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TECHNIK/013: Wie fischfreundlich ist das "fischfreundlichste Wasserkraftwerk"? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 946 vom 31. Mai 2010 - 29. Jahrgang

Wie fischfreundlich ist das "fischfreundlichste Wasserkraftwerk der Welt"?


Zur Notiz über die juristischen Auseinandersetzungen um das neue Weser-Wasserkraftwerk in Bremen-Hemelingen im BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 941/2-3 (*) hat uns folgende Kritik des renommierten Fischtreppenexperten ULRICH DUMONT erreicht:

"Die ersten beiden Beiträge beschäftigen sich mit dem kumulativen Effekt von Querbauwerken und Wasserkraftanlagen bei der Wanderung diadromer (und auch potamodrome) Fischarten. Wir waren vermutlich die ersten, die dies in verschiedenen Untersuchungen deutlich herausgearbeitet haben (vgl. Handbuch Querbauwerke NRW). Aktuell bearbeiten wir im Auftrag des UBA eine entsprechende Untersuchung für das Gewässersystem Weser. Und da wundert es mich schon, dass Sie für das Kraftwerk in Hemelingen dessen Beitrag zur kumulierten Schädigungsrate etc. für die diadromen Fische in der Weser völlig außer Acht und das Kraftwerk eher im positiven Licht erscheinen lassen. Das Kraftwerk ist - gemessen an aktuellen Bemessungswerten - keineswegs das fischfreundlichste Kraftwerk der Erde: so beträgt der lichte Rechenabstand 25 mm, zu fordern sind für den Schutz von Lachssmolts 10 mm, für Blankaale 15 mm. Blankaale können (und werden) diesen Rechen locker passieren. Die vorgesehenen Bypässe sind ebenfalls nicht Stand der Technik. Dabei hätte man die erforderlichen Schutzraten bei anderer Technik durchaus realisieren können, allerdings zu höheren Kosten. Diese Techniken sind mittlerweile auch für Wasserkraftanlagen über 200 m3/s entwickelt und gerade bei Neuanlagen einsetzbar. Dazu gibt es Pilotanlagen und ausgereifte Projekte. Abgesehen vom Verhalten einzelner Interessengruppen ist daher schon verständlich, warum sich gegen dieses Projekt (in der Tat an einer Schlüsselposition) soviel Widerstand regt. Für den Wasserrundbrief wäre es m.E. notwendig und lohnend, diese Zusammenhänge kritischer darzustellen. Dazu würde auch gehören, die Gutachten und ihre juristische Wertung zu hinterfragen. Greenpeace argumentiert nach meinem Eindruck nicht immer fachlich sauber und abwägend im Sinn einer ökologisch angepassten Energieversorgung und einer nachhaltigen Entwicklung der Gewässer."

Weitere Auskunft:
Herrn Dipl. Ing. Ulrich Dumont
Ingenieurbüro Floecksmühle
52066 Aachen
Bachstr. 62-64
Tel.: 0241-94986-0; Fax: 0241-94986-13
E-Mail: u.dumont@floecksmuehle.com


(*) Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
siehe:
www.schattenblick.de\infopool\umwelt\lebens\ulema171.html
MASSNAHMEN/171: Lachse zwischen Kleinwasserkraftlobby und Gewässerschutzpolitik (BBU WASSER-RUNDBRIEF)
www.schattenblick.de\infopool\umwelt\fakten\ufam0062.html
MELDUNG/062: Angler verlieren Prozess um "Greenpeace-Weserkraftwerk" (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


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Der Aaltod in der Wasserkraftturbine - jetzt wissenschaftlich untersucht

Auf ihrem Weg flussaufwärts überwinden die jungen Aale mit enormen Eifer fast jedes Hindernis: Unüberwindbare Wehranlagen werden notfalls auf regennassen Wiesen "umschlängelt". Wenn sich dann die Aale in den Oberläufen der Flüsse auf den Weg zurück ins Meer machen, nutzt ihnen aller Elan nichts mehr - und zwar dann, wenn sie in die Turbinen der Wasserkraftwerke gelangen. Beim Weg flussab orientieren sich die ausgewachsenen Aale ("Blankaale") an der stärksten Strömung. Und die führt geradewegs in die Turbinen. Selbst bei sogenannten "Langsamläufern" beträgt die Umdrehungsgeschwindigkeit der Turbinenschaufeln an die 100 Stundenkilometer. Im Gegensatz zu »kurzgewachsenen« Fischen haben die langen Aale kaum eine Chance, der Schlagwirkung der Turbinenschaufeln zu entgehen. In der Regel werden die Blankaale zerstückelt. Der Turbinentod in den Wasserkraftanlagen gilt als eine wesentliche Ursache für die akute Gefährdung des Europäischen Aals (Anguilla anguilla). In mehrfach gestauten Gewässern mit Wasserkraftnutzung wird die turbinenbedingte Mortalität zudem durch kumulative Effekte exponentiell verschärft (s. RUNDBR. 941 sowie links nebenstehendes Kritikschreiben). Aufgrund der dramatischen Bestandsrückgänge wurde durch die Europäische Union die "Verordnung mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals" (VO-Nr. 1100/2007) erlassen. Die EU-Aal-Verordnung bestimmt, dass mindestens 40 Prozent der für das betreffende Einzugsgebiet maßgebenden Blankaalbiomasse das offene Meer erreichen muss. Die Umsetzung dieser Zielstellung erfordert eine Quantifizierung der bei der Laichwanderung flussab auftretenden Verluste. Allerdings ist die Bilanzierung der Überlebensrate am betreffenden Wasserkraftanlagenstandort als auch die Bilanzierung der Überlebensrate im gesamten Gewässersystem alles andere als trivial. Wegen der zentralen Bedeutung der turbinenbedingten Mortalität war es wichtig, den gegenwärtig nur lückenhaften Kenntnisstand zur Prognose von turbinenbedingten Aalverlusten zu verbessern.

