beginnen", sagt Ian Baldwin.

Eine Tabakschwärmer-Raupe wird von einer Raubwanze attackiert. Die Raupe wandelt beim Fressen ungewollt pflanzliche Inhaltsstoffe in Locksignale um. Dadurch verrät sie sich ihrem Feind. - Bild: © Matthey Film

Eine frisch geschlüpfte Raupe des amerikanischen Tabakschwärmers (Manduca sexta) wird von einer Raubwanze der Gattung Geocoris attackiert. Die fressende Raupe hatte wenige Stunden zuvor unabsichtlich und katalysiert durch eine Substanz in ihrem Speichel die Chemie eines pflanzlichen "grünen" Duftstoffs derart verändert, dass dieser daraufhin ihren Feind zu ihrem eigenen Verderben und zum Vorteil der befallenen Pflanze angelockt hat.
Bild: © Matthey Film

Um diese Vermutung zu erhärten, wurden Versuchsserien gestartet, bei denen Motteneier und verschiedene Mischungen aus (Z)-3-Hexenal und (E)-2-Hexenal eingesetzt wurden. Auf Blätter von im Freiland wachsenden Tabakpflanzen wurden Eier aufgeklebt und direkt daneben verschiedene Duftsignal-Mixturen mittels Wattestäbchen aufgetragen. Nach zwölf und 24 Stunden wurde das Schicksal der Eier ermittelt. Ergebnis: Vornehmlich mit dem "Z-Köder" parfümierte Pflanzen zeigten nur einen Verlust von acht Prozent der ausgelegten Eier, während die "E-Köder parfümierten Pflanzen" einen Verlust von 24 Prozent aufwiesen. Und tatsächlich: Diese Eier waren von Raubwanzen der Gattung Geocoris vertilgt worden. Auffallend war die schnelle Reaktionszeit nach Auslösen des Verteidigungsfalles: In weniger als einer Stunde war die Umwandlung der Moleküle von Z nach E vollzogen, und in weniger als 24 Stunden waren Raub und Vertilgen der Eier vollbracht. "Andere indirekte Verteidigungsmaßnahmen von Pflanzen, die erst einmal neue Stoffwechselwege in Betrieb setzen müssen, bevor sie überhaupt Duftsignale bilden und aussenden können, sind bedeutend langsamer", erklärt Ian Baldwin. Bildung und Abgabe des (E)-2-Hexenal-Duftsignals erfolgen derart schnell, dass suchend umherfliegende Wanzen ausreichende "chemische" Information über den genauen Aufenthaltsort ihrer auf dem Blatt fressenden Beute bekommen. Genau diese durch das Duftsignal verratene Ortsangabe ihres Fraßfeindes ist es, die den chemischen Alarmruf für die Pflanze so effektiv macht.

Aber mit welcher Substanz verrät sich die Raupe? "Die einfachste Annahme ist, dass das Verdauungssekret der Tiere ein spezielles Enzym, wahrscheinlich eine Isomerase, enthält, welches das Z:E Verhältnis des Aldehyds in Richtung (E)-2-Hexenal verschiebt", so Silke Allmann. Um dies zu überprüfen, wurde Verdauungssekret kurz erhitzt und nachfolgend auf verwundete Blätter aufgetragen. Da sich nun kein (E)-2-Hexenal mehr bildete, handelt es sich bei der unbekannten Substanz wahrscheinlich tatsächlich um ein Enzym, da diese typischerweise Hitze-instabil sind. Auch wurde geprüft, ob die Tabakpflanzen ganz speziell auf das Sekret des Tabakschwärmers oder aber auch auf Sekrete anderer Raupenspezies reagierten. Interessanterweise zeigten die Sekrete zweier Eulenfalterarten (Spodoptera exigua und S. littoralis) deutlich geringere Effekte.


Schutz vor Infektionen?

Ein Frage bleibt jedoch noch unbeantwortet: Warum enthält das Mundsekret der Tabakschwärmerraupen eine Substanz, die ihnen ja letztlich zum tödlichen Verhängnis wird, sobald sie an Tabakblättern nagen? Silke Allmann und Ian Baldwin vermuten, dass die Bildung von (E)-2-Hexenal die Raupen vielleicht vor anderen Angreifern schützen kann, beispielsweise vor bakteriellen Infektionen. Schädliche Mikroorganismen, zahlreich und jeden Tag mit der Blattnahrung aufgenommen, könnten durch das (E)-2-Hexenal schnell und effektiv getötet werden, denn dieser Stoff ist als ein stark antibiotisches Mittel bekannt. Damit ergäbe sich eine existenzielle Gratwanderung für die Raupen: Einerseits laufen sie durch die Abgabe von (E)-2-Hexenal Gefahr, von Wanzen verheerend attackiert zu werden, andererseits aber garantiert das Vorhandensein von (E)-2-Hexenal eine gesunde, nicht durch Bakterien kontaminierte Nahrung.

Der eigentliche Gewinner dieser Nahrungskette ist jedoch die Raubwanze, weil sie unbeschadet und satt aus dem Rennen hervorgeht - dank ihrer sensiblen Antennen, mit denen sie das (E)-2-Hexenal schon in kleinsten Mengen riechen kann.
[JWK]


Originalveröffentlichung:
S. Allmann, I. T. Baldwin
Insects betray themselves in nature to predators by rapid
isomerization of green leaf volatiles.
Science, 27. August 2010

Weitere Informationen erhalten Sie von:
Ian T. Baldwin
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
E-Mail: baldwin@ice.mpg.de

Silke Allmann
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
E-Mail: sallmann@ice.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation B / 2010 (193), 26. August 2010
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2010