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FORSCHUNG/967: Artenreichtum ist relativ - neues Konzept zum Verständnis von biologischer Vielfalt (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 02.10.2013

Artenreichtum ist relativ - neues Konzept zum Verständnis von biologischer Vielfalt



Frankfurt am Main. Biodiversität ist mittlerweile auch biologischen Laien ein Begriff - ist sie doch ein Schlüsselwort für Medienberichte über Artensterben, Lebensgrundlagen oder Klimawandel. Doch zu ihrer Erforschung gibt es noch keine einheitlichen Methoden. So gehen z. B. Paläontologen und Biologen bei der Erforschung von Artenreichtum und Artenschwund bislang getrennte Wege; das Wissen über ausgestorbene und noch lebende Arten wird selten zusammengeführt. Das wollen Wissenschaftler des Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) nun ändern. Ihr Konzept zur Verknüpfung von Daten der beiden Forschungsrichtungen wurde nun im Fachjournal Trends in Ecology & Evolution vorgestellt.

Bislang arbeiten Biologen und Paläontologen in getrennten Welten; ihre Arbeiten zur biologischen Vielfalt beschränken sich entweder auf lebende oder auf ausgestorbene Arten. Das Verständnis zeitlicher und räumlicher Zusammenhänge wird dadurch stark eingeschränkt. Für Prof. Dr. Katrin B öhning-Gaese, Direktorin des BiK-F und zugleich Mitglied des Direktoriums der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, bietet die von ihr mit vorgelegte Konzeptstudie ganz neue wissenschaftliche Möglichkeiten: "Diesen interdisziplinären Ansatz können wir dank der bei Senckenberg und BiK-F vorhandenen paläontologischen und biologischen Expertise direkt umsetzen".

Tot und lebendig: Konzept für Runden Tisch mit Paläontologen und Biologen

"Wenn wir die Erkenntnisse über ausgestorbene und noch lebende Arten miteinander verknüpfen, bekommen wir einen wesentlich tieferen Einblick in die Entstehung und das Verschwinden von Arten", formuliert es Dr. Susanne Fritz vom BiK-F, Leitautorin der Publikation. "So könnten wir zum Beispiel nachvollziehen, warum innerhalb der letzten 15 Millionen Jahre in Nordamerika und Eurasien etwa 800 Arten fleischfressender Säugetiere ausgestorben sind und es heute nur noch 280 lebende Arten gibt. In Kombination mit Informationen zu historischen Klimaveränderungen können wir dann auch abschätzen, wie viele es mit Blick auf den Klimawandel in Zukunft werden könnten."

Die Hyäne ist auch eine Europäerin

Biodiversität lässt sich auch anhand der Entwicklung von Arteneigenschaften in Bezug zum Lebensraum erforschen - etwa durch die Analyse ökologischer Nischen. Diese beschreiben die Umweltbedingungen, unter denen Arten leben und erlauben Rückschlüsse darauf, wie die Anpassung erfolgte. Dass z.B. die Tüpfelhyäne in den Savannen und Trockengebieten Afrikas und des Nahen Ostens zu Hause ist, erklärten sich viele Biologen bislang damit, dass sie sich an die hohen Temperaturen und die Trockenheit ihres Lebensraums angepasst hat. Paläontologen wissen jedoch schon länger, dass Hyänen noch während der letzten Eiszeit auch in Europa lebten. "Ökologische Nischen können also durchaus größer sein als vermutet, wenn wir paläontologische Daten in unsere Betrachtungen einbeziehen", erläutert Fritz. Im konkreten Fall heißt das, dass Hyänen nicht unbedingt hohe Temperaturen benötigen. Dann jedoch stellt sich den Biologen die Frage, was sonst ihre Nische definiert - und wo Hyänen unter veränderten klimatischen Bedingungen überleben könnten.

Zwei Tüpfelhyänen - davon eine im Hintergrund, halb verborgen durch hohes Gras - Foto: © C. Grünewald

Eine Einbeziehung von Paläodaten in die Modellierung ökologischer Nischen heutiger Arten könnte zeigen, dass viele von ihnen auch unter ganz anderen Bedingungen als heute leben können, ihre tatsächliche ökologische Nische deutlich größer ist als bislang angenommen. Ein Beispiel dafür sind die Tüpfelhyänen, die heute nur in Afrika verbreitet sind, aber in der Eiszeit auch in Europa vorkamen.
Foto: © C. Grünewald

Ein umfassendes Verständnis komplexer Prozesse

Die vorgelegte Studie gibt konkrete Schritte vor, wie künftig die Methoden aus beiden Fachgebieten miteinander kombiniert werden können, und zeigt gleichzeitig auf, welchen Mehrwert dies bringt. Die Gruppe um Susanne Fritz erwartet sich davon ein neues, übergreifendes Verständnis dafür, wie das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren Diversität entstehen lässt und erhält. Diese Faktoren sind: die Wechselbeziehungen zwischen Arten und ihrer Umwelt sowie von Arten untereinander, die Entwicklung von Merkmalen, die Prozesse der Artbildung, der Ausbreitung und schließlich des Aussterbens. Der neue Ansatz erlaubt es, diese Faktoren in integrierenden Modellen zusammenzuführen. Interesse an diesem Konzept ist vorhanden, das ist schon jetzt klar. "Die bislang verwendeten statistischen Modelle, mit denen die Entwicklung von Arten berechnet wird, können nun durch die paläontologischen Daten entsprechend erweitert werden", kommentiert Böhning-Gaese die neuen Möglichkeiten. "Unsere Arbeit legt das theoretische Fundament für künftige Modellierungen." Durch das neue Konzept lässt sich künftig wohl auch besser absehen, welche Arten durch veränderte Umweltbedingungen womöglich verschwinden - und wie sich dies auf das gesamte Ökosystem auswirken könnte. Angesichts der mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen sind solche Erkenntnisse doppelt wertvoll.

Publikation:
Fritz S.A., Eronen J.T., Hof C., Böhning-Gaese, K. & Graham C.H. (2013): Diversity in time and space: wanted dead and alive. - Trends in Ecology & Evolution 28:509-16,
http://dx.doi.org/10.1016/j.tree.2013.05.004

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news554672
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution639

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Sabine Wendler, 02.10.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013