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STADT/173: Berliner Debatte zur Stromausschreibung für öffentliche Einrichtungen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 148 - Februar/März 09
Die Berliner Umweltzeitung

100 Prozent Ökostrom für Berlin
Debatte zur Stromausschreibung für öffentliche Einrichtungen von 2010 bis 2012

Von Jochen Mühlbauer


Der Deutsche Bundestag und das Bundesumweltministerium haben es getan. Bremen, Mannheim und Esslingen auch, und andere überlegen noch: Wollen wir Ökostrom oder normalen? So lautet auch die Frage, die sich jetzt in Berlin stellt. Denn zurzeit wird die Ausschreibung der Stromlieferungen für die Landeseinrichtungen in den nächsten drei Jahren vorbereitet. Krankenhäuser, Straßenbeleuchtungen, Schulen und auch das Abgeordnetenhaus werden in Berlin mit Strom von Vattenfall versorgt. Der stammt teilweise aus Kohlekraftwerken, der mit Abstand klimaschädlichsten Energieerzeugung. Doch der Konzern hatte bei der letzten Stromausschreibung 2006 das wirtschaftlichste Angebot vorgelegt. Für die neue Ausschreibung der Stromversorgung öffentlicher Einrichtungen für 2010-2012 sollen auf Druck von Umweltverbänden und Grünen dagegen auch ökologische Kriterien eine Rolle spielen. Es geht immerhin um eine Stromrechnung von voraussichtlich knapp 100 Millionen Euro pro Jahr.

Die Strommenge für öffentliche Einrichtungen in Berlin entspricht etwa 925 Gigawattstunden pro Jahr. Das sind ungefähr 900 Millionen Waschmaschinenladungen. Werden diese mit ganz normalem Strom erledigt, blasen die Kraftwerke dafür rund 500. 000 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) in die Luft. Die Vattenfall-Kraftwerke stoßen sogar rund 600 000 Tonnen CO2 aus.

Angesichts dieser riesigen Menge könnte das Land Berlin ein bedeutendes Signal geben, wenn es Ökostrom ausschreiben würde, meinen Umweltverbände und die Grünen. Sie haben den Senat aufgefordert, nur solchen Strom zuzulassen, der nahezu keinen CO2-Ausstoß verursacht. Nichtregierungsorganisationen wie WEED und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sowie die Studenteninitiative "Studieren ohne Kohle" fordern eine Versorgung mit 100 Prozent Ökostrom. Vorbild ist dabei das Bundesland Bremen. Berlin könnte mit einer Entscheidung für 100 Prozent Ökostrom viel bewegen, appellieren die Umweltschützer. Insgesamt sei es möglich, pro Jahr bis zu 400.000 Tonnen CO2 einzusparen.

Aus Sicht des SPD-Umweltexperten Daniel Buchholz "hört sich die Forderung nach Ökostrom gut an, ist aber unrealistisch". Zum einen sei die riesige Menge kurzfristig kaum zu bekommen, zum anderen habe man sich bereits selbst ökologische Kriterien auferlegt: Atomstrom sei seit Jahren tabu. Der jetzt ausgeschriebene Strom-Mix müsse mindestens 20 Prozent Ökostrom enthalten. Weitere 50 Prozent müssten aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) stammen. Diese Technik ist in den Berliner Vattenfall-Kraftwerken Standard. Sie spart Brennstoff, weil die Abwärme der Stromerzeugung als Heizenergie genutzt wird. Für die gleiche Energieausbeute muss also weniger Kohle oder Gas verbrannt werden. Der Grünen-Energiefachmann Michael Schäfer fürchtet, "dass die Ausschreibung auf Vattenfall zugeschnitten wird, weil sonst niemand in Berlin so günstig KWK-Strom anbieten kann". Und die 20-prozentige Öko-Quote sei kaum besser als der gesetzlich vorgeschriebene Anteil von zurzeit gut 16 Prozent, der schrittweise steigen soll. Ein kompletter Umstieg Berlins auf Ökostrom dagegen würde nach Schäfers Ansicht den Ausbau erneuerbarer Energien und damit den Klimaschutz massiv voranbringen. Voraussetzung wäre, dass der Strom aus neuen Anlagen stammt. Sonst könnten die Energiekonzerne einfach durch interne Umbuchungen den Berliner Strom als "öko" deklarieren, indem er beispielsweise einem jahrzehntealten Wasserkraftwerk zugerechnet wird.

Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) setzte bei der anstehenden Ausschreibung des Stroms für die Berliner Verwaltung zunächst nur auf Mindeststandards - und zwar ziemlich geringe. Der Strom sollte zu 20 Prozent aus Ökostrom bestehen und zu 50 Prozent aus Kohle- oder Gaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung kommen. Atomstrom darf nicht dabei sein, der Rest ist egal. Das Entscheidungskriterium sollte dann allein der Preis sein. Der Abgeordnetenhausbschluß von 2008, wonach auch Ökokriterien wie der CO2-Ausstoß ein Zuschlagskriterium sein. müssen, sei hier nicht relevant: "Wir haben doch bereits Umwelt-Mindeststandards definiert, dadurch erübrigen sich weitere Zuschlagskriterien", erklärte Sarrazins Sprecherin Kristina Tschenett.


