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FORSCHUNG/705: Winzige Helfer gegen die Pest - Bakterieller Erdölabbau im Meer (DFG)


forschung 3/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Winzige Helfer gegen die Pest

Von Antje Boetius


Das Bohrloch im Golf von Mexiko ist versiegelt, doch die Folgen der Öko-Kastastrophe sind noch immer unabsehbar. Zum Abbau der gewaltigen Verschmutzung tragen auch Mikroorganismen bei, die das Öl im Wasser und auf dem Grund des Ozeans buchstäblich auffressen. Meeresforscher sind den hungrigen Bakterien schon lange auf der Spur.


Erdölkatastrophe im Golf von Mexiko: Am 20. April 2010 ließ eine Gasexplosion die Tiefseebohrplattform "Deepwater Horizon" sinken. Der Unfall führte zu einer der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte der Menschheit. Bis zum 16. Juli 2010, als das Leck am Bohrloch durch eine Kappe gestoppt werden konnte, liefen jeden Tag Zehntausende Tonnen Rohöl und Erdgas aus - mit unabsehbaren Folgen für das Öko-System.

Spätestens im Zuge dieser öffentlich als Katastrophe wahrgenommenen Umweltzerstörung ist das Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen eines bakteriellen Erdölabbaus im Meer gefragter denn je. Brennende Fragen sind: Wo ist das Öl geblieben? Wie lange dauert es, bis Meer und Strände wieder sauber sind? Wie kann der bakterielle Abbau des Erdöls beschleunigt werden? Was passiert eigentlich mit dem Öl in der Tiefsee? Kann die Natur allein mit Ölaustritten fertig werden?

Dass ständig aus natürlichen Quellen entweichendes Erdöl sich nicht in den Meeren und an Stränden ansammelt, hat mit der Aktivität von Mikroorganismen zu tun. Zwei mikrobielle Abbauwege sind zu unterscheiden: der aerobe (mit Sauerstoff) und der anaerobe (ohne Sauerstoff). Der aerobe Abbau ist für die natürliche Sanierung besonders wichtig. Dabei wird zunächst Sauerstoff in die reaktionsträgen Kohlenwasserstoffe eingebaut und die entstehenden Fettsäuren werden als Energiequelle "veratmet". Ist kein Sauerstoff mehr vorhanden, kommen anaerobe, sehr langsam wachsende Bakterien zum Zuge, die aus dem Sulfat des Meerwassers giftigen Schwefelwasserstoff bilden.

Im Golf von Mexiko gibt es mindestens 1000 natürliche Ölquellen, die zusammen bis zu 200 Tonnen Erdöl pro Tag in die Umwelt entlassen. Aus der Bohrung der versunkenen "Deepwater Horizon"-Plattform entwichen hingegen pro Tag circa 10 000 Tonnen Erdöl und Erdgas. Bei Unfällen dieser Größenordnung ist die Verschmutzung so groß, dass Hilfsmittel wie Abbrennen, Einsammeln, Absaugen oder Verteilung des Öls mithilfe von Chemikalien notwendig werden, um den Schaden an der Umwelt einzugrenzen.


Aus der Tiefsee austretendes Öl hat meist einen sehr hohen Gasgehalt. So traten im Golf von Mexiko zusätzlich zu den 700 000 Tonnen Öl auch geschätzte 250 000 Tonnen Erdgas aus. Normalerweise steigt ein Öl-Gas-Gemisch aufgrund seiner geringeren Dichte in wenigen Tagen zur Wasseroberfläche auf. Doch je kleiner die sich bildenden Öltropfen sind, desto langsamer vollzieht sich der Aufstieg. An der "Deepwater Horizon"-Unfallstelle wurde der größte Teil des Öl-Gas-Gemisches wie bei einem Salatölzerstäuber unter hohem Druck durch ein dünnes Rohr in Form feinster Tröpfchen - weniger als ein Millimeter groß - ausgestoßen, die kaum Auftrieb hatten und horizontal in der Wassersäule verdrifteten. Messungen wie die des Meereschemikers Richard Camilli und seines Teams fanden im Mai und Juni ein deutliches Signal des Öls in Wassertiefen von 1000-1300 Metern, und zwar in bis zu 35 Kilometern Entfernung von der Austrittsstelle.

Die von der Regierungsbehörde NOAA (National Oceanographic and Atmospheric Administration) im August 2010 veröffentlichten Daten zur Katastrophe zeigen, dass nur 8 Prozent des gesamten Öls sich so an der Wasseroberfläche anhäuften, dass ein Abbrennen oder Einsammeln durch Schiffe möglich war. Bis zu 17 Prozent des Öls konnten direkt über dem Bohrloch von Tankschiffen in Schläuchen aufgefangen werden. Damit verblieben 75 Prozent des ausgelaufenen Öls im Meer oder gelangten an die Strände.

