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FORSCHUNG/730: Vom Sperrgebiet zum Wanderweg - Zur Entwicklung von Konversionsflächen (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2010

Raumwissenschaft
Vom Sperrgebiet zum Wanderweg
Zwei Leibniz-Institute erforschen die Entwicklung von Konversionsflächen

Von Sabine Wygas


Dortmunds moderne Wohnsiedlung "Neue Gartenstadt", die Fachhochschule in Münster oder die Wanderwege der Döberitzer Heide in Brandenburg: Viele Orte, an denen Menschen heute ganz selbstverständlich leben, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen, waren bis vor 20 Jahren noch für die Öffentlichkeit tabu. Sie unterlagen strengster Abschirmung, denn sie beherbergten Kasernen, Truppenübungsplätze, Militärdepots oder Raketenstellungen von Bundeswehr, Alliierten oder russischer Armee.

"Diese militärischen Areale waren weiße Flecken auf der Landkarte", erklärt Bernd Wuschansky, Leiter des Bereichs Raumwissenschaftliche Information und Kommunikation beim Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) in Dortmund. Heute sind viele dieser Flächen für die zivile Nutzung freigegeben. Aus ehemaligen Sperrgebieten entstehen neue Lebensräume - eine stadt- und regionalplanerische Herausforderung. Denn nicht alle der riesigen Areale können schnell und kostengünstig neu nutzbar gemacht werden. "Häufig waren die Liegenschaften in einem desolaten baulichen Zustand, große Flächen waren durch Beton versiegelt oder der Boden enthielt Altlasten und Munition", sagt Andreas Röhring, Projektleiter am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Sowohl das ILS als auch das IRS erforschen die Entwicklung von Konversionsflächen in Deutschland.

Dass diese gigantischen Flächen überhaupt wieder verfügbar wurden, ist das Ergebnis einschneidender politischer Veränderungen, wie das Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands. Die Folge: Die alliierten Streitkräfte zogen ab, die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR wurde aufgelöst, Bundeswehrtruppen wurden reduziert. Waren um 1990 noch 1,5 Millionen Soldaten in Deutschland stationiert, so sind es heute nur noch 250.000. Allein in Nordrhein-Westfalen (NRW) wurden etwa ein Viertel der 47.000 Hektar militärisch genutzter Gebiete frei, das entspricht etwa 12.000 Fußballfeldern. Fast 90 Prozent der bis 1998 freigesetzten Militärareale befinden sich jedoch in den neuen Bundesländern. Mit 160.000 Hektar ist Brandenburg in Europa am stärksten von Flächenkonversion betroffen. Der größte Teil wurde von der Westgruppe der russischen Truppen (WGT) genutzt, bei dem Rest handelt es sich um ehemalige Liegenschaften der Nationalen Volksarmee.

Wenn Areale vom Militär aufgegeben werden, bietet das neue Entwicklungschancen, ruft bei den betroffenen Städten und Gemeinden jedoch oft große Ängste hervor. Vor allem in den alten Bundesländern geht auch ein gehöriges Stück Kaufkraft verloren. So beschäftigt das Militär meist ebenso viele Zivilisten wie Soldaten, die mit dem Truppenabzug ihren Arbeitsplatz verlieren. In den neuen Bundesländern waren diese regionalwirtschaftlichen Zusammenhänge bisher weniger ausgeprägt, die Betroffenheit von der Flächenkonversion ist jedoch wesentlich höher. Die Städte müssen genau überlegen, wie sie die neuen Areale nutzen, damit möglichst viele Menschen profitieren.


Kommunen sollten zusammenarbeiten

"Das ist immer von den konkreten Situation abhängig und mit komplexen Entscheidungsprozessen verbunden", sagt Andreas Röhring. Eigentümer der Flächen ist in der Regel der Bund, der die Areale unter anderem über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) verwertet. Städte und Gemeinden können die Flächen erwerben, aufgrund der mit der Aufbereitung verbundenen hohen Kos-ten sind sie aber dazu meist finanziell nicht in der Lage. Daher gibt es in der Praxis verschiedene Modelle: Der Bund bleibt Eigentümer und vermarktet die Fläche zusammen mit der Kommune, die auch die Erschließung übernimmt. Am häufigsten erwerben Privatpersonen oder Firmen die Liegenschaften und schließen einen städtebaulichen Vertrag mit den Gemeinden ab. In seltenen Fällen kaufen die Kommunen die ehemaligen Militärflächen und veräußern sie. Die Kommunen haben mit ihrer Planungshoheit jedenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die Nachnutzung. "Daher sollten Gemeinden Erfahrungen austauschen und zusammenarbeiten, auch um gegenüber Land und Bund ihre Interessen zu artikulieren", sagt Röhring. In Brandenburg etwa findet eine solche Vernetzung über das Forum für Konversion und Stadtentwicklung (FOKUS) statt.

