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STADT/317: Städtisches Grün - Mehr Wildwuchs! (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2012
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

TITELTHEMA
Städtisches Grün
Mehr Wildwuchs!

von Andreas Faensen-Thiebes



Multikulturelle Einflüsse bereichern das Leben in der Großstadt. Weniger bekannt ist, dass auch die pflanzlichen Bewohner unsrer Städte eine bunte Mixtur darstellen, mit Arten aus aller Herren Länder. Die Vielfalt urbaner Wildpflanzen verdient auch in Zukunft die nötigen Freiräume.

Wie machen die Pflanzen das nur? Weder antarktische Flechten sind hier gemeint, noch die Polsterpflanzen alpiner Gipfel oder dürre Wüstensträucher. Nein, es soll hier um unsere normale kleine Brennnessel gehen, um das Berufskraut oder die Mäusegerste, die auf der Baumscheibe zwischen Müll und Granulatresten wachsen, auf verdichteten Böden, halb verätzt vom Hundeurin. Wie können sie hier blühen und Früchte produzieren, deren Samen im kommenden Frühjahr auf so unwirtlichem Grund erneut keimen?

Überlebenskünstler

Nicht immer erscheinen uns die Überlebenskünstler am Straßenrand attraktiv. Doch sie leisten Erstaunliches, auch für uns Menschen. Binden sie doch Staub und lockern mit ihren zarten Wurzeln den Boden zumindest oberflächlich auf, sodass dieser etwas mehr Wasser für die Straßenbäume aufnehmen kann.
Ein extremer Lebensraum, sicher. Ein wenig besser haben es da schon die Pflanzen, die sich auf verlassenen Grundstücken, an Bahngleisen oder den unbeachteten Rändern großer Gewerbeflächen ansiedeln. Hier sind die Störungen seltener. Einjährige Pflanzen werden von langlebigeren Arten verdrängt. Unter den zwei- oder mehrjährigen Pflanzen gibt es die schönsten Blüten: Der violette Natternkopf, weißer und gelber Steinklee sowie die abends aufblühenden Nachtkerzen oder die stattlichen Königskerzen fügen sich zu einem bunten Blütenbild. Eine Attraktion für Bienen und andere Bestäuber, die so manchen Blumengarten in den Schatten stellt.

Beifuß und Götterbaum

Interessant sind diese Flächen auch deshalb, weil hier kein Gärtner oder Förster bestimmt, was wo zu wachsen hat. Die Natur reguliert sich selbst: Auf trockenem Grund können wir über mehrere Jahre die Blütenpracht dieser zweijährigen Pflanzen erleben. Wo es feuchter und nährstoffreicher ist, setzen sich ausdauernde Stauden durch. Leuchtend gelb blühen dann Goldrute und Rainfarn. Unscheinbarer ist der Beifuß, der als Gewürz jeden Gänsebraten veredelt.
Auf sehr trockenen und nährstoffarmen Brachen entstehen bald mehr oder weniger ruderalisierte Halbtrockenrasen. Sie werden nicht nur von Kaninchen geschätzt, sondern auch von vielen Heuschrecken und - ist die Fläche groß genug und wenig gestört - von etlichen Brutvögeln. Neben vielen Gräsern finden wir hier Schafgarbe, Ackerwinde, Silbernes Fingerkraut, Stoebes Flockenblume oder den Mauerpfeffer.
Wo Pflastersteine nicht mehr zulassen, sprießt in den Ritzen ein lückiges Grün mit Vogelknöterich oder Mastkraut. Doch auf Dauer gewinnen fast überall Gehölze die Oberhand. Auf schattigen und feuchten Flächen machen sich rasch Spitz- und Bergahorn breit, trockenere Brachen besiedeln oft Birken, Robinien oder Salweiden. Der aus Ostasien stammende Götterbaum ist wegen seiner Frostempfindlichkeit an die Städte gebunden. Hier begnügt er sich dafür mit kleinsten Ritzen zwischen Hofpflaster und Hauswand oder in den Stufen der Kellereingänge.

