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FORSCHUNG/880: Interview - Tierversuche und Alternativmethoden in der Umweltrisikoprüfung (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

"Alternativen funktionieren nicht ohne Expertenwissen!"



Die Chemikerin Dr. Petra Greiner leitet im Fachbereich Chemikaliensicherheit des Umweltbundesamtes (UBA) die Abteilung Internationales und Pestizide. Sie ist Expertin für die Umweltrisikobewertung von Chemikalien (Biozide und Pflanzenschutzmittel) sowie für internationales Chemikalienmanagement und nachhaltige Chemie. Sie ist seit nunmehr 13 Jahren nationale Koordinatorin für das OECD Test Guidelines Programme. Mit diesen Prüfvorschriften werden Chemikalien hinsichtlich ihrer Gefährdung für die Umwelt auf nationaler und internationaler Ebene geprüft.

Das Interview führte Doris Böhme.


Wie hat sich die Gesamtzahl der Tierversuche zur Untersuchung chemischer Stoffe infolge der REACH-Verordnung seit 2007 entwickelt?

Eine Tendenz mit Bezug auf REACH ist nicht wirklich ablesbar. Laut aktueller Statistik des Bundesverbraucherschutzministeriums hat sich von 2000 bis 2010 in Deutschland die Gesamtzahl an Wirbeltieren in Tierversuchen von 1,8 Mio. auf 2,8 Mio. Tiere erhöht. Die für die Umweltprüfung von Chemikalien relevanten Fischtests haben zwischen 2001 und 2003 auffällig abgenommen. Das hängt sicher mit der Zulassung des Fischeitests als Ersatz für den akuten Fischtest bei der Abwasserüberwachung zusammen. 2010 lag die Zahl der Fischversuche bei 166.000. Das sind rund sechs Prozent der gesamten Wirbeltierversuche in Deutschland. In der EU wurden 2010 etwa 8,7 Prozent der insgesamt 12 Mio. Versuchstiere für toxikologische Sicherheitsprüfungen verwendet. Der Löwenanteil an Tierversuchen geht also in die biologische Grundlagenforschung wie Gentechnikexperimente. Interessant ist, dass die Zahl der Tierversuche mit REACH nicht - wie von vielen vorausgesagt - sprunghaft angestiegen ist. Es wurden bisher weniger Chemikalien registriert und weniger Testvorschläge eingereicht, als durch die Voranmeldungen zu erwarten waren. Warum das so ist? Sicher eine Mischung aus Überschätzung, Nutzung vorhandener Daten und der in REACH gegebenen Möglichkeiten, auf Tests zu verzichten. Vielleicht auch eine Art Marktbereinigung.

Wie weit ist man beim Ersatz von Tierversuchen für die Umweltrisikoprüfung?

Angetrieben von der Kosmetikindustrie wurden im humantoxikologischen Bereich in den letzten zwei, drei Jahren schon sehr häufig in vitro-Methoden, also außerhalb des lebenden Organismus, als Alternativen bei Endpunkten wie Haut- und Augenreizung eingesetzt. Nun sind diese Endpunkte einfacher abzubilden als etwa die komplexe Organ-, Entwicklungs- oder Reproduktionstoxizität. Deshalb können in vitro-Methoden Tierversuche nicht generell ablösen. Deutschland, die Niederlande und die USA haben sich auf OECD-Ebene erfolgreich für die Anerkennung der erweiterten Eingenerations-Reproduktionstoxizitäts-Studie eingesetzt. Wenn nämlich zukünftig auf den Test an der 2. Generation verzichtet werden kann, hat das wahrscheinlich den größten tiersparenden Effekt. Diese Studie soll nun so schnell wie möglich in die Prüfmethoden-Verordnung der EU aufgenommen werden. Das UBA engagiert sich seit Jahren für die Anerkennung des Fischembryotests als Alternative zum akuten Fischtoxizitätstest und für die Überarbeitung des Bioakkumulationstests in Fischen. Das OECD-Projekt "Fish Testing Framework" wird 2012 verabschiedet und wird zu mehr zielgerichteten und damit auch tiersparenden Prüfungen an Fischen beitragen. Deutschland ist auch sehr aktiv bei der Weiterentwicklung und Anwendung von Nicht-Test-Methoden, die auf Struktur-Wirkungs-Beziehungen (QSARs), also Analogien ähnlicher Substanzen basieren.

Dennoch geht es bei der Zulassung der Alternativen nur schleppend voran. Warum?

Die Anforderungen an die Stoffsicherheit stehen im Vordergrund. Je besser die Validierung einer Ersatzmethode, desto robuster der Test. Das ist aufwendig und teuer. Oft fehlen Daten oder sind nicht zugänglich. Deshalb arbeitet die ECHA (European Chemical Agency) daran, Daten aus Dossiers und abgeschlossenen Studien Stück für Stück zu veröffentlichen. Wir müssen uns aber fragen, ob die als 'Goldstandard' geltenden existierenden in vivo-Tests immer die Messlatte für die neuen in vitro-Test sein müssen. Deshalb schaut sich die OECD auch an, was die existierenden Tests leisten, welche wir wirklich brauchen, welche verbessert werden müssen oder gestrichen werden können. Auch so lassen sich Tierversuche vermeiden. Bei den QSARs haben wir das große Problem, dass sie in den Registrierungsdossiers oft schlecht dokumentiert sind. Und oft sind die Anleitungen so kompliziert, dass sie nicht praktikabel sind. QSARs und in vitro-Tests funktionieren nicht ohne Expertenwissen!

Wie kann Forschung dazu beitragen, die Hürden zu überwinden?

Wenn Forscher neue experimentelle Ansätze oder Nicht-Tests wie die QSARs entwickeln, dann müssen sie anwenderfreundlich für Industrie und Regulatoren sein. Hierfür brauchen wir eine viel engere Zusammenarbeit zwischen Forschung und Anwendern, sei es in Forschungsnetzwerken oder der SETAC-Arbeitsgruppe Non Animal Alternatives in Ecotoxicology, in der auch UFZ-Experten vertreten sind. Gerade in den Nicht-Test-Methoden steckt mehr Potenzial. Das vom UFZ koordinierte EU-Projekt OSIRIS ist ein sehr positives Beispiel. Unter anderem sind hier für den akuten Fischtest regulatorisch akzeptable und verständliche QSARs entwickelt worden.

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Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, S. 15
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2012