Die größte Herausforderung liegt darin, durch Konversion bessere Entwicklungsperspektiven für Städte und Regionen zu gewinnen und zu sichern. Wie aufwändig und kostenintensiv dies ist und ob es gelingt, hängt auch von der bisherigen militärischen Nutzung ab. Kasernen bieten einige Vorteile. "Zum einen ist die Gebäudesubstanz teilweise noch gut erhalten, zum anderen liegen die Komplexe größtenteils in der Innenstadt", erläutert Bernd Wuschansky, der sich vor allem mit ehemaligen Militärflächen und ihrer alternativen Nutzung in NRW beschäftigt. Nicht selten entstehen neue Wohnanlagen, Einkaufszentren oder Hochschulgelände. Viele Städte haben diese Vorteile erkannt. So sind etwa die Fachhochschulen in Potsdam, Münster oder Soest auf ehemaligen Kasernengeländen entstanden. Frühere Militärflughäfen werden teilweise zivil weitergenutzt, so der "Airport Weeze" am Niederrhein.

Schwieriger ist es dagegen bei ehemaligen Truppenübungsplätzen. Munition, zum Beispiel Granaten, Sprengmittel oder gelagerte Chemikalien, verursachen gewaltige Probleme, denn keiner weiß, wo sie genau liegen. Um solche Flächen voll nutzbar zu machen, ist eigentlich eine Räumung bis in tiefere Schichten von mehreren Metern nötig, aber das ist für solch große Areale nicht finan-zierbar. Daher wird das Gelände meist nur oberflächlich von Munition befreit und dann sich selbst überlassen. "Während der militärischen Nutzung waren diese Landschaftsgebiete nicht zugänglich, daher konnten sich oft seltene Tiere und Pflanzen dort ansiedeln", sagt Wuschansky. So entstanden wertvolle Naturschutzgebiete, die heute über Wanderwege erkundet werden können. Die aufwändige Pflege der Areale wird im Idealfall, wie etwa in der Döberitzer Heide nahe Berlin, von privaten Stiftungen übernommen.


Naherholung statt Raketen

Bei Großtanklagern ist eine Weiternutzung nur sehr eingeschränkt möglich. In Brandenburg wurden bis 1999 zehn solcher Anlagen zurückgebaut. Das hat etwa 18 Millionen Euro gekostet. Da sich die Lager meist mitten in Waldgebieten befinden, werden auch sie anschließend einfach der Natur zurückgegeben. Gleiches gilt für ehemalige Raketenstellungen. "Die Waffen wurden entfernt, heute weiß kaum noch jemand, wo es solche Stellungen gab, selbst die Städte nicht, denn die Orte waren ja streng geheim", so Wuschansky.

Es gibt zahlreiche positive Beispiele gelungener Konversion. Daher erhoffen sich viele Gemeinden im ländlichen Raum trotz komplizierter Rahmenbedingungen Entwicklungsimpulse aus der Umgestaltung von Militärobjekten. Diese Kommunen haben im Laufe der Zeit gelernt, die Konversion als Chance zu verstehen. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt: Realisiert wurden unter anderem Museen, Testgelände für Autos oder eine Kart-Bahn. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Lieberose in der Lausitz ist neben einer vielfältigen Heidelandschaft ein riesiger Solarpark entstanden.

Dennoch, die Unsicherheit bleibt, da es auch Beispiele langwieriger Konversionsprozesse gibt. So musste beispielsweise die Stadt Hamm für das frühere Bundeswehrkrankenhaus lange nach einer neuen Nutzungsmöglichkeit suchen, bevor sich kurzfristig seine Eignung als Standort der neuen Fachhochschule ergab. Hinzu kommt, dass vor allem in Ostdeutschland der Bedarf an frei gewordener Fläche sinkt. "Seit 1990 nimmt die Bevölkerung dort stetig ab. Neben niedrigen Geburtenzahlen haben die Arbeitsmarktprobleme diesen Trend verstärkt", sagt Andreas Röhring. Auch leer stehende Wohnhäuser würden mittlerweile nicht mehr saniert, sondern abgerissen.

Die Konversion militärischer Flächen hält indes bis heute an. Der amtierende Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat angekündigt, die Zahl der Soldaten weiter zu reduzieren - da werden wieder Liegenschaften frei. Während Andreas Röhring auf der Grundlage seiner Forschungsprojekte die Konversion in Brandenburg weiter begleitet, will Wuschansky seine Bestandsaufnahme in NRW fortsetzen. Eigentlich müsste die Arbeit ausgedehnt werden. "Es fehlt zum Beispiel ein Gesamtüberblick: Niemand weiß derzeit, wie viele Konversionsflächen es bundesweit gibt und was aus ihnen geworden ist", sagt Wuschansky. "Es gibt noch viel zu tun."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Von der Kaserne zum modernen Wohngebiet: Die Solarsiedlung Gasselstiege in Münster ist ein Beispiel für gelungene Konversion.

Das Gelände der BlücherKaserne in Hemer wurde 2010 für die Landesgartenschau genutzt.

Pferde statt Soldaten: Die Döberitzer Heide bei Berlin, ehemals ein militärisches Übungsgelände, ist heute ein beliebtes Naturschutzgebiet.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2010, S. 12-13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2011