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STADT/328: Wildschweinplage in Städten - Uni Rostock entwickelt wissenschaftliches Abwehrprogramm (idw)


Universität Rostock - 27.09.2012

Wildschweinplage in Städten

Uni Rostock entwickelt im Auftrag der Stadt ein wissenschaftliches Abwehrprogramm



Dummes Schwein? "Falsch", sagt Rostocks Stadtforstamtsleiter Jörg Harmuth. "Wildschweine sind pfiffige Kerlchen, äußerst schlau und anpassungsfähige Überlebenskünstler. Die borstigen Grunzer wissen ganz genau, wie man uns an der Nase herumführt." Warum sollen sie auch im Wald leben und Eicheln futtern, wenn es in der Stadt Fast-Food auf der Straße gibt? Die Stadt ist ein wahres Schlaraffenland. Die Universität Rostock untersucht jetzt im Auftrag der Hansestadt und des Landwirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommerns, welche Schäden Wildschweine in der Großstadt Rostock und Umgebung, sprich in Gärten, Parkanlagen, auf Feldern und Wiesen verursachen und wie man beispielsweise durch eine andere Bejagungs-Strategie gegensteuern kann. Rostock ist eine der ersten Universitäten in Deutschland, die sich intensiv mit der Plage von "Schweinen in der Stadt" beschäftigt und dazu forscht.

Immerhin haben die Schwarzkittel im vergangenen Jahr allein auf städtischen Flächen des Grünamtes Schäden in Höhe von etwa 100.000 Euro angerichtet. Die Tiere hinterlassen u.a. in Markgrafenheide richtige Grabelandschaften. "Wir müssen handeln", sagt der Stadtforstamtsleiter. Obwohl in den letzten zwei Jahren allein in und um Markgrafenheide 84 Wildschweine erlegt wurden, ist das Problem damit nur zeitweilig gemindert. Die frei gewordenen Lebensräume werden innerhalb kurzer Zeit erneut besiedelt. Viele bisherige Bemühungen, der Schweineplage Herr zu werden, waren nur "ein Stochern im Nebel". Dies betrifft vor allem die notwendige Prävention in Bezug auf Lebensräume für Schwarzwild und die effektive Bejagung möglichst bereits außerhalb des urbanen Raumes.

"Wir wollen versuchen, zunächst die Populationsdichte der Schwarzkittel, beispielsweise durch Fotofallen, Markierung und Sichtzählung zu bestimmen", erklärt Diplom-Biologe Dr. Hinrich Zoller vom Institut für Biowissenschaften der Universität Rostock die Arbeitsschritte. Der 34-Jährige ist in einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen und schon seit jungen Jahren mit der Jagd vertraut. Er weiß also auch aus praktischer Sicht sehr genau, worum es geht. In einem weiteren Schritt wollen die Forscher sowohl die Populationsdynamik wie auch das Raum-Zeit-System der Tiere erkennen, um dann nachvollziehen zu können, wo sich die Wildschweine wann aufhalten. Dazu sollen die Schwarzkittel mit Hilfe von großen Fallen gefangen werden. Mit Sendern und Ohrmarken ausgestattet, werden sie dann wieder in die Freiheit entlassen. So können die Wanderungsbewegungen, sowie Reaktionen auf Bejagung oder Störungen der Schweine genau nachvollzogen werden.

"Dann wissen wir, welche Strategien wir anwenden können und was zu tun ist, damit die Tiere letztlich im Wald bleiben", hofft Jörg Harmuth. "Es wird in dem Forschungsprojekt aber auch darum gehen, die Bevölkerung aufzuklären, welche Pflichten und Möglichkeiten sie hat, damit die Schweineplage gemildert werden kann", sagt Dr. Zoller. Wichtig ist, dass die Tiere niemals gefüttert werden und ihnen der Zugang zu Grundstücken durch Zäune erschwert wird.

Weil das Wildschweinproblem in anderen Städten und ländlichen Bereichen Mitteleuropas ebenfalls sehr groß geworden ist, planen die Forscher der Universität Rostock, Kooperationen mit anderen Instituten und Universitäten im In- und Ausland einzugehen. So sollen neueste Erkenntnisse aus der Forschung besonders in den Städten schnell praxiswirksam werden. Besonders in städtischen Siedlungsräumen gibt es zwei Lager: Die einen wollen die Schweine von der Stadt fernhalten, die anderen wollen sie streicheln. "Das ist eines der Hauptprobleme", meint Dr. Zoller. Doch auch durch möglicherweise falsches Jagdmanagement sieht er die Wildschweine weiter auf dem Vormarsch. Hier Lösungen anzubieten, ist eines seiner weiteren Forschungsvorhaben.

"Die derzeit einzig sinnvolle Möglichkeit, die Bestände einzudämmen, ist die Jagd. Wird nicht eingeschritten, regelt die Natur das selbst. Das heißt, es brechen Krankheiten aus", warnt Zoller. Er erinnert an die europäische Schweinepest vor ein paar Jahren. "Das möchten die Landwirte und Jäger nicht noch einmal erleben, weil dann ganze Bestände von Hausschweinen gekeult werden müssen."

Dabei scheint die Wildschweinplage auch durch die Landwirtschaft hausgemacht. Die mit Mais und Raps angebauten Flächen werden immer größer. "Da haben die Tiere nicht nur gut zu fressen, sondern auch beste Deckung", sagt Dr. Zoller. Basierend auf den Erkenntnissen der letzten Jahre, könnte auch der Klimawandel mit der explosionsartigen Ausbreitung der Schwarzkittel zu tun haben. Starke, anhaltende Frostperioden von mindestens sechs bis acht Wochen werden immer seltener. Die Frischlinge überleben dadurch in sehr großer Zahl. In den letzten Jahren haben teilweise bis zu 70 Prozent der Frischlings-Bachen selber Frischlinge bekommen, erklärt der Biologe.

Hintergrund: Seit über 40 000 Jahren dient das Wildschwein dem Menschen durch die Jagd als Nahrungsgrundlage oder trat ihm mit dem Aufkommen der Landwirtschaft als Konkurrent entgegen. Aus diesen Gründen kam es bis zum 17. Jahrhundert zur Ausrottung dieser Wildtierart in England, Dänemark und Skandinavien. Im 18. und 19. Jahrhundert verschwand das Wildschwein dann auch aus den meisten Bereichen Mitteleuropas. Auf Grund von Veränderungen in den Jagdsystemen und der Modernisierung der Landwirtschaft kam es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa zur Ausbreitung und Auswilderung in wildschweinfreie Gebiete, selbst in Nordamerika, Australien und einigen kleineren Inseln des Atlantiks und Pazifiks. Seit etwa 60 Jahren ist in ganz Mitteleuropa ein starker Anstieg des Schwarzwildes zu verzeichnen. Der Trend hält unvermindert an und konnte trotz frühzeitigem Erkennen und teilweise eingeleiteten Maßnahmen bisher in keiner Weise gestoppt werden. "Seit Jahrzehnten versuchen wir Menschen, die Wildschweine vom Acker zu kriegen", sagt Rostocks Stadtforstamtleiter Harmuth. Abe: "Trotz aller Bemühungen gibt es mehr Schweine denn je."

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Rostock, Ingrid Rieck, 27.09.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2012