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FORSCHUNG/831: Wissenschaft zum Mitmachen - Wiesenknopf, Schnecken und Tagfaltermonitoring (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2012

Wissenschaft zum Mitmachen

Wer forschen will, braucht Geld, Zeit und Personal. Und nichts davon steht so üppig zur Verfügung, wie es für viele Vorhaben notwendig wäre. Insbesondere dann, wenn sehr viele Daten in kurzer Zeit gesammelt und ausgewertet werden müssen, setzen Wissenschaftler zunehmend auf die Unterstützung interessierter Laien. Auch am UFZ gibt es gute Erfahrungen mit "Citizen Science", der Wissenschaft zum Mitmachen.



Finde den Wiesenknopf

von Kerstin Viering

Eine große, bis zu 1,20 Meter hohe Staude mit gefiederten Blättern? Eiförmige Köpfchen mit 20 bis 40 kleinen, dunkelroten Blüten? Leicht unangenehmer Verwesungsgeruch? Perfekt! Wer in den nächsten Wochen solche Pflanzen entdeckt, kann an einem neuen Forschungsprojekt des UFZ teilnehmen. Wenn er dann auch noch ein paar Käfer oder Fliegen über die Gewächse krabbeln sieht, umso besser. "Wir wollen wissen, wann und wo in Deutschland der Große Wiesenknopf blüht und welche Insekten ihn besuchen", sagt Agrarökologe Dr. Josef Settele vom UFZ. Um das herauszufinden, hoffen er und seine Kolleginnen und Kollegen auf tatkräftige Hilfe aus der Bevölkerung. Mitte Juni, wenn die Zeitschrift GEO wieder ihren alljährlichen "Tag der Artenvielfalt" organisiert, wird das Projekt offiziell starten (www.ufz.de/wiesenknopf).

Mitmachen kann jeder, der manchmal an mehr oder weniger feuchten Wiesen und Viehweiden vorbei kommt. Denn sofern Landwirte dieses Grünland nicht zu intensiv bewirtschaften, findet der Große Wiesenknopf Sanguisorba officinalis dort in fast ganz Deutschland geeignete Lebensräume. Interessierte Pflanzenfahnder brauchen sich also nur das Informationsmaterial zu besorgen, das die UFZ-Mitarbeiter im Internet bereitstellen. Mithilfe der darin enthaltenen Beschreibungen und Fotos sind sowohl die Pflanzen als auch viele ihrer Besucher leicht zu erkennen. Nun gilt es nur noch zu notieren, wie weit die Blüten schon entwickelt sind und ob gerade Bienen oder Schmeißfliegen, Marienkäfer oder Schmetterlinge daran sitzen. Diese Daten und ein paar Fotos der Beobachtungen werden dann über die Internetseite oder per e-mail ans UFZ geschickt und dort ausgewertet.

Besonders gespannt sind die Forscher auf neue Informationen über das Vorkommen von zwei seltenen Schmetterlingsarten. Der Helle und der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Maculinea teleius und Maculinea nausithous, legen ihre Eier nur an dieser Pflanzenart ab, und für die erwachsenen Falter sind die roten Blüten ein äußerst beliebtes Restaurant. Beide Falter gehören zu den europaweit bedrohten Arten, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU besonders geschützt werden sollen. "Dazu müsste man aber erst einmal wissen, wo die Lebensräume dieser Arten überhaupt sind", sagt Josef Settele. Doch bisher gibt es noch keine systematische Erfassung der deutschen Bläulings-Dorados. "So eine bundesweite Kartierung kann kein Forschungsinstitut alleine stemmen", erklärt der Ökologe. "Das wäre einfach zu aufwendig und zu teuer".