Vielfalt statt Einfalt

Auch wo gegärtnert wird, kann sich bei richtiger, wohl dosierter Pflege eine prächtige Pflanzendecke entwickeln. Das viel zu oft monotone Abstandsgrün um Wohngebäude herum kann einer herrlich blühenden Wiese weichen. Man muss nur die Samen aus dem Heu artenreicher Wiesen aus der Region auf dem Grün verteilen und es bei einer zwei- bis dreimaligen Mahd im Jahr belassen. So entsteht eine Augenweide für die Anwohner und ein wertvoller Lebensraum für viele Schmetterlinge und Bienen. Ihr Wert ist umso höher zu schätzen, als solche buntblumigen Wiesen in unserer Kulturlandschaft immer seltener werden.
Wo wuchsen all diese Pflanzen, als es noch keine Städte gab? Nun, die Arten der Stadtwiesen stammen wie die aller vom Menschen geschaffenen Wiesen aus sehr verschiedenen natürlichen Habitaten - von den hiesigen Flussauen bis zu den Steppen im Osten. Das Gleiche gilt für die »echten« Stadtpflanzen. Da Mitteleuropa ursprünglich vor allem Waldland war, kommt das urbane Grün meist von Sonderstandorten: aus sehr nährstoffreichen Wäldern wie die Brennnessel und der Giersch, von Spülsäumen der Ufer wie die Gänsedistel, von Felskanten wie der Mauerpfeffer oder von Windwürfen wie die Kratzdistel und das Schmalblättrige Weidenröschen.

Exoten auf dem Vormarsch

Sehr viele Arten sind bei uns eingewandert, manche erst in historischer Zeit, nach der Entdeckung Amerikas. So stammt der Steinklee von den schottrigen Flussufern Innerasiens, die Kanadische Goldrute aus der nordamerikanischen Prärie und das Schmalblättrige Greiskraut aus Südafrika. Besagtes Greiskraut hat sich erst in den letzten Jahrzehnten an Straßen und Gleisen ausgebreitet und zeigt seine leuchtend gelben Blüten bis in den Winter hinein. Viele dieser Pflanzen wurden bewusst als Zierpflanze eingeführt. Andere gelangten über den Gütertransport unbeabsichtigt in unsere Städte, wo sie - oft von Verladestationen an Bahnhöfen und Häfen aus - ihre neue Heimat eroberten.
Das wilde Grün der Städte birgt viele Ess-, Heil- und Nutzpflanzen: von der bekannten Kamille über die Wegwarte (Zichorie), die in Notzeiten als Kaffeeersatz und Salat diente, bis zum Seifenkraut, das man früher als Waschmittel nutzte und heute in der Naturmedizin. Stadtpflanzen können uns viele Geschichten erzählen. Der BUND setzt sich vielerorts dafür ein, ihre Lebensräume zu bewahren.

Autor:
Der gelernte Biologe und Sprecher eines Arbeitskreises für Stadtnaturschutz ist seit 2010 BUND-Schatzmeister.

Pestizidfreie Kommune Erfolgreich die Natur schützen und zugleich Pestizide einsetzen? Das verträgt sich nicht. Städte und Gemeinden können dem Naturschutz auf kommunaler Ebene nun neue Türen öffnen - indem sie sich zur »pestizidfreien Kommune« erklären. Hauptziel der vom BUND unterstützten Selbstverpflichtung ist es, bestehende Sichtweisen zu ändern und die bisherige Praxis zu hinterfragen: für mehr biologische Vielfalt auf kommunalen Flächen und auch in Privatgärten. Der Weg zur pestizidfreien Gemeinde ist anspruchsvoll. Die kritische Öffentlichkeit will ebenso informiert und überzeugt werden wie Stadt- oder Gemeinderäte. Doch es lohnt sich, für den Verzicht auf Pestizide im Siedlungsbereich gibt es viele gute Gründe. Die ersten Städte und Gemeinden dürfen sich bereits als »pestizidfrei« bezeichnen. Neugierig geworden? → www.bund.net/pestizidfreie-kommune

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Fades Abstandsgrün - das muss nicht sein. Regionales Mahdgut von vielfältigen Wiesen verhilft zu artenreichen Lebensräumen.
• Auf mageren Böden siedeln Mauerpfeffer und Ackerwinde (links). Wo es nährstoffreich ist, beeindrucken Natternkopf und Königskerze mit üppigem Wuchs.
• Stadtgehölze - nicht wenige sind ganz alleine groß geworden.

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Quelle:
BUNDmagazin 1/2012
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2012