GUNTRAM EBEL vom Büro für Gewässerökologie und Fischereibiologie in Halle an der Saale kommt das Verdienst zu, diese Kenntnislücken jetzt gefüllt zu haben. Zum einen hat EBEL die verfügbaren Feldstudien zu turbinenbedingten Aalschäden an insgesamt 34 europäischen Wasserkraftanlagen ausgewertet. Zum anderen hat EBEL die in der Vergangenheit erarbeiteten, bislang jedoch kaum validierten, neun Prognosemodelle auf diese Wasserkraftanlagenstandorte angewendet. Dabei wurde die jeweilige Übereinstimmung von berechneten und beobachteten Schädigungen miteinander verglichen. Hierbei erfolgte eine Differenzierung zwischen Wasserkraftanlagen mit vergleichsweise langsam laufenden Kaplan-Turbinen und mit schnell laufenden Francis-Turbinen. Auf der Grundlage der vorliegenden Feldstudien erfolgte darüber hinaus eine Analyse von Beziehungen zwischen beobachteten Schädigungsraten und standörtlichen, technischen, betriebsbedingten und biologischen Faktoren. Analysiert wurden die Beziehungen zwischen den nachgewiesenen Schädigungsraten und den potentiellen Einflussgrößen wie Fallhöhe, Drehzahl, Laufraddurchmesser, Schaufelabstand, Umfangsgeschwindigkeit, Turbinendurchfluss bzw. Turbinenbeaufschlagung und Körperlänge.

Anhand der hierbei aufgefundenen Korrelationen wurde ein neues Modell für die Prognose von turbinenbedingten Aalschäden entwickelt. Die vorgenommenen Modellprüfungen bilden die Grundlage für die Ableitung von Empfehlungen zur künftigen Vorhersage von turbinenbedingten Aalschäden. Mit dem neu entwickelten Modell können die aalschädigenden Auswirkungen neuer Wasserkraftanlagen bereits in der Planungsphase beurteilt werden. Bei bereits bestehenden Wasserkraftanlagen können die Anlagen identifiziert werden, an denen aufgrund des hohen Schadenspotentials die Umsetzung von Schutzmaßnahmen besonders dringlich ist - beispielsweise durch den Einbau von Rechen mit besonders engem Stababstand und den Bau von Bypässen, über die die Aale an den lebensgefährlichen Turbinen vorbeigeleitet werden. Die Arbeit von EBEL könnte auch dazu dienen, Turbinentypen zu entwickeln, die weniger fischschädlich als die bisherigen Wasserkraftanlagen sind.

GUNTRAM EBEL: "Turbinenbedingte Schädigung des Aals (Anguilla anguilla) - Schädigungsraten an europäischen Wasserkraftanlagenstandorten und Möglichkeiten der Prognose".
Mitteilungen aus dem Büro für Gewässerökologie und Fischereibiologie Dr. Ebel (Heft 3). 176 Seiten (durchgängig farbig), 41 Zeichnungen und Fotos, 60 Diagramme und Schemata, 57 Tabellen, 167 Lit.-Hinweise, Abstract und Kurzfassung, ISBN: 978-3-00-025445-1

Bezug:
Büro für Gewässerökologie und Fischereibiologie Dr. Ebel (BGF)
Saalwerderstraße 10
06118 Halle (Saale)
Telefon / Telefax: (0345) 52 38 876
E-Mail: info@bgf-halle.de
Internet: http://www.bgf-halle.de


In der Schriftenreihe bisher erschienene Titel:

- Ebel, G. (2000): Habitatansprüche und Verhaltensmuster der Äsche Thymallus thymallus (LINNAEUS, 1758) - Ökologische Grundlagen für den Schutz einer gefährdeten Fischart. 64 S., Halle (Saale).

- Ebel, G. (2002): Untersuchungen zur Stabilisierung von Barbenpopulationen - dargestellt am Beispiel eines mitteldeutschen Fließgewässers. 152 S., Halle.


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 946/2010
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, D-79106 Freiburg i. Br.
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E-Mail: nik@akwasser.de
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2010