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POLITIK/998: Interview mit der Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter September 2009

Naturschutz ist eine gesellschaftliche Wertfrage

Interview mit Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN)


UFZ: Die einen wünschen sich die Wildnis zurück, andere begeistern sich am Artenreichtum in Städten. Eisbären und Delphine sind niedlich, auf Mücken und manch anderes stechendes oder krabbelndes Getier möchte man gern verzichten. Wer legt fest, welche Landschaften und Arten schützenswert sind?

BJ: Wir haben eine rechtliche Basis - unser Bundesnaturschutzgesetz. Dort heißt es, dass die biologische Vielfalt, der Naturhaushalt in seiner Leistungefähigkeit sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft - also die ästhetische Komponente - nicht nur zu schützen, sondern auch zu pflegen und zu entwickeln sind. Es gibt aber auch Expertengremien etwa zur Erstellung der Roten Listen, die sich fundiert damit auseinandersetzen, welche Arten oder Ökosysteme besonders bedroht und schützenswert sind. Hier werden also keine Einzelentscheidungen getroffen. Letztendlich, und das ist ganz wichtig, hat Naturschutz aber eine gesellschaftliche Wertfrage: Welche Ausprägungen, welcher Anteil von welchem Lebensraum, welche Arten sind uns besonders wichtig? Das sind Wertentscheidungen, die mit den gesellschaftlichen Akteuren und Gruppen diskutiert werden müssen. Das BfN sitzt dabei an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik: Wir beraten die Politik und liefern wissenschaftlichen Input, damit unsere demokratisch gewählten Gremien naturschutzpolitische Entscheidungen besser treffen können.

UFZ: Ein Ergebnis der inzwischen gut 16 Jahre alten Biodiversitätskonvention (CBD) von Rio de Janeiro ist das Ziel, den Verlust der Artenvielfalt weltweit bis 2010 weitgehend zu verlangsamen. In Europa will man ihn sogar stoppen. Wie gut ist die Welt, wie gut ist Deutschland?

BJ: Wir können mit Sicherheit sagen, dass wir das 2010-Ziel nicht in allen Komponenten erreichen werden. Und hier möchte ich gerne Ihre Frage modifizieren: Es geht nicht allein um Artenvielfalt. Nach der CBD umfasst biologische Vielfalt darüber hinaus die genetische Vielfalt und die Vielfalt an Ökosystemen. Deshalb ist es wichtig, das 2010-ZieI in seine verschiedenen Dimensionen aufzugliedern. Erst dann kann man differenziert sagen, in welchen Bereichen der Naturschutz und die Politik tatsächlich noch nachlegen müssen und in welchen Bereichen wir vielleicht gar nicht schlecht waren. Oft wird ja von 100 bis 150 Arten gesprochen, die täglich weltweit aussterben. Mit solchen Angaben bin ich sehr vorsichtig. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Beispielen für Arten, die ausgestorben sind. Gleichzeitig sind aber z. B. in Mitteleuropa bei einigen Großvogelarten wie dem Uhu oder dem Kranich, die stark gefährdet sind, Bestandszunahmen zu verzeichnen. Daran sieht man: Gezielte Artenhilfsmaßnahmen und Handeln lohnen sich. Es ist mir daher wichtig, dass differenziert argumentiert wird.

UFZ: Wie weit sind wir bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie?

BJ: Inzwischen hat Deutschland seine Hausaufgaben weitestgehend erledigt. Die gemeldeten FFH- und Vogelschutzgebiete umfassen etwas mehr als 15 Prozent der Landesfläche und bilden damit ein wichtiges Rückgrat für einen übergreifenden Biotopverbund. In der Außerordentlichen Wirtschaftszone (AWZ) - das sind marine Schutzgebiete außerhalb der 12-Seemeilenzone vor der Küste, für die der Bund zuständig ist - sind etwa 31 Prozent der Fläche als Natura 2000-Gebiete ausgewiesen. Das ist international vorbildlich. Jetzt müssen diese Gebiete effektiv gemanagt und vernetzt werden.

