Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → FAKTEN

FORSCHUNG/881: Geheimnisvolle Cocktails - Wirkmechanismen von Umweltchemikalien (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt

Geheimnisvolle Cocktails

von Benjamin Haerdle



Wer für einen Cocktail alkoholische und nichtalkoholische Getränke mischt, muss damit rechnen, dass der Mix anders wirkt als die einzelnen Getränke. Aber fällt die Wirkung des Cocktails stärker oder schwächer aus? Das erfährt man zumeist am Tag danach. Auf derlei Folgewirkungen wollen Ökotoxikologen gar nicht erst warten. Sie wollen die Wirkung zum Beispiel von Chemikalienmischungen abschätzen, bevor es zu möglichen schädlichen Auswirkungen kommt. Das Problem: "Alleine das Wissen über einzelne Stoffe reicht in der Umweltbewertung nicht aus", sagt der Privatdozent Dr. Rolf Altenburger, der seit 1995 am UFZ im Bereich Bioanalytische Ökotoxikologie forscht. Wie also lässt sich zum Beispiel in einer Kläranlage das Gefahrenpotenzial einer Mischung aus Waschmittel, Pharmazeutika und Unkrautvernichtungsmittel richtig analysieren und bewerten?

Diesem Beurteilungsproblem gehen die Leipziger Ökotoxikologen nach. Sie überprüfen, welche Modelle, die in der Pharmakologie und Humantoxikologie schon seit dem vorigen Jahrhundert akzeptiert sind, in der Ökotoxikologie die präzisesten Ergebnisse liefern, um die Wirkung von Chemikalienmischungen vorherzusagen. Etabliert haben sich mit dem sogenannten Konzept der Konzentrations-Additivität und dem Modell der Unabhängigen Wirkung zwei unterschiedliche Ansätze. Auf das Konzept der Konzentrations-Additivität setzen die Forscher, wenn die Chemikalien in einem Gemisch ähnlich sind. "Haben sie eine ähnliche Wirkung und den gleichen Wirkungsmechanismus, dann lassen sich auf Basis der Informationen über die einzelnen Bestandteile die Effekte für das gesamte Gemisch formulieren", erklärt Altenburger. Jede Komponente trägt also zur Gesamttoxizität der Mischung bei, egal wie hoch ihre Konzentration ist. Haben die einzelnen Substanzen dagegen eine unähnliche Wirkung, wirken die Stoffe also an unterschiedlichen Orten und über verschiedene Wirkmechanismen, dann gilt das Modell der Unabhängigen Wirkung. Damit tragen nur jene Komponenten zur schädlichen Wirkung einer chemischen Mischung bei, die auch einzeln bereits ihre Toxizität entfalten würden.

Das Ökotoxikologen-Team um Altenburger hat nun anhand verschiedener Experimente mit Algen, Fischeiern oder Leuchtbakterien für sehr viele verschiedene Stoffgruppen herausgefunden, dass sich die giftige Wirkung von chemischen Gemischen mit beiden Methoden ziemlich exakt vorhersagen lässt. Wie viele Komponenten in welchem Verhältnis vermischt werden oder wie lange das Stoffgemisch bereits vorliegt, ist dabei egal. Allerdings gibt es feine Unterschiede. "Mit dem Konzept der Konzentrations-Additivität lässt sich in der Regel eine etwas höhere Toxizität vorhersagen als mit dem Modell der Unabhängigen Wirkung", bilanziert der Biologe Altenburger. Vor allem bei Schadstoffkombinationen, bei denen einzelne Bestandteile in sehr niedrigen Konzentrationen vorliegen, sei damit eine Vorhersage relativ sicher kalkulierbar. Die Gefahr, die Giftigkeit einer Mischung zu unterschätzen, ist mit dem Konzept der Konzentrations-Additivität folglich geringer. Wichtig ist der Einsatz solcher Testverfahren schon bei der Produktbewertung von Chemikalien, die zum Beispiel in Bioziden wie Holzschutzmitteln oder den sogenannten Antifouling-Farben enthalten sind, mit denen Schiffsbauer das Anlagern von Muscheln oder Krebsen an Schiffsaußenwände verhindern wollen. "Die Folgen von Antifoulingmitteln werden fälschlicherweise oft nur anhand eines Stoffes beurteilt, dabei bestehen die Produkte ja aus mehreren chemischen Stoffen", sagt Rolf Altenburger.

Beim Praxistest in der Umwelt kommt aber noch ein weiteres Problem der Bewertung auf: Denn unklar ist für sehr viele komplexe Chemikaliengemische immer noch, wie sie in realen Ökosystemen und eben nicht unter Laborbedingungen reagieren. Zudem haben die Forscher bislang noch keine Verfahren entwickelt, wie sie die Belastung von Schadstoffen nacheinander und die Interaktion etwa mit anderen Stressoren wie zum Beispiel UV-Licht modellieren könnten. "Das Wissen über die Wirkmechanismen von Umweltchemikalien ist bisher noch äußerst spärlich", sagt Altenburger. Forschungsbedarf gibt es für die Leipziger Ökotoxikologen also noch reichlich.

UFZ-Ansprechpartner:
PD Dr. Rolf Altenburger
Leiter Dept. Bioanalytische Ökotoxikologie

e-mail: rolf.altenburger[at]ufz.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Komplexe Chemikaliengemische wirken anders als die einzelnen Substanzen. Um die Wirkung solcher Cocktails vorhersagen zu können, entwickeln UFZ-Wissenschaftler unterschiedliche Modellansätze.

*

Quelle:
UFZ-Spezial Oktober 2012: Chemikalien in der Umwelt, Seite 12
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Permoserstraße 15, 04318 Leipzig
Tel.: 0341/235-1269, Fax: 0341/235-1468
E-mail: info@ufz.de
Internet: www.ufz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Dezember 2012