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POLITIK/1055: Minister Röttgen zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag, 06.09.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 6. September 2011 in Berlin:


Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Sehr geehrte Frau Präsidentin,

vielen Dank für den Hinweis, mich langsam hierhin zu bewegen. Ich glaube, jetzt darf die Debatte zum Umwelthaushalt aber auch beginnen. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte diese Haushaltsdebatte mit einigen Zahlen eröffnen. Es sind nicht nur Haushaltszahlen, aber auch Haushaltszahlen. Diese Zahlen sagen auf jeden Fall etwas aus.

Eine Zahl, die in der letzten Woche veröffentlicht wurde, hat mich wirklich gefreut. Nach einer Umfrage von TNS Infratest unterstützen nämlich 94 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Ausbau der erneuerbaren Energien.

65 Prozent sind auch bereit, in ihrer Nachbarschaft Ökostromanlagen zu akzeptieren. Das ist wichtig; denn irgendwann wird der Umbau natürlich auch konkret, und neben vielen Vorteilen gibt es Betroffenheiten und vielleicht auch Nachteile.

80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher sagen: Wir finden die EEG-Umlage okay; wir sehen ein, dass wir sie bezahlen müssen, oder wären sogar bereit, noch etwas mehr zu bezahlen. - Das heißt: Die Bürgerinnen und Bürger unterstützen dieses Projekt. Sie machen mit. Sie wollen es und bringen unser Land in Bewegung. - Das sind sehr erfreuliche Zahlen.

Lassen Sie mich noch eine andere Zahl nennen. Während der ganzen Debatte um die Energiewende haben wir immer wieder richtigerweise gesagt, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 17 Prozent beträgt. Diese Zahl stammt allerdings aus dem letzten Jahr. Wenn wir nun das erste Halbjahr 2011 bilanzieren, können wir feststellen, dass es nicht mehr 17 Prozent sind, sondern inzwischen - Stand: erstes Halbjahr 2011 - 20,8 Prozent. Somit ist der Anteil der erneuerbaren Energien um 14 Prozent gewachsen.

Zum Umwelthaushalt. Die Umweltschutzausgaben steigen im Haushalt 2012 um 900 Millionen - das sind erneut 14 Prozent - auf 7,4 Milliarden Euro. Daran hat die energetische Gebäudesanierung einen großen Anteil: Die Mittel steigen von 936 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr bis 2014. Man könnte noch mehr Zahlen auflisten, aber ich will es dabei bewenden lassen.

Das alles sind erfreuliche Zahlen. Es zeigt: Im Land sind die Signale angekommen. Das ist das Projekt der Regierung. Es ist aber nicht nur das Projekt der Regierung, sondern es ist das Projekt Deutschlands. Das ist eigentlich das Schönste und Beste, was man sagen kann, gerade in der Energiepolitik. Es ist das Projekt der Menschen in unserem Land, die es sich zu eigen gemacht haben.

In dieser Konsequenz und mit den Erfolgen ist es das Projekt auch der Bundesregierung. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. Ich glaube, wir können auch wechselseitig anerkennen, dass es diese Regierung ist, dass es die Länder sind, dass es Kommunen sind, dass es Energiegenossenschaften sind, dass es eben das Land ist, das vorangeht. Das ist auch gut. Daran muss man auch nicht herummäkeln, sondern man kann sich darüber freuen.

Ich möchte aber vor allen Dingen sagen, dass die Energiewende, die wir beschlossen haben, mit dem Beschluss im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat nicht vollendet ist und angesichts all der Debatten, die wir geführt haben, nicht hinter uns liegt. Die Energiewende liegt vielmehr vor uns. Es geht darum, sie jetzt zu machen. Das ist eigentlich das entscheidende Signal.

Wir haben sie möglich gemacht, und jetzt wird es auch geschehen. Natürlich muss es auch in der Politik geschehen. Auch dort sind weitere Veränderungen möglich. Aber es bleibt ein Gemeinschaftsprojekt. Wir werden das auch tun.

Um ein Beispiel zu nennen: Wir werden die großen Potenziale der erneuerbaren Energien, nachdem wir das im Strommarkt ermöglicht haben, auch im Wärmemarkt erschließen. Darum werden wir im nächsten Jahr ein grundlegend novelliertes Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vorlegen.

Ich habe eben den Erfolg der energetischen Gebäudesanierung beschrieben. Seit 2006 sind 2,5 Millionen Wohnungen neu errichtet oder saniert worden. Das bringt eine CO2-Einsparung von fünf Millionen Tonnen, es schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung in unserem Land. Ich appelliere auch an dieser Stelle an den Bundesrat, dass die Bundesländer noch einmal darüber nachdenken, unser Angebot anzunehmen, jetzt auch in die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung einzusteigen. Das brauchen wir, und das tut dem Land gut. Wenn es eine Chance gibt, im Vermittlungsausschuss zu einem Ergebnis zu kommen, dann werden wir diese Chance ergreifen. Wir brauchen dafür aber auch die Zustimmung der Länder. Ich fordere sie dazu auf, dies zu tun.