Wertvolle Mitstreiter

Vor dem gleichen Problem stehen auch Wissenschaftler vieler anderer Disziplinen. Immer wieder gilt es, riesige Datenmengen zu erheben oder auszuwerten. Und immer häufiger schaffen die Profis das nicht allein. Ob es darum geht, per Computerspiel 3-DModelle von Proteinen zu basteln, im Datenwust von Teleskopen nach den Spuren unbekannter Sterne zu suchen oder über Jahre hinweg die Tier- und Pflanzenwelt großer Gebiete zu beobachten: Die Hilfe interessierter Hobbyforscher ist gefragt. Zumal sie in der Regel erstaunlich gute Informationen liefern. Bei ökologischen Bestandsaufnahmen zum Beispiel können sie durchaus mit den Ergebnissen der Profis mithalten, zeigt das vom UFZ koordinierte Projekt EuMon. Darin haben Wissenschaftler verglichen, wie gut verschiedene Methoden zur Beobachtung von interessanten Arten und Lebensräumen funktionieren. Im Test waren sowohl Programme mit Laien-Beteiligung als auch solche, in denen nur Profis am Werk waren. Und siehe da: Erstere schnitten genauso gut oder sogar besser ab. Denn die zahlreichen Mitstreiter erheben so viele Daten, dass der eine oder andere Fehler statistisch kaum ins Gewicht fällt. Wenn ein Laie einmal eine Art falsch bestimmt haben sollte, macht das also nicht viel. "Manche Wissenschaftler fühlten sich durch dieses Ergebnis ein bisschen in ihrer Profi-Ehre gekränkt", schmunzelt Josef Settele. Er und viele seiner Kollegen aber sehen vor allem die Chancen der Mitmach-Forschung - nicht nur in Sachen Wiesenknopf und Ameisenbläuling. So haben die UFZ-Mitarbeiter im vergangenen Jahr ein Projekt namens LEGATO gestartet, das sich mit den bewässerten Reiskulturen Südostasiens beschäftigt. Auf den Philippinen, in Vietnam und bald in weiteren Ländern wollen sie die Bevölkerung motivieren, einen genaueren Blick auf die Insekten dieser Felder zu werfen. Sie stellen Bauern und anderen Interessierten Bestimmungshilfen zur Verfügung, mit denen sich die wichtigsten der dort herumkrabbelnden Arten identifizieren lassen. Auf diese Weise soll eine Art Frühwarnsystem für Schädlinge entstehen. Umgekehrt ist aber auch interessant, wie sich die Bestände von Arten entwickeln, die als natürliche Schädlingsbekämpfer oder Pflanzenbestäuber zu den Verbündeten der Landwirte gehören.

Schnecken auf der Spur

In Europa haben UFZ-Forscher schon gute Erfahrungen mit solchen Mitmach-Aktionen gesammelt. Biologe Dr. Christian Anton hat zum Beispiel im Jahr 2009 den deutschen Teil des europaweiten Projektes "Evolution Megalab" koordiniert. Passend zum Darwin-Jahr ging es dabei darum, der Evolution bei der Arbeit zuzusehen - und zwar vor der eigenen Haustür. Unter Beobachtung standen dabei die Schwarzmündige Bänderschnecke Cepaea nemoralis und die Weißmündige Bänderschnecke Cepaea hortensis, die durch die verschiedensten Lebensräume zwischen Norwegen und Spanien kriechen (www.evolutionmegalab.org/de).

Die Häuser dieser häufigen Gartenschnecken schimmern in verschiedenen Schattierungen von Gelb, Rot und Braun. Dabei sind manche Tiere ganz einfarbig, andere haben ihr Domizil mit einem dunklen Band verziert oder sich für ein Muster mit bis zu fünf Streifen entschieden. Welches Modell ein Hausbesitzer mit sich herum trägt, ist dabei kein Zufall. So muss das Design nicht nur eine gute Tarnung gegen Feinde bieten, sondern auch als Klimaanlage herhalten. Denn ein dunkles Haus wärmt sich im Sonnenschein schneller auf als ein helles. In einer eher frostigen Umgebung ist diese Zusatzheizung praktisch, weil sie den kältestarren Schneckenkörper schneller wieder auf "Betriebstemperatur" bringt. In offenen und warmen Lebensräumen dagegen ist eher ein kühleres, helles Domizil von Vorteil. Wie aber reagieren die tierischen Hausbesitzer auf den Klimawandel? Setzen sie wegen der steigenden Temperaturen heute häufiger auf helle Häuser als früher? Genau das wollten die Initiatoren des Evolution Megalab herausfinden. Sobald die Tiere im Frühjahr aus ihren Verstecken kamen, war also europaweites Schneckensuchen angesagt. Wer Tiere gefunden hatte, sollte Fundort, Farbe und Anzahl der Bänder notieren und diese Daten auf der Internetseite des Projektes eintragen. Mehr als 6.500 Freiwillige haben an dem Projekt teilgenommen, allein in Deutschland machten 1.800 Hobbyforscher mit.

Aus den mehr als 7.600 Datensätzen, die im Laufe von neun Monaten bundesweit zusammenkamen, haben die Wissenschaftler interessante Informationen herausgelesen. So ergab ein Vergleich mit den Ergebnissen früherer Untersuchungen, dass die hellen Tiere trotz Klimawandel nicht generell auf dem Vormarsch zu sein scheinen. Nur in kahlen Dünen, in denen die Schnecken bei Hitze nicht in den Schatten flüchten können, scheint es einen Trend zum hellen Haus zu geben. In anderen Lebensräumen dagegen scheinen sich die Tiere eher durch ein verändertes Verhalten an die steigenden Temperaturen angepasst zu haben.

Volkszählung der Schmetterlinge

Auch für die Insektenwelt Europas wird der Klimawandel wohl nicht ohne Folgen bleiben. Erste Hinweise darauf hat ein weiteres Mitmach-Projekt geliefert, das nach britischem und niederländischem Vorbild seit 2005 auch in Deutschland durchgeführt und vom UFZ mitkoordiniert wird. Im Rahmen des "Tagfalter-Monitoring Deutschland", kurz TMD, gehen Freiwllige bundesweit regelmäßig auf Schmetterlingssuche (www.tagfaltermonitoring.de).