Von dem nicht eingesammelten Öl an der Meeresoberfläche (25 Prozent) verdampften die leichtflüchtigen Komponenten in die Atmosphäre. Die großen Mengen eingeleiteter chemischer Dispersionsmittel konnten einen anderen Teil des Öls an der Meeresoberfläche verteilen. Die bakteriellen Abbauraten der Erdölrückstände in der Wasseroberfläche und in der Tiefe sind allerdings unbekannt. Verschwunden ist das Öl jedenfalls nicht: Im September 2010 fand das Team um die Geomikrobiologin Samantha Joye massive Ölablagerungen auf dem Meeresboden in 100-1500 Metern Wassertiefe.

Direkt an natürlichen Erdgasquellen werden im Durchschnitt pro Tag höchstens 0,1-0,5 Prozent des in die Wassersäule entweichenden Gases biologisch abgebaut. Unsere Ratenmessungen an natürlichen Ölquellen im Golf von Mexiko ergeben eine ähnliche Größenordnung für den Abbau der leicht abbaubaren Kohlenwasserstoffe, die in Form von Öltropfen austreten. Teerklumpen am Meeresboden sind viel schwerer abbaubar und brauchen Jahrhunderte, um von Mikroorganismen zersetzt zu werden, da es in kompakten Erdölansammlungen an Sauerstoff mangelt. So fanden Mitarbeiter des Zentrums für Umweltforschung in Leipzig um den Umweltmikrobiologen Hauke Harms heraus, dass die 1989 bei dem "Exxon Valdez"-Unglück verschmutzten Strände Alaskas bis heute giftige Erdölrückstände enthalten.


Wie ist das zu erklären? Erdöl abbauende Bakterien sind in allen Weltmeeren verbreitet. Durch größere Mengen Erdöl kommt es zur Massenvermehrung dieser speziellen Bohrlecks sind Vermehrung und Abbauleistung der Bakterien dennoch zu langsam, um eine großflächige Verschmutzung zu vermeiden. Daher ist es eine Wunschvorstellung, Ölschichten und Ölteppiche durch Besprühen mit besonders effizienten oder gar genetisch veränderten Bakterienzuchtstämmen oder Chemikalien verschwinden zu lassen.

Doch herrscht kein Mangel an effizienten Erdölabbauern im Meer. Je nach den Umweltbedingungen an dem vom Öl betroffenen Standort und je nach Öltyp vermehren sich vielfältige Mikrobengemeinschaften. Es müssen nur genügend Nährsalze wie Stickstoff, Phosphat und Eisen vorhanden sein; das Erdöl darf nicht zu kompakt und Sauerstoff nicht begrenzt sein. In warmen Gewässern ist der Abbau generell schneller als in kalten.


Bakterien, die Erdöl abbauen, wirken außerdem arbeitsteilig zusammen. Die mikrobielle Teamarbeit ist immer ein vorteilhaftes Prinzip beim natürlichen Recycling, sonst wären wohl auch schon in der Natur alles könnende Superbakterien entstanden. Die Überlebensfähigkeit spezieller Zuchtstämme in der Natur ist allerdings fraglich. Bisher sind weniger als 0,1 Prozent der marinen Bakterien kultiviert, weil sie Wachstumsbedingungen benötigen, die sich im Labor schwer nachstellen lassen. In die Umwelt freigesetzte Zuchtstämme sind daher sicher gegenüber natürlichen Populationen benachteiligt.

Bakterien benötigen als Lebensmilieu Wasser. Je feiner die Tropfen und größer ihre Oberfläche, desto schneller können die Erdölabbauer wachsen. Daher wird bei Erdölunfällen oft mit chemischen Dispersionsmitteln nachgeholfen. Bei den meisten Dispersionsmitteln ist aber noch unklar, wie sie auf das gesamte Ökosystem wirken. Für die Tierwelt sind Dispersionsmittel mindestens ebenso giftig wie das Öl selbst, besonders für Larven und Eier.

Bei dem "Deepwater Horizon"-Unfall war an der Austrittstelle eine mechanische Zerstäubung des Öls zu beobachten. Es ist also fraglich, ob die 2400 Tonnen Dispersionsmittel, die in die Tiefsee geleitet wurden, tatsächlich nötig waren. Eine gründliche Untersuchung der Wirkung von Dispersionsmitteln unter verschiedenen natürlichen Bedingungen ist eine wichtige Voraussetzung, um deren Einsatz bei zukünftigen Unfällen optimieren zu können. Dazu bedarf es auch einer besseren Kenntnis des Tiefseelebensraums.