Aber auch viele andere müssen sich darauf einstellen. Die Energieversorgungsunternehmen müssen jetzt investieren. Wir brauchen Investitionen in Gaskraftwerke, und wir brauchen Akzeptanz für die Leitungen. Die Stromproduzenten im Bereich erneuerbare Energien müssen sich auf mehr Markt und auf die Verbraucher einstellen. Wir brauchen den Netzausbau. All das ist jetzt notwendig. Speichertechnologien, moderne und intelligente Netze und intelligente Zähler: All das geht jetzt in einem großen Gemeinschaftswerk los.

Wir werden als Bundesregierung dafür ein Projektmanagement begründen; denn es geht darum, das Ganze konkret umzusetzen. Wir werden die Expertise und die Erfahrung des Marktes, der Betroffenen, der Kommunen, der Länder und der Kraftwerksbauer annehmen und einbinden, um dieses Projekt zu einem Erfolgsprojekt für unser Land zu machen. Das ist unser Ehrgeiz, den wir nun mit der Ausführung des von uns beschlossenen Energiekonzeptes beweisen werden.

Ich möchte einen weiteren Punkt erwähnen, dem ich große Bedeutung beimesse: die Fortführung des Konsenses in einer Frage, bei der schon fast alle die Möglichkeit eines Konsenses aufgegeben hatten, nämlich bei der Endlagersuche und -bestimmung. Hier strebe ich einen nationalen Konsens an. Das ist Teil des Energiekonsenses, den wir beschlossen haben. Jetzt geht es darum, auch das zu realisieren.

Wir sind als Regierung entschlossen, dies zu tun. Es geht um den Konsens in der Verantwortung, ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland zu suchen. Keine Generation hat das Recht, Kernenergie zur Stromproduktion zu nutzen und die Abfälle unbehandelt der nächsten Generation zu hinterlassen. Es ist unsere Generation in der Verantwortung, einer Verantwortung, der sich alle zu unterwerfen haben.

Darum sollten wir miteinander - das betone ich - daran arbeiten, einen Konsens der heute Handelnden über die Generationenverantwortung zu erzielen. Wir können und müssen ihn erreichen. Ich schlage darum vor, dass wir die Suche nach einem Konsens auf eine eigene sondergesetzliche Grundlage stellen und nicht versuchen, uns wie bislang im Rahmen des Atomgesetzes zu bewegen. Vielmehr brauchen wir eine eigene gesetzliche Grundlage, weil ein besonderes Gesetz mit einer besonderen Zweckbestimmung die Möglichkeit bietet, diesem Konsens Ausdruck zu verleihen. Ich schlage vor, dass die Endlagersuche in einem partizipatorisch gestalteten Verfahren vor sich geht, das alle einbindet, aber damit auch Verantwortung begründet. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. Ich schlage vor, dass wir anhand von wissenschaftlichen Kriterien ermitteln und am Ende im Bundestag entscheiden.

Am Ende dieses eigenen Verfahrens wird die Entscheidung von uns allen gefordert. Ich lade Sie ausdrücklich ein, daran mitzuwirken. Die Bundesregierung wird alle Bundesländer, die ja teilweise einen Meinungswechsel und Verantwortungsbereitschaft bekundet haben, einladen und zu Gesprächen bitten.

Umweltpolitik ist Wachstumspolitik. Umweltpolitik steht nicht im Gegensatz zu Wachstum. Vielmehr ist die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen Bedingung und treibende Kraft von richtig verstandenem Wachstum, einem Wachstum, das Lebensmöglichkeiten auch der nächsten Generationen erhält und erweitert. Darum wird diese konkrete Wachstumsstrategie mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz in diesem Jahr von uns weiter ausgefüllt werden. Wir werden eine grundlegende Überarbeitung vornehmen, die die Ziele der Abfallvermeidung und der Wiederverwertung, des Recyclings, ganz nach vorne rückt. Darum hat die Bundesregierung beschlossen, ein nationales Ressourceneffizienzprogramm vorzulegen. Wir werden es tun, um den strategischen Rahmen und konkrete Schritte festzulegen. Wir werden weiterhin die Sektoren, in denen sich dieses Wachstum vollziehen soll, definieren. Das ist Ausdruck dessen, dass wir konzeptionell und konkret ökonomische Wachstumsnotwendigkeiten und ökologische Überlebenserfordernisse miteinander verbinden.