Konflikte im Berliner Senat

Finanzsenator Sarrazin bekommt in der weiteren Auseinandersetzung um die Öko-Kriterien bei der Ausschreibung des Landesstroms Schelte vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD): Selbstverständlich sei der Beschluss des Abgeordnetenhauses, bei der Vergabe nicht nur preisliche Aspekte, sondern auch die Frage des Ökostroms mit in die Gewichtung bei der Entscheidung einzubeziehen, vom Finanzsenator auch zu berücksichtigen, so Wowereit am 15. Januar im Abgeordnetenhaus.

Das Landesparlament hatte im vergangenen Jahr beschlossen: Bei der Entscheidung, welcher Anbieter ein Produkt an das Land verkauft, darf der Preis nicht die alleinige Rolle. spielen. Öko-Kriterien wie etwa der CO2-Ausstoß müssen mit einer Gewichtung von 33 Prozent in die Entscheidung einfließen. Auch die CDU ist auf Seiten der Umweltschützer. Der Senat solle sich "schon aufgrund der Vorbildfunktion" für Ökostrom entscheiden, fordert der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Carsten Wilke. Seine Fraktion hatte zusammen mit SPD, Linken und Grünen den Beschluss über die Berücksichtigung von Öko-Kriterien gefasst. Michael Schäfer, Klimaschutzpolitiker der Grünen, findet es "unglaublich, dass die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses derart ignoriert werden". Dabei wäre Ökostrom "ein so einfaches Mittel, einen relevanten Beitrag zu leisten und damit auch ein Symbol in die Stadt hinein zu senden".

Ende Januar musste dann Finanzsenator Sarrazin schließlich doch dem Druck, den die Grünen, Umweltverbände und die CDU aufgebaut haben, aber auch der Kritik aus der rot-roten Koalition, nachgeben. Der Senat gab die Zusage, dass bei der neuen Stromausschreibung die Verringerung der CO2-Emissionen bei den ausschlaggebenden Kriterien mit einem Drittel zählen soll.

Jetzt entscheidet nicht mehr der Preis allein, wer der neue Stromlieferant des Landes wird. Das bedeutet, dass nur 100 Prozent Ökostromangebote eine Chance haben werden. Denn die Ausschreibungen in Bremen und anderen Bundesländern haben gezeigt, dass Ökostrom nur ein bis zwei Prozent teurer ist als Kohle- und Atomstrom. Wenn der Senat in den nächsten Wochen nicht noch an der Ausschreibung herumtrickst, wird ab 1. Januar 2010 hoffentlich Ökostrom im Roten Rathaus, in allen öffentlichen Gebäuden und Schulen Berlins fließen. Das wäre ein wichtiger Erfolg für den Klimaschutz der Stadt.


Aktiver Klimaschutz durch Wechsel zum Ökostrom

Aber das allein reicht nicht aus: Alle Berliner/-innen können aktiv werden für den Klimaschutz, wenn sie als Verbraucher/-innen durch Wechsel zu einem Ökostromanbieter aus der Atom- und Kohlestromwirtschaft aussteigen. Denn Ökostrom ist ein klares Statement für den Klimaschutz. Jede Kilowattstunde Wind-, Wasser-, Solar- oder Biomassestrom, die zusätzlich ins Netz fließt und damit eine schmutzige Kilowattstunde verdrängt, bringt hier einen wirklichen Fortschritt. Außerdem ist Ökostrom nur unwesentlich teurer, ein Preisvergleich lohnt sich auf jeden Fall.

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Energieversorgung in Berlin

• Die Stromliefermenge für die vom Land Berlin betriebenen Einrichtungen beträgt jährlich 925 Gigawattstunden. Dies entspricht einem jährlichen Durchschnittsverbrauch von 330 000 Haushalten.

• Das Land Berlin hat rund 6000 Gebäude mit einer Fläche von rund zehn Millionen Quadratmetern. Der jährliche CO2-Ausstoß liegt bei rund 20 Millionen Tonnen. Mit einer 100prozentigen Ökostromversorgung der öffentlichen Einrichtungen könnte dieser um 400 000 Tonnen jährlich verringert werden.

• Die letzte europaweite Ausschreibung im Jahr 2006 erfolgte zugunsten von Vattenfall. Von 2004 bis 2006 hingegen gelang es dem Ökostromanbieter LichtBlick in geringem Umfang an der Stromlieferung teilzuhaben.


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EWS - Elektrizitätswerke Schönau Vertriebs GmbH
Friedrichstraße 53-55
79677 Schönau
info@ews-schoenau.de
www.ews-schoenau.de

Greenpeace energy eG
Schulterblatt 120
20357 Hamburg
info@greenpeace-energy.de
www.greenpeace-energy.de

Lichtblick - die Zukunft der Energie GmbH & Co. KG
Max-Brauer-Allee 44
22765 Hamburg
info@lichtblick.de
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Achenbachstraße 43
40237 Düsseldorf
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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 148, Februar/März 09
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2009