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FORSCHUNG/824: Naturkapital Deutschland - Wirtschaftsprüfer in Wald und Moor (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter April 2012

Naturkapital Deutschland

Den Wert der Natur erleben wir bei jedem Waldspaziergang. Dass sie auch Grundlage unseres Wohlstandes ist, machen sich die wenigsten bewusst. Entsprechend ungenügend finden diese Werte bislang Eingang in wirtschaftliche und politische Entscheidungen. In der Studie "Naturkapital Deutschland - TEEB DE" versuchen Wissenschaftler daher, den ökonomischen Wert der Natur greifbar zu machen.



Wirtschaftsprüfer in Wald und Moor

von Kerstin Viering


Bei jedem Schritt federt der Boden, das Moos unter den Füßen ist vollgesogen wie ein Schwamm. Rohrkolben spiegeln sich in kleinen Tümpeln, der Wind raschelt durch hohes Schilf und spielt mit den haarigen Köpfen des Wollgrases. Die Blüten des Sumpf-Blutauges malen rote Farbtupfer in die grünliche Landschaft, der Sonnentau streckt seine klebrigen Tentakeln nach Insekten aus. Mal liegt das Schnarren des Seggenrohrsängers in der Luft, mal das seltsame Meckern der Bekassine, das eher an eine Ziege als an einen Vogel erinnert. Noch vor hundert Jahren waren solche Szenen in vielen Regionen Norddeutschlands an der Tagesordnung. Moore verschiedener Art bedeckten dort früher zwischen zehn und zwölf Prozent des Landes und boten den Feuchtigkeitsfans unter den Tieren und Pflanzen reichlich Lebensraum. Doch im 19. und 20. Jahrhundert gerieten die feuchten Flächen zunehmend ins Visier der Landwirtschaft. Allein in Mecklenburg-Vorpommern wurden bis zur Wendezeit zirka 30.000 Hektar trockengelegt, um Äcker und Viehweiden zu gewinnen.

Unterschätzte Leistungen

"Das war allerdings aus heutiger Sicht ein schwerer Fehler", meint Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, der am UFZ das Department Ökonomie leitet. Dabei hatte zunächst alles nach einem guten Geschäft ausgesehen: Die Trockenlegung versprach Profit in Form von Fleisch, Milch oder Korn, schien aber abgesehen von den Kosten für Entwässerungsgräben und Pumpen keinen Preis zu fordern. Was zählten schließlich ein paar Seggenrohrsänger und Rohrkolben? "Inzwischen wissen wir allerdings, dass ein intaktes Moor eben kein wertloses Ödland ist", betont der Wissenschaftler. Die quatschende Sumpfwelt fördert nicht nur die Artenvielfalt, sie klärt auch belastetes Wasser, speichert Feuchtigkeit für Dürrezeiten und zieht klimaschädliche Treibhausgase aus dem Verkehr. Alles wertvolle Leistungen, die sich wenn überhaupt nur mit viel Geld ersetzen lassen. Doch das hatte vor der Entwässerung niemand bedacht.
Ein typischer Fall von Kurzsichtigkeit. Und bei weitem nicht der einzige. Denn so ähnlich laufen viele Entscheidungen über die Landnutzung auch heute noch ab. Das Problem ist immer das Gleiche: Man kann relativ leicht kalkulieren, welchen Gewinn die Vermarktung natürlicher Ressourcen und die damit einhergehende Veränderung eines Lebensraums einbringen würde. Viel schwieriger ist die Gegenrechnung: Welche Leistungen würden durch die Maßnahme verloren gehen? Und ist deren Wert höher als der zu erwartende Profit? Um diese Fragen zu beantworten, müsste man den Wert eines Ökosystems an ganz handfesten Kriterien festmachen können. Die aber gibt es in vielen Fällen einfach noch nicht. Im Rahmen der nationalen Studie "Naturkapital Deutschland - TEEB DE", die vom Bundesumweltministerium und vom Bundesamt für Naturschutz finanziert wird, soll sich das nun ändern. Unter Leitung des UFZ werden Forscher und Praktiker aus ganz Deutschland bis zum Jahr 2015 versuchen, die bisher oft übersehenen Leistungen der Natur greifbar zu machen. Das Vorhaben lehnt sich an das internationale Projekt "The Economics of Ecosystems and Biodiversity" (TEEB) an, in dem zwischen 2008 und 2010 die Dienstleistungen von Ökosystemen in aller Welt unter die Lupe genommen wurden - mit interessanten Ergebnissen. Gesunde Korallenriffe zum Beispiel sind für den Tourismus oder den Küstenschutz ebenso wertvoll wie für die Fischerei. Zählt man das alles zusammen, stiftet ein Hektar Riff je nach Lage und Zustand einen jährlichen Nutzen im Wert von bis zu einer Million US-Dollar. Angesichts solcher spannenden Erkenntnisse haben etliche Länder wie Brasilien, Norwegen, die Niederlande und Indien bereits mit ähnlichen Studien auf nationaler Ebene begonnen. Naturkapital Deutschland - TEEB DE soll nun auch für deutsche Ökosysteme entsprechende Einschätzungen liefern. "Dabei geht es nicht darum, Mooren oder Wäldern ein Preisschild aufzukleben", betont Bernd Hansjürgens. Vielmehr wollen er und seine Kollegen für den Schutz von Ökosystemen und Biodiversität werben - und zwar vor allem bei Menschen, die bisher wenig Interesse an solchen Themen hatten. Die Ökonomie könne da sehr nützliche Argumente liefern, ist der Forscher überzeugt: "Sie übersetzt Natur in eine Sprache, die von vielen verstanden wird". Ein Blick durch die ökonomische Brille könne helfen, den Wert von Ökosystemen zu erkennen, sichtbar zu machen und in Entscheidungen zu berücksichtigen. Gesucht sind nun Fälle, in denen das schon geklappt hat. Die Forscher wollen möglichst viele erfolgreiche Beispiele zusammentragen und auswerten. "Alle Wissenschaftler und Experten aus der Praxis sind herzlich eingeladen, sich hieran zu beteiligen", wirbt Bernd Hansjürgens.

Der Wert des Waldes

Einige gute Beispiele können UFZ-Mitarbeiter auch aus ihrer eigenen Forschung beisteuern. Dr. Uta Berghöfer und ihre Kollegen beschäftigen sich zum Beispiel mit den Wäldern rings um die Großstädte Nordrhein-Westfalens. Im Auftrag des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums und in Zusammenarbeit mit Forstverwaltungen der waldbesitzenden Städte, wie Essen, Düsseldorf, Aachen und Köln, werfen die Forscher einen genaueren Blick zwischen die stadtnahen Buchen und Eichen. Was sind diese Bäume wert? Wer nur durch die forstwirtschaftliche Brille schaut, findet darauf schnell eine Antwort. Höhe? Dicke? Wuchsform? Holzqualität? Schon nach kurzer Zeit können Fachleute ungefähr abschätzen, welcher Preis sich mit einem bestimmten Stamm erzielen lässt. Aber die Großstadtwälder sind eben nicht nur als Holzlieferanten nützlich. Sie sind auch natürliche Luftfilter und Kläranlagen, Sportstätten und Kinderspielplätze, Kurkliniken und Bildungseinrichtungen. Wer ein vollständiges Bild vom Dienstleister Wald gewinnen will, muss auch solche Effekte berücksichtigen. Nur wie?
Die Forscher haben mit den Förstern vor Ort diskutiert, welche der Leistungen der Wälder in den Städten am wichtigsten sind. Durchs Raster fiel dabei zum Beispiel der Punkt "Nahrung". Die untersuchten Wälder bieten zwar ein paar Beeren und Pilze, wirklich wichtige Nahrungslieferanten sind sie aber nicht. Auch die Chance, in Waldpflanzen die Medikamente der Zukunft zu entdecken, ist in tropischen Regenwäldern deutlich größer als im Stadtforst von Köln oder Düsseldorf. Dafür sind die Großstadtwälder sehr wichtige Wasserspeicher, Frischluftlieferanten und Treibhausgasfänger. Abgesehen vom "Holz" sind sie außerdem besonders wertvoll für die Bereiche "Erholung und Gesundheit", "Lebensraum für Pflanzen und Tiere" und "Umweltbildung". Einige dieser Punkte wollen die Forscher nun genauer unter die Lupe nehmen. Gesucht sind gute Indikatoren, mit denen die Kommunen künftig die einzelnen Leistungen ihrer Wälder möglichst genau erfassen, kommunizieren und bei politischen Entscheidungen berücksichtigen können. Die Zahl der jährlich durch einen Wald geführten Schulklassen könnte beispielsweise ein gutes Maß dafür sein, was dieses Gebiet für die Umweltbildung leistet. Oder man könnte aus dem Anteil der ausgewiesenen Schutzgebiete auf seine Bedeutung für Pflanzen und Tiere schließen. Schwierig wird es im Bereich Erholung und Gesundheit. Zwar scheinen gerade diese Funktionen eine große Rolle zu spielen. Doch wie soll man ermitteln, was ein Wald für gestresste Großstadtmenschen bedeutet? Oder für Gassi-gehende Hundebesitzer? Einige dieser Effekte wird man wohl nicht in Zahlen fassen, sondern nur qualitativ beschreiben können, vermuten die Wissenschaftler. Andere Werte dagegen lassen sich womöglich sogar in Geldbeträgen ausdrücken. Zum Beispiel der Beitrag der Wälder zur Trinkwasserreinigung. Wie viel Liter sauberes Trinkwasser liefert ein bestimmtes Gebiet pro Jahr? Und zu welchem Preis könnte eine technische Kläranlage die gleiche Leistung anbieten?

Mit Mooren rechnen

Bei solchen ökonomischen Vergleichen schneidet die Natur oft erstaunlich gut ab. Ob es darum geht, Wasser zu klären oder den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren: Intakte Ökosysteme schaffen das häufig preiswerter und effizienter als jede Hightech-Anlage. "Deshalb lohnt es sich oft auch aus wirtschaftlicher Sicht, zerstörte Lebensräume zu renaturieren", meint Bernd Hansjürgens.
In den trockengelegten Mooren Norddeutschlands steckt zum Beispiel ein massives Klimaproblem. So stammt ein Drittel aller Treibhausgase Mecklenburg-Vorpommerns allein aus dieser Quelle und ist mit mehr als sechs Millionen Tonnen sogenannter CO2-Äquivalente größte Einzelquelle klimawirksamer Emissionen. Selbst bei der Stromerzeugung fallen in dem Bundesland jährlich nur knapp vier Millionen Tonnen CO2-Äquivalente an, der Verkehr liefert gut drei Millionen Tonnen. Deutschlandweit ist die Wiedervernässung von Mooren also eine interessante Klimaschutzmaßnahme. Gibt man einem Hektar Moor sein Wasser zurück, spart das jedes Jahr Emissionen von durchschnittlich 10,4 Tonnen CO2-Äquivalenten ein. Damit wird Moorschutz auch finanziell interessant. Schließlich gibt es den internationalen Emissionshandel, den die Europäische Union im Jahr 2005 gesetzlich festgeschrieben hat. "Mit einem Wiedervernässungsprojekt an diesem internationalen Zertifikate-Handel teilzunehmen, lohnt sich zwar nur für richtig große Moorflächen, wie es sie zum Beispiel in Weißrussland gibt. Doch die Idee an sich ist auch für kleinere Feuchtgebiete, wie die in Mecklenburg-Vorpommern, interessant", sagt UFZ-Mitarbeiter Augustin Berghöfer. Daher haben Moorexperten von der Universität Greifswald gemeinsam mit dem Schweriner Umweltministerium und der Stiftung Umwelt und Naturschutz einen Zertifizierungsstandard für einen freiwilligen regionalen Kohlenstoffmarkt entwickelt. Unternehmen und Privatleute können seit 2010 in Moorschutzprojekte investieren und so zum Beispiel die gesamten Treibhausgas-Emissionen eines Betriebes kompensieren. Oder auch nur die eines einzelnen Langstreckenfluges.
Dabei ist allerdings noch nicht berücksichtigt, dass ein wiedervernässtes Moor neben der Emissionseinsparung noch andere wertvolle Leistungen erbringt. Das soll sich nun ändern. Denn in die schon bestehenden Klimazertifikate wollen die Wissenschaftler nun beispielsweise auch die Bedeutung der Moore für die Wasserreinhaltung mit einrechnen. Schließlich hat ein intaktes Feuchtgebiet jede Menge Potenzial, zum Beispiel die über landwirtschaftliche Düngung eingetragenen Nährstoffüberschüsse zurückzuhalten oder abzubauen. Ohne ausreichend Wasser funktionieren diese natürlichen Kläranlagen jedoch nicht richtig. Durch eine Wiedervernässung kann man sie wieder in Betrieb nehmen. In Nordostdeutschland ist das zudem unter dem Aspekt interessant, dass auch die Ostsee unter den Nitrat- und Phosphateinträgen leidet. Die Anrainerstaaten haben sich deshalb im HELCOM-Abkommen verpflichtet, den Nährstoffeintrag über die Flüsse deutlich zu reduzieren. Und dazu könnten wiedervernässte Moore einen effektiven und kostengünstigen Beitrag leisten. Wieder ein ökonomisches (!) Argument mehr für die Rückkehr von Sumpf-Blutauge, Sonnentau und Co., meint TEEB DE-Studienleiter Bernd Hansjürgens.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Strategien zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes sollten durch die Erhaltung oder Wiederherstellung der CO2-Retentions- und Speicherleistung von Böden, Mooren und Wäldern sinnvoll ergänzt werden. Foto: Sebastian Tilch, UFZ

UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bernd Hansjürgens
Leiter Dept. Ökonomie

e-mail: bernd.hansjuergens[at]ufz.de

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Quelle:
UFZ-Newsletter April 2012, Seite 1-3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2012