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FORSCHUNG/929: Politische Entscheidungsträger an der Forschung teilhaben lassen (UFZ Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2013

"Sie müssen die politischen Entscheider an der Forschung teilhaben lassen"

Interview mit Ministerialdirigent Wilfried Kraus



Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit der Global Change Environmental Facility (GCEF) für die Region Halle-Leipzig?

Erstens verbinde ich mit der GCEF zunächst einmal eine deutliche Profilstärkung des UFZ in den Bereichen Klimaforschung und Biodiversität. Zweitens ist die GCEF eine hervorragende Infrastruktur - nicht nur für das UFZ oder die Helmholtz-Gemeinschaft, sondern auch für iDiv, das neue Biodiversitätsforschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), bei dem das UFZ ja ein wichtiger Partner ist - und wird damit zu einer noch besseren Vernetzung mit den lokalen und regionalen Universitäten beitragen. Drittens ist die GCEF ein einzigartiges Experiment, das in dieser Dimension und Qualität in Europa seinesgleichen sucht und mit Sicherheit auch weltweit eines der größten Experimente dieser Art sein wird. Die GCEF wird im internationalen wissenschaftlichen Wettbewerb auf den Feldern der Klima-, Landnutzungs- und Biodiversitätsforschung hervorstechen und dazu beitragen, die Region wissenschaftlich bekannter und sichtbarer zu machen.

Ist der Standort Bad Lauchstädt eine gute Wahl?

Ja, auf jeden Fall. Bad Lauchstädt hat eine über 100-jährige Tradition in Agrar- und Umweltforschung. 1895 gründete Prof. Max Maercker die Versuchsstation. 1902 wurden Experimente angelegt, um zu untersuchen, wie sich verschiedene Düngungsvarianten auf die Erträge und die Qualität von Kulturpflanzen und den Boden auswirken. Diese Versuche bestehen bis heute. Darüber hinaus wurde nach der Gründung des UFZ - also nach 1992 - in die wissenschaftliche Infrastruktur mit Warm- und Kalthäusern und einem Experimentalgebäude investiert. Insofern haben wir in Bad Lauchstädt eine lange Tradition, eine gute Infrastruktur, hohe Kompetenz und sehr gute Wissenschaftler - also in jeder Beziehung die besten Voraussetzungen und damit den richtigen Standort für ein Experiment wie GCEF und für neue Erkenntnisse.

Sie haben es bereits angesprochen: Die GCEF hat internationales Potenzial, auch wenn sie auf einem Schwarzerdestandort in Bad Lauchstädt steht. Welches?

Forscher lassen sich weniger vom Geld oder vom Prestige oder einer dezentralen Lage abschrecken. Sie lassen sich von hervorragenden Forschungsbedingungen und neuen wissenschaftlichen Ansätzen überzeugen - unabhängig von Bodenarten oder Klimazonen. Deshalb bin ich sicher, dass die GCEF in Bad Lauchstädt die besten Chancen hat, Forscher aus aller Welt für Projekte im Rahmen der GCEF zu interessieren. Da wird man sicher auch die europäische Ebene nutzen können, um Kooperationspartner zu finden. Für die Region ist die GCEF in Kombination mit dem iDiv und dem UFZ eine ungemeine Stärkung, aber auch für die Biodiversitätsforschung.

Die GCEF ist nicht das einzige Langzeitbeobachtungsexperiment in der Region. Auch TERENO bietet moderne Infrastrukturen, um die Folgen von Klima- und Landnutzungswandel auf die Umwelt zu beobachten.

TERENO (Terrestrial Environmental Observatories) sind ja mehrere Umweltbeobachtungsplattformen, die unter dem Dach der Helmholtz-Gemeinschaft an verschiedenen Standorten in Deutschland organisiert sind. Entscheidend ist, dass TERENO und GCEF miteinander verknüpft sind und ein hohes Maß an Komplementarität haben. Und da ist Helmholtz - insbesondere das UFZ - auf einem guten Weg, diese neue Infrastruktur in TERENO und darüber hinaus in europäische Beobachtungsnetzwerke wie LTER (Long Term Ecological Research) zu integrieren.

Neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und theoretischen Grundlagen soll auch ein hoher praktischer Nutzen geschaffen werden. Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit der GCEF für zukünftige politische Entscheidungen?

Gehen wir doch einmal von der politischen und wirtschaftlichen Bedarfssituation aus: Was bedeutet die Veränderung von Temperaturen und Niederschlägen in Deutschland? In welcher Weise wird Deutschland in 50 oder 100 Jahren von den Klimaveränderungen betroffen sein? Auf diese Fragen erhalten Sie bisher nur sehr grobe Aussagen, auf deren Basis keine politischen Entscheidungen getroffen werden können. Mit der GCEF können wir das zukünftige Klima simulieren - und zwar in parallelen Versuchen mit vielen Vergleichsmöglichkeiten. Mit den dort gewonnenen Daten kommen wir zu viel zuverlässigeren Aussagen, die dann in der Tat Entscheidungshilfen für Politik und Wirtschaft sein können. Wir haben es mit einer ganz neuen Qualität zu tun, auch weil die Aussagen mit Veränderungen in der Landnutzung und Biodiversität verknüpft sind, weil es sich um einen systematischen Langzeitversuch über 15 bis 20 Jahre handelt. In dieser Qualität gibt es das bisher nirgendwo in der Welt.

Wie kann es gelingen, dass Erkenntnisse tatsächlich in politischen Gremien ankommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden?