Tiefsee und Meeresoberfläche sind keine getrennten Systeme. Daher ist es wichtig, auch den Verbleib des Öls in der Tiefsee zu untersuchen. Es gibt viele Arten von Meerestieren, die für die Nahrungsaufnahme mehrere Hundert Meter am Tag auf- und abwandern und die durch Öl in der Tiefsee geschädigt werden können. Die absinkenden Erdölreste und Teerklumpen verändern ihren Lebensraum. Die natürliche Lebensgemeinschaft in der Tiefsee ist an nahrungsarme Bedingungen angepasst. Sie besteht vor allem aus Tieren, die im Schlamm nach Nahrung graben oder diese aus dem Bodenwasser filtrieren. Eine solche Gemeinschaft verändert sich durch den Kontakt mit Erdöl sofort. Die natürlich vorkommenden Organismen verschwinden nahezu vollständig.


Ende 2003 wurde ein großes natürliches Asphaltfeld in der Tiefsee des Golfes von Mexiko entdeckt. 2006 konnte das Team um den Meeresgeologen Gerhard Bohrmann (Universität Bremen) den Erdölaustritt mit dem neuen Tiefseeroboter QUEST (MARUM) an Bord des Forschungsschiffes "Meteor" beproben. Wenn zähflüssige Erdölrückstände auf dem Meeresboden verteilt werden, so sind sie dem kalten, sauerstoffreichen Tiefseewasser ausgesetzt. Mit der Meeresströmung werden Gase und leicht flüchtige Erdölkomponenten aus dem teerigen Substrat entfernt, es wird rissig und von Bakterien besiedelt. Die Erdölabbauer verbrauchen Sauerstoff, in den darunter liegenden Zonen wachsen Methanproduzierer sowie anaerobe sulfatreduzierende Bakterien und Methanabbauer. Sie produzieren Schwefelwasserstoff. Dadurch wiederum werden große Schwefelbakterien angelockt, die einen dichten Rasen bilden.

Dieser Bakterienrasen wird dann von einwandernden Meerestieren abgegrast. Wenn über Jahre das teerige Substrat entgiftet worden ist, siedeln sich zum Beispiel Krustenschwämme, symbiotische Muscheln und Röhrenwürmern auf dem immer weiter aushärtenden Asphalt an. Die natürliche, an das Leben im feinen Schlamm angepasste Tiefseelebensgemeinschaft kehrt aber nicht in ihren Lebensraum zurück.

Derzeit sind noch viele Fragen bezüglich des Unfalls und seiner Folgen offen, und es bleibt nur zu hoffen, dass Gesellschaft, Politik und Wissenschaft noch viel aus dieser Katastrophe lernen können.


Prof. Dr. Antje Boetius, Professorin für Geomikrobiologie an der Universität Bremen, leitet die Helmholtz-Max-Planck-Brückengruppe zu Tiefseeökologie und -technologie am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung sowie internationale Projekte zur Ökologie und Biogeochemie von Gas- und Ölquellen im Meer.

Adresse: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Celsiusstr. 1, 28359 Bremen

Förderung im Rahmen des DFG-Forschungszentrums und Exzellenzclusters MARUM (Projekt "Geosphere Biosphere Interaction"), des BMBF-DFG-Programms "Geotechnologien" sowie mehrerer Expeditionen mit den Forschungsschiffen "Meteor" und "Merian".

Mikrobiologische Hintergründe (Autor Prof. Friedrich Widdel) und weitere Links:
www.mpi-bremen.de/Abbau_von_Erdl_durch_Bakterien_-_Grundlegende_Gesichtspunkte_aus_mikrobiologischer_Sicht.html


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Eine klebrige Angelegenheit: Natürlich austretender Asphalt am Meeresboden.

• Kraftpaket in Aktion (oben): Der Tiefseeroboter "Quest 400" des Bremer Exzellenzclusters MARUM. Unten: Mit einem Geifarm nimmt der Roboter zahlreiche Asphaltproben vom Boden des Golfs von Mexiko, die später in Laboren untersucht werden.

• Von links nach rechts: Entgasung von frischen Asphaltproben aus 3000 Metern Wassertiefe. - Ein Druckgefäß, mit dem Asphalt und Öl unter Tiefseebedingungen analysiert werden. - Bewohner der Tiefsee: Riesenmuscheln von den Asphaltfeldern von Mexiko


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Quelle:
forschung 3/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
S. 5-9
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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59,00 Euro (online), 65,00 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2010