Ich möchte ein anderes Feld nennen, wo bereits deutlich ist, dass Umweltpolitik in diesem weiten Verständnis eine Querschnittspolitik ist und eine Zukunftsperspektive für das Land bietet. Das ist der Umgang mit neuen Technologien; ich möchte hier insbesondere den Umgang mit den Nanotechnologien nennen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in der letzten Woche der Bundesregierung das dicke Gutachten zu den Nanotechnologien überreicht. Wir haben darüber intensiv diskutiert. Nanotechnologie ist ein Beispiel dafür, dass neue Technologien faszinierende Möglichkeiten eröffnen, Möglichkeiten des Erkenntniszuwachses, aber auch der wirtschaftlichen Anwendung.

Gleichzeitig ergeben sich beim Betreten dieser faszinierenden Welt neue Risiken, die wir zum Zeitpunkt der Anwendung zum Teil noch gar nicht kennen. Wirtschaftliche, technische Machbarkeit und das Wissen darum, welche Risiken wir damit begründen und vielleicht auch hervorrufen, klaffen durchaus auseinander. Die Schlussfolgerung daraus darf aber nicht sein, dass wir neue Technologien tabuisieren und Ängste schüren. Aber die Schlussfolgerung darf auch nicht sein, dass wir so tun, als gäbe es diese Risiken gar nicht und als gäbe es nur die Chancen. Ein richtiges Verständnis von Chancen und Risiken, der offene Umgang mit der Erforschung auch von Risiken - Risikoforschung - ist die Bedingung, die Vertrauen schafft, eine Bedingung für gesellschaftliche Akzeptanz und dafür, dass wir ein technologisch führendes Land bleiben. Auch das ist eine Aufgabe der Umweltpolitik, der wir uns in einem gesonderten Dialog im Hinblick auf die Risikoforschung zu den Nanotechnologien, zu ihrem Potenzial und ihrer Anwendung, stellen.

Abschließend möchte ich auf ein Wachstum eingehen, das mit Klimaschutz und Naturschutz im Einklang steht. Wir tragen zum Klimaschutz bei - wir versuchen es - durch den Ausbau der erneuerbaren Energien. Es ist, glaube ich, die wichtigste Motivation und es dient der Akzeptanz in der Bevölkerung, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Außerdem schaffen wir ein Ressourceneffizienzprogramm. Wie kann man all das nicht sehen?

Wir setzen uns international für Klimaschutz ein. Wir haben hier in Berlin vor einigen Monaten einen erfolgreichen Petersberger Klimadialog II geführt, und wir versuchen, zu helfen, dass die südafrikanische Präsidentschaft erfolgreich sein wird.

Natürlich sehen wir hier die Rolle Europas - nicht die des Vorreiters, aber die des Herausforderers. Darum muss Europa auch in der Klimapolitik zusammenstehen. Wenn Europa das nicht tut, dann wird es marginalisiert. Das gilt auch in einem so wichtigen Feld wie dem der Emissionspolitik beziehungsweise der Klimapolitik. Darum sind wir hier im eigenen Interesse und im Interesse der nächsten Generationen Vorreiter. Die Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie ist ein Erfolg. Sie wird auf neue Industriesektoren ausgeweitet und ist zugleich industriefreundlich. Gleichzeitig wird die Menge der zulässigen Emissionen immer weiter reduziert.

Zu diesem weiten Verständnis von Umwelt- und auch von Wachstumspolitik gehört eine engagierte Naturschutzpolitik. Ich möchte kurz die Konferenz "Bonn Challenge" erwähnen; diese erfolgreiche Initiative zur Waldpolitik hat in der letzten Woche stattgefunden. Wir in Deutschland verfolgen eine eigene Waldstrategie. In Deutschland wächst der Wald, und zwar um 3.500 Hektar pro Jahr. Damit sind wir sehr erfolgreich. Aber weltweit werden jedes Jahr 13 Millionen Hektar Wald gerodet. Das ist weder wirtschaftlich vernünftig, noch ist es generationenverantwortlich. Darum hat diese Initiative das Ziel - wir verfolgen es mit anderen zusammen; es wird von Unternehmen und von führenden Politikern anderer Länder unterstützt -, bis 2020 150 Millionen Hektar wieder aufzuforsten. Das ist ein konkretes Zukunftsprojekt. Ich freue mich, dass unser Land an dieser Stelle führend ist - ich glaube, darüber gibt es einen gewissen Konsens -, eine Waldstrategie national und international durchzusetzen. Auch Naturschutz zählt immer noch zum Kern von Umweltpolitik. Daran halten wir fest.

Ich glaube, dass Umweltpolitik insgesamt einen guten, vielleicht einen neuen Stellenwert hat und das Land positiv nach vorne bringt. Ich hoffe sehr auf Ihre Unterstützung auch für diesen Bundeshaushalt.


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Quelle:
Bulletin Nr. 85-3 vom 06.09.2011
Rede des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit,
Dr. Norbert Röttgen, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen
Bundestag
am 6. September 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2011