Das ist ein Punkt, der uns in den letzten Jahren im BMBF gerade im Bereich der Umweltforschung, aber auch bei der Energieforschung sehr beschäftigt. Was aus meiner Sicht entscheidend ist, dass die Wissenschaftler den Dialog mit Entscheidungsträgern aus Politik sowie Wirtschaft und Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen zum frühest möglichen Zeitpunkt suchen. Das bedeutet konkret, dass dieser Dialog schon während der ersten Versuchsphase, wenn erste Ergebnisse anfallen, gezielt und kontinuierlich gesucht wird.

Die genannten Entscheidungsträger und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen sollten über Programm- und Projektbeiräte frühzeitig einbezogen werden, damit sie an der Genesis des Erkenntnisfortschritts zeitnah teilnehmen können und so Vertrauen in die Leistung und die Ergebnisse der Wissenschaftler und Forscher aufgebaut werden kann. Die Schnittstelle Wissenschaft - Politik basiert immer auf Vertrauen. Da bin ich optimistisch, dass das gelingt. Eine Forschungseinrichtung wie das UFZ mit so hervorragenden Wissenschaftlern ist in der Lage, sowohl im Umweltministerium als auch im Landwirtschaftsministerium das notwendige Vertrauen auf der Basis exzellenter Wissenschaft aufzubauen. Aber noch einmal: Diese Phase muss früh beginnen. Wenn die Wissenschaftler fertige Ergebnisse in Form eines Gutachtens vor den Füßen der Politiker und Entscheidungsträger abladen, dann fehlt das Vertrauen, dann herrscht eher Misstrauen. Dann wird möglicherweise unterstellt, dass das Interessen getrieben ist. Wenn sie die politischen Entscheider aber an der Forschung, an den Prozessen aktiv teilhaben lassen, dann können sie auch bei der Vermittlung der Erkenntnisse auf Augenhöhe miteinander reden. Dann können sie den Erkenntnissen Glauben schenken und darauf ihr politisches Handeln aufbauen. Was aber bleiben wird, sind Konflikte. Beispielsweise bei der Landnutzung zwischen Ernährung und Energieversorgung und Naturschutz. Das Landwirtschaftsministerium hat wahrscheinlich andere Interessen als das Umweltministerium. Dann muss man sehen, wie diese Konflikte auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse sinnvoll gelöst werden können. Und wenn Sie sich einmal den Begriff der Nachhaltigkeit ansehen, dann beinhaltet der nicht nur Ökologie, sondern auch Ökonomie und soziale Aspekte. Und in diesem Dreieck müssen sie dann - basierend auf den Erkenntnissen, die die Wissenschaftler gewonnen haben - mit den Entscheidungsträgern die politischen und für die Bürger zukunftsweisenden Antworten finden.

Wie unabhängig oder neutral kann denn Wissenschaft sein?

Forschung hat eine ganz wichtige Mittlerfunktion. Sie muss sich dabei um ein hohes Maß an Neutralität bemühen. Das klingt theoretischer und schwieriger als es ist. Denn wenn ihre Ergebnisse in der wissenschaftlichen Community überprüft und veröffentlicht sind und ihre wissenschaftliche Exzellenz damit international bestätigt ist, dann haben sie einen Wert für sich. Daraus resultiert Neutralität, die die Wissenschaft aber auch nutzen muss. Alle anderen Beteiligten sind Interessen getrieben. Das Interesse der Wissenschaft ist exzellente Wissenschaft mit Bestand. Das erzeugt im politischen Kontext Neutralität, die wir dringend brauchen. Was allerdings bleibt, ist die Frage, ob Wissenschaft dann auch noch Handlungsempfehlungen gibt. Das ist und bleibt eine Gratwanderung für die Wissenschaftler. Entscheidungen treffen müssen schlussendlich in unserem demokratischen System die dafür gewählten Vertreter und die autorisierten Vertreter der gewählten Exekutive.

Welche Rolle spielt das UFZ aus Ihrer Sicht bei der Biodiversitätsforschung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene heute und zukünftig?

Es gibt eine Reihe an Forschungseinrichtungen in Deutschland, die Biodiversitätsforschung betreiben. Das UFZ ist mit Sicherheit in einer führenden Rolle, wenn nicht in der führenden Rolle in diesem Bereich. Diese Rolle kann das UFZ ausbauen - mit GCEF, mit iDiv, mit dem Aufbau des IPBES-Sekretariats (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) in Bonn, mit Aktivitäten zur Bewertung von Ökosystemen und Ökosystemdienstleistungen (TEEB) - und zwar national, europäisch und international.

Was wünschen Sie den Wissenschaftlern, wenn GCEF im Juni an den Start geht?

Dass sie an die Traditionen von Bad Lauchstädt anknüpfen. Dass sie exzellente wissenschaftliche Ergebnisse erarbeiten und Entscheidungsgrundlagen für die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft liefern, und dass sie damit die Reputation des UFZ national und international weiter erhöhen.

Das Interview führte Doris Böhme


Ministerialdirigent Wilfried Kraus leitet seit September 2009 die Unterabteilung 72 "Nachhaltigkeit, Klima, Energie" im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und ist Aufsichtsratsvorsitzender des UFZ.


Siehe auch die vorangegangenen Artikel unter:

UMWELT\KLIMA
FORSCHUNG/432: Was bringt der Klimawandel? Die Zukunft unterm Stahlgerüst (UFZ Newsletter)

UMWELT\MEINUNGEN
STANDPUNKT/434: Langfristige Umweltbeobachtung - aufwendig, aber unverzichtbar (UFZ Newsletter)

UMWELT\KLIMA
FORSCHUNG/433: Ein Netz im Kornfeld - Erhebung von Daten zur Klima- und Landnutzung (UFZ Newsletter)

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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2013, S. 10-11
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2013