Die Erfassungsmethode entspricht der in anderen Ländern, damit die Daten sich später europaweit ergänzen bzw. miteinander verglichen werden können. Jeder interessierte Falter-Fahnder wählt dazu mit fachkundiger Unterstützung eine geeignete Strecke in der Nähe seines Wohnortes aus, die je nach Landschaft idealerweise zwischen 200 Meter und einem Kilometer lang ist. Dieses sogenannte Transekt läuft er dann einmal pro Woche ab und zählt die unterwegs entdeckten Schmetterlinge. "Anfänger können natürlich noch nicht auf Anhieb alle Arten bestimmen", sagt Josef Settele. Um etwa die oft sehr ähnlich aussehenden Arten von Bläulingen, Perlmutt- oder Scheckenfaltern auseinanderhalten zu können, braucht man meist schon ein paar Jahre Erfahrung. Deshalb liefern Einsteiger zunächst vor allem Informationen über leicht zu erkennende Kandidaten wie Zitronenfalter, Pfauenauge oder den Kleinen Fuchs. In schwierigeren Fällen machen die Fachleute des Projekts einen Plausibilitätscheck: Kommt die gemeldete Art im jeweiligen Gebiet überhaupt vor? Haben die Zähler ein Foto mitgeschickt, auf dem man das fragliche Tier bestimmen kann? Wenn Zweifel bleiben, wird die jeweilige Meldung für die Auswertung nicht berücksichtigt. Es bleiben ja trotzdem noch genügend Daten übrig. Und die liefern interessante Ergebnisse. So zeigt die Schmetterlings-Volkszählung tatsächlich einen Trend zu mehr wärmeliebenden Arten in Deutschland. Der Klimawandel scheint der Insektenwelt also schon seinen Stempel aufzudrücken. "Wir können mithilfe der Meldungen aber auch spezielle Ereignisse verfolgen", sagt Josef Settele. Als vor zwei Jahren massenweise Distelfalter nach Deutschland geflogen kamen, gab es sogar eine Art Schmetterlingsvorhersage: "Wir konnten recht genau sagen, wann die Tiere wo auftauchen würden", erinnert sich der Forscher. Für angehende Falterfans ließen sich so leicht Erfolgserlebnisse schaffen. Schließlich soll so eine Fahndung ja nicht nur Daten liefern, sondern vor allem auch Spaß machen.

Fahndung per Handy

Daran scheint es nicht zu fehlen, die rege Beteiligung an der Erhebung spricht für sich. Bundesweit gehen mittlerweile fast 500 Freiwillige auf Faltersuche - von der Schulklasse bis zur 90-jährigen Rentnerin. Viele sind über Jahre hinweg dabei und entwickeln sich mit der Zeit zu echten Schmetterlings-Experten. Über ökologische Zusammenhänge und die Probleme einer zu intensiven Landnutzung lernen sie bei ihrer Arbeit oft mehr als aus jedem Fachbuch. Und viele Teilnehmer müssen auch nicht mehr weiter davon überzeugt werden, dass diese faszinierenden Insekten eine Zukunft verdienen. "Für uns sind solche Projekte daher auch eine effektive Form der Umweltbildung und eine gute Werbung für den Naturschutz", sagt Josef Settele. Mithilfe moderner Technik ließe sich dieser Ansatz seiner Ansicht nach noch weiter ausbauen. Die UFZ-Forscher denken da etwa an eine spezielle Schmetterlings-App. Einmal auf das Handy oder den Tablet PC geladen, könnte dieser elektronische Helfer Fotos und Bestimmungshilfen für die in der jeweiligen Region vorkommenden Arten zeigen. Und sobald der Handybesitzer ein paar flatternde Kandidaten identifiziert hat, könnte er die Daten auch gleich direkt zum Auswerten ans UFZ schicken. "Eine solche App zu entwickeln, die für nahezu alle Betriebssysteme nutzbar ist und alle Arten umfasst, ist allerdings relativ aufwendig", sagt Josef Settele. "Da wäre natürlich eine Kooperation mit einem Mobilfunkanbieter interessant". In relativ kurzer Zeit könnte der Insektenkundler-Traum vom Handy voller Schmetterlinge dann durchaus Realität werden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Der Große Wiesenknopf Sanguisorba officinalis soweit das Auge reicht. Diese Pflanzen stehen aufgrund ihrer Bedeutung für bedrohte Schmetterlingsarten wie den Ameisenbläuling Maculinea nausithous im Mittelpunkt des vom BMBF im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2012 geförderten Citizen-Science-Projektes "Finde den Wiesenknopf".
  • Hat sich die Bänderschnecke an den Klimawandel in Mitteleuropa angepasst? Tausende Hobbyforscher sammelten dazu Daten.

UFZ-Ansprechpartner:
PD Dr. Josef Settele
Dept. Biozönoseforschung

e-mail: josef.settele[at]ufz.de

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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2012, Seite 1-3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2012