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VERKEHR/750: Autobahn 44 - Wald contra Asphalt (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

spezial verkehr
Autobahn 44 - Wald contra Asphalt

Von Klaus Schotte, Monika Lege und Janina Laurent


"Nur heimische Gehölze an der neuen Autobahn", so titelte eine hessische Regionalzeitung und zeigt exemplarisch, wie der Bau der A 44 von Kassel nach Eisenach in der Öffentlichkeit dargestellt werden soll. Ausschließlich einheimische, herkunftsgesicherte Gehölze wie Holunder, Weißdorn und Schlehe würden für Grünanlagen und Ausgleichsflächen entlang der Autobahn verwendet. Dasselbe Prinzip gelte für Kräuter- und Grasgesellschaften. Darüber hinaus würde das Flüsschen Losse in Teilbereichen ökologisch aufgewertet, Grünbrücken geplant. Es werde also "alles" für den Naturschutz getan - mehr gehe wirklich nicht. Auch manche NaturschützerIn ist geneigt, dem zuzustimmen. Aber Vorsicht: Nicht die Ursache für diese Anstrengungen vergessen!


Der Bau von gut 64 Kilometern Autobahn von Kassel-Ost bis Wommen bei Eisenach würde eine Schneise von mindestens dreißig Metern Breite ins nordhessische Losse- und Wehretal sowie in die Ausläufer des Ringgaus schlagen. Dazu kommen Auf- und Abfahrten und der Ausbau von Zubringerstraßen. Die laufenden Baumaßnahmen bei Hessisch Lichtenau zeigen den immensen Flächenverbrauch für ein überflüssiges Verkehrsprojekt. Asphaltiert werden nicht nur Wälder und Wiesen sondern auch eine still gelegte Bahnstrecke.

Bei der Auseinandersetzung um die A 44 geht es um grundlegende Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes. Zunehmend geht es auch um Fragen der Ökonomie. Die geplante Transitstrecke soll vor allem dem Lkw-Verkehr von und nach Osteuropa nützen und wird 1,4 Milliarden Euro kosten. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der Verkehrswegebau in Deutschland hoffungslos unterfinanziert ist. Das Geld wird für den Unterhalt des bisherigen Straßennetzes gebraucht - für Neubau ist kein Geld da!

Ob die A 44 gebaut oder verhindert wird, ist richtungsweisend für zukünftige Verkehrspolitik. Sie ist das letzte Verkehrsprojekt Deutsche Einheit und verliefe durch sieben europäische Naturschutzgebiete. Die Klagen dagegen sind Präzedenzfälle für andere Infrastrukturprojekte in ökologisch wertvollen Landschaften.

Die Strategie der Autobahnbefürworter ist es, Fakten zu schaffen, nach dem Motto "wenn erstmal ein Teil der Autobahn gebaut ist, muss der Rest auch kommen". Der Bau beginnt deshalb nicht am westlichen oder östlichen Ende, sondern in der Mitte. Der erwartete wachsende Durchgangsverkehr soll an den planungsrechtlich besonders problematischen westlichen und östlichen Enden den Druck auf die AnwohnerInnen erhöhen: Je mehr in der Mitte gebaut ist, desto enger werden die "Flaschenhälse" im Westen bei Kaufungen und im Osten bei Herleshausen. Lärm und Gestank sollen die KritikerInnen zur Zustimmung zwingen.


Der Stand der Dinge - Widerstand jetzt

Das Projekt ist in elf Abschnitte geteilt. Davon ist einer, die Ortsumfahrung Walburg, bereits gebaut, bei anderen ist noch nicht einmal die Planung offen gelegt. Im Bau ist seit kurzem die Umfahrung von Hessisch Lichtenau. Besonders wichtig ist der in diesem Sommer mögliche Baubeginn des Streckenabschnitts von Hessisch Lichtenau nach Helsa. Widerstand ist jetzt notwendig, damit Naturschutz und Bürgerprotest nicht mit der "Macht des Faktischen" gebrochen werden.


Die aktuellen Planungs- und Baustände der A 44 von Westen nach Osten

Kaufungen: Der Gemeinderat im westlichsten Teilstück hat sich Partei übergreifend gegen den Autobahnbau ausgesprochen. Wesentliche Konflikte für den Kaufunger Abschnitt sind ungelöst: Ersatz von Trinkwasserbrunnen, Beeinträchtigung des Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebietes Lossewiesen und Rodungen im Stiftswald. Ein Planfeststellungsbeschluss ist in den nächsten fünf Jahren nicht zu erwarten.

Helsa - Hessisch Lichtenau: Nach einer aufwändigen Planänderung könnte der Bau in diesem Jahr beginnen. Fast der gesamte Abschnitt soll nun im Tunnel geführt werden. Aktuell werden Bohrungen am Hirschberg durchgeführt. Im Zweiten Weltkrieg wurden hier TNT und andere Sprengstoffe produziert. Wegen der Rüstungsaltlast sind Schadstoffabflüsse in das Grundwasser zu erwarten. Aktuell liegt die Kontamination des Grundwassers mit 20 Mikrogramm Nitrat im unkritischen Bereich. Aber die abzupumpenden Wassermengen während des Tunnelvortriebs werden die sehr komplexen Grundwasserströme beeinflussen, so dass Kontaminationen von Tiefbrunnen im weiteren Umfeld nicht auszuschließen sind.

Hessisch Lichtenau: Sieben Jahre währte der gerichtlich verfügte Baustopp im Abschnitt Hessisch Lichtenau. 2008 wurde der Baustopp mit hohen ökologischen Auflagen aufgehoben, doch war dies nicht der Durchbruch für die Autobahnplanung insgesamt. An der Baustelle ist das Ausmaß der Naturzerstörung für den Autobahnbau erschreckend sichtbar. Der gesamte Bereich sieht wie eine Braunkohle-Mondlandschaft aus. Gewaltige Einschnitte werden in das Gelände gefräst. Die Baustelle zerschneidet das FFH-Gebiet "Lichtenauer Hochland".

Walburg: Die 4,1 km lange Ortsumfahrung durch den Hopfenbergtunnel ist der einzige fertig gestellte Bauabschnitt. 2008 organisierte die Tour de Natur erfolgreich eine Fahrraddemonstration auf der Autobahninsel.

Hessisch Lichtenau - Küchen und Küchen - Waldkappel: Die Trasse soll durch das FFH-Gebiet Werra- und Wehretal führen. Damit sind Lebensräume seltener Tierarten wie Uhu, Schwarzspecht, Schwarzstorch und Fledermäusen wie dem Großen Mausohr und Bechsteinfledermaus gefährdet. Klärungsbedürftig sind laut Bundesverwaltungsgericht wichtige europäische Naturschutzbelange für die Folgeabschnitte. In seinem Beschluss von 2008 heißt es in ungewöhnlich deutlichen