UFZ: Welche Konsequenzen ziehen BfN und BMU aus der Tatsache, dass immer mehr Grünland wieder in Acker umgewandelt wird - zugunsten von Energiepflanzen?

BJ: Der Grünlandverlust der letzten Jahre ist bedenklich. Mit der Cross Compliance hat die EU festgelegt, dass der Grünlandanteil auf der Ebene der Bundesländer bezogen auf das Jahr 2003 um nicht mehr als zehn Prozent sinken darf. Ab einem Rückgang von fünf Prozent sind Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Seitdem sind nicht einmal sechs Jahre vergangen, und bereits in vier Bundesländern (Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen) wurde diese Fünf-Prozent-Schwelle überschritten. Die Sanktionierung sieht dann im Regelfall so aus: Wer Grünland über die vorgegebene Menge hinaus umbricht, muss neu einsäen, was auch an anderer Stelle möglich ist. Dieses neu angelegte Grünland ersetzt natürlich älteres, artenreiches Grünland nicht, zählt aber in der Statistik von Anfang an als Dauergrünland. Darum - und gerade vor dem Hintergrund des Biomassebooms - müssen wir die Cross-Compliance-Regelungen und die gute fachliche Praxis, die in der Landwirtschaft gilt, überarbeiten. Darüber hinaus gilt es deutlich zu machen, dass Grünland wesentliche gesellschaftliche Leistungen erbringt, nicht nur für die Artenvielfalt, auch für den Erhalt des Bodens, mittels CO2-Bindung für den Klimaschutz oder für das Landschaftsbild als Grundlage von Wertschöpfung durch den Tourismus. Diese Leistungen müssen aktiv in Wert gesetzt werden.

UFZ: Auf der 9. CBD-Konferenz in Bonn wurde ein erster Bericht zur Abschätzung des ökonomischen Wertes der ökologischen Vielfalt - "TEEB - The Economics of Ecosystems and Biodiversity" - vorgestellt. Die Untersuchung wurde 2007 durch Bundesumweltminister Gabriel und EU-Kommissar Dimas initiiert und wird bis zum Jahr 2010 andauern. Neben zahlreichen internationalen Experten sind auch Wissenschaftler des UFZ beteiligt. Kann bzw. darf man Natur und Artenvielfalt auf den ökonomischen Wert reduzieren?

BJ: Nein, natürlich nicht! Aber es gibt derzeit viele Studien und Anstrengungen, auch in anderen Umweltbereichen auf die ökonomischen Belange zu fokussieren. Ein großes politisches Gewicht hatte der Stern-Report, der aufgezeigt hat, dass es uns teurer zu stehen kommt, wenn wir auf effektive Klimaschutz- und -anpassungsmaßnahmen verzichten. Das war ein wesentlicher Anstoß für den TEEB-Report. Die Zahlengläubigkeit in unserer Gesellschaft und speziell unter Politikern ist nun einmal sehr verbreitet. Deshalb müssen wir entsprechende ökonomische Argumente liefern, dürfen es aber nicht darauf reduzieren. Es ist aber eine Illusion zu glauben, dass es reicht, die Kosten zu erarbeiten. Politik und gesellschaftliche Gruppen müssen sagen, was es uns Wert ist, bestimmte Arten und Ökosystemleistungen zu erhalten. Damit ist die ökonomische Diskussion notwendigerweise sehr eng mit einer ethischen und einer Wertediskussion verknüpft.

UFZ: Nach dem Vorbild des Weltklimarates IPCC wird nun unter der Federführung des UN-Umweltprogramms UNEP über ein entsprechendes Expertengremium - eine zwischenstaatliche Plattform zur Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen - gesprochen (IPBES, www.ipbes.net). Wie müsste aus Ihrer Sicht ein solches Gremium ausgestaltet sein, um erfolgreich beraten zu können?

BJ: Die Stärke des IPCC besteht darin, dass dort Politiker und Wissenschaftler in einem Boot sitzen. Die Politik formuliert Fragen an ein Panel von Wissenschaftlern, die wiederum der Politik Antworten geben. Diese Konstellation macht es allen Beteiligten schwer bis unmöglich, sich aus dem Prozess auszuklinken. Ein solches Gremium für die biologische Vielfalt wäre gerade auch deshalb wichtig, um dem Vorwurf einer oft mangelnden Wissenschaftlichkeit in der Argumentation begegnen zu können. Gleichwohl können die Strukturen von IPCC nicht einfach auf die Biodiversität übertragen werden. Denn für die biologische Vielfalt spielen auch die Flächennutzung und damit neben zeitlichen auch räumliche Beziehungen eine wesentliche Rolle. Zudem müssen die Werte und Wertbestimmungen der indigenen Völker mit in den Prozess eingebunden werden. Gerechter Vorteilsausgleich und faires Übereinkommen mit Entwicklungsländern über die Nutzung von biologischen Ressourcen sind nicht umsonst wichtige Themen der CBD. Man kann aus IPCC lernen, aber nicht einfach kopieren.

UFZ: 2007 verabschiedete die Bundesregierung eine Nationale Biodiversitätsstrategie? Mit welchem Ziel?

BJ: Das Oberziel der Nationalen Biodiversitätsstrategie würde ich als eine Art Biodiversity Mainstreaming bezeichnen. Es geht darum, den Gedanken des Erhalts der Vielfalt und Lebensformen in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinzutragen und für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen. Deshalb ist die Strategie sehr breit angelegt. Sie umfasst nicht nur den reinen Artenschutz, sondern enthält auch Zielbestimmungen für Wildnisgebiete, Kulturlandschaften und urbane Räume. Zudem bezieht sie die verschiedenen Landnutzungen mit ein, etwa die Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, und reicht deshalb in verschiedene Ressortzuständigkeiten hinein.

UFZ: Zur besseren Vernetzung und Sichtbarkeit der nationalen Biodiversitätsforschung wird vom BMBF ein neues Projekt gefördert, in dessen Rahmen ein Service-Zentrum Biodiversitätsforschung am UFZ eingerichtet wird. Welche Wünsche und Erwartungen verbinden Sie damit?

BJ: Ich denke, dass sich UFZ und BfN mit ihren Kompetenzen hier sehr gut ergänzen. Das UFZ durch seine eigene Expertise und größere Nähe zur Wissenschaft, das BfN durch seine größere Nähe und den Transfer zur Politik. Wir haben bereits signalisiert, dass wir das Forum und Netzwerk etwa durch unsere Dialogforen oder durch die internationale Akademie auf der Insel Vilm gerne unterstützen möchten.

Doris Böhme


DIE AUFGABEN DES BfN

Das BfN ist eine Bundesoberbehörde, die das Bundesumweltministerium (BMU) fachlich und wissenschaftlich in allen Fragen des Naturschutzes sowie bei der internationalen Zusammenarbeit unterstützt und berät. Es konzipiert, fördert und betreut Naturschutzgroßprojekte und vergibt Forschungsvorhaben aus dem Umweltforschungsplan (Ufoplan) sowie Modellvorhaben, in denen neuartige Ansätze des Naturschutzes erprobt werden. Das BfN erteilt Genehmigungen für die Ein- und Ausfuhr geschützter Arten, wirkt mit beim Genehmigen des Freisetzens und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen und hat weitere Vollzugsaufgaben im Meeresnaturschutz. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Öffentlichkeit über Naturschutz zu informieren und der Fachwelt allgemeine Informationen, wissenschaftliche Daten und Publikationen zu Arten- und Naturschutz sowie der biologischen Vielfalt zur Verfügung zu stellen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Prof. Dr. Beate Jessel studierte Landespflege an der TU München, leitete später das Referat "Ökologisch orientierte Planungen" an der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege in Laufen/Salzach. Von 1999 bis 2006 war sie Lehrstuhlinhaberin für Landschaftsplanung am Institut für Geoökologie der Universität Potsdam, danach auf einer Allianz-Stiftungsprofessur für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung an der TU München. Im November 2007 wurde Beate Jessel von Umweltminister Gabriel zur Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) berufen. Foto: Klaus-Dieter Sonntag


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Quelle:
UFZ-Newsletter September 2009, S. 6-7
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2009