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FORSCHUNG/825: Flechten, Algen und Moose sind Großspeicher für Stickstoff und CO2 (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 04.06.2012

Unscheinbar und doch gewaltig: Flechten, Algen und Moose sind Großspeicher für Stickstoff und CO2



Auf der Mauer, auf der Lauer sitzen nicht nur Wanzen, sondern oft auch Flechten, Algen, Moose und Pilze. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Biodiversität und Klima Forschungszentrums, des Mainzer Max-Planck-Instituts für Chemie und der Universität Kaiserslautern haben erstmals berechnet, wie viel Kohlendioxid und Stickstoff dieser flächigen Bewuchs weltweit speichert. Dabei kam Erstaunliches zu Tage: Jährlich nehmen diese Lebensgemeinschaften rund 50 Millionen Tonnen Stickstoff auf und binden rund 14 Milliarden Tonnen Kohlendioxid, berichtet das Team im Fachblatt "Nature Geoscience".

Anhand von Daten zum Vorkommen und Stoffwechsel der einzelnen Arten der als Kryptogamen (Arten, deren sexuelle Vermehrung ohne Blüte stattfindet) bezeichneten Pflanzen und Pilze errechneten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Aufnahme von Kohlendioxid und Stickstoff. Insgesamt wurden dazu mehr als zweihundert Einzelstudien ausgewertet und zusammengeführt.

50% des terrestrischen Stickstoffs in Flechten, Algen und Moosen
Stickstoff ist der Hauptbestandteil der Luft und befindet sich in einem ständigen Kreislauf. Geringe Mengen des Luft-Stickstoffs werden hierbei an Land gebunden. Das erstaunliche Ergebnis der Studie: Gemeinschaften aus Flechten, Algen, Moosen, Farnen und Pilzen fixieren jährlich 50 Millionen Tonnen und damit 50 Prozent dieses Luftstickstoffs, der an Land gebunden wird. Sie binden gleichzeitig so viel Kohlendioxid, wie pro Jahr durch Waldbrände und die Verbrennung von Biomasse weltweit freigesetzt wird. "Es gibt noch einzelne weiße Flecken, beispielsweise die Steppenlandschaften im Süden Russlands und im nördlichen Kasachstan, die nicht mit berücksichtigt werden konnten, weil keine Daten zu den dort vorkommenden Kryptogamen und deren Stoffwechsel verfügbar sind. Es ist deshalb möglich, dass die tatsächliche Stickstoff- und Kohlendioxidfixierung sogar noch höher ist", ergänzt Dr. Jörg Steinkamp, Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F).

Foto: © Jörg Steimkamp/BiK-F

Zu den Kryptogamen zählen u.a Flechten, im Bild: Xanthoria parietina.
Foto: © Jörg Steimkamp/BiK-F

Kryptogame Schichten in Nordeuropa speichern das meiste Kohlendioxid
Der Untersuchung zufolge unterscheidet sich das Speicherpotential je nach Lokalität. In außertropischen Wäldern wird am meisten Kohlendioxid, durch kryptogame Schichten gespeichert, die am Boden wachsen. In den Tropenwäldern verhält es sich umgekehrt: Hier binden Flechten, Moose und Algen, die auf Pflanzen, beispielsweise deren Rinde, wachsen, das meiste CO2. Global gesehen sind die in den Wäldern der Nordhalbkugel vorkommenden kryptogamen Schichten der größte Speicher für Kohlendioxid. Hier wird auch der Löwenanteil des an Land gebundenen Stickstoffs aus der Atmosphäre fixiert.

Ein Mittel gegen den Klimawandel?
Mit Hilfe der kryptogamen Schichten den Klimawandel zu bekämpfen, ist jedoch nicht möglich, denn der flächige Bewuchs speichert das Treibhausgas Kohlendioxid nur über wenige Jahre hinweg. Dennoch erhöhen Flechten, Algen, Moose, Farne und Pilze über die Stickstoffbindung auch die globale CO2-Fixierung, denn über Kryptogame gelangt Stickstoff als mineralischer Dünger in den Boden. Damit wird das Wachstum von Pflanzen (z.B. Bäumen), die das Treibhausgas langfristig speichern, in Stickstoff-limitierten Ökosystemen angekurbelt und sie können mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen. "Diese Studie ermöglicht verbesserte Vegetationsmodelle, in denen der Stickstoffkreislauf, insbesondere durch seine Wirkung auf Vegetation und deren CO2-Aufnahmekapazität, immer mehr an Bedeutung gewinnt", so Steinkamp, der am BiK-F im Bereich Modellierung der terrestrischen Vegetation arbeitet.

Uralte Lebensform
Die in der Studie untersuchten Kryptogamen vermehren sich durch Sporenbildung. Sie sind eine sehr alte Lebensform. Fossilien datieren die zu dieser Gruppe zählenden Blaualgen auf etwa 2,6 bis 2,7 Milliarden Jahre zurück. Im Laufe der Zeit hat sich in der Gruppe eine beeindruckende Vielfalt an Formen, Farben und Arten herausgebildet. Zudem sind Kryptogamen absolute Anpassungskünstler und kommen fast überall vor. Insbesondere in nährstoffarmen Ökosystemen, die extremen Bedingungen ausgesetzt sind, sind sie daher ein wichtiger Bestandteil des Stoffkreislaufs.

Studie: Wolfgang Elbert, Bettina Weber, Susannah Burrows, Jörg Steinkamp, Burkhard Büdel, Meinrat O. Andreae und Ulrich Pöschl (2012). Contribution of cryptogamic covers to the global cycles of carbon and nitrogen. Nature Geoscience, DOI:10.1038/NGEO1486.
Online unter http://www.nature.com/ngeo/journal/vaop/ncurrent/full/ngeo1486.html

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: Dr. Jörg Steinkamp LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) Tel. 069 7542 1866 E-Mail: joerg.steinkamp@senckenberg.de oder Sabine Wendler LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Pressereferentin Tel.: 069 7542 1838 E-Mail: sabine.wendler@senckenberg.de

LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main
Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK- F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Institutionen aus Wissenschaft, Ressourcen- und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.
Mehr unter www.bik-f.de

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news480999
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution639

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Sabine Wendler, 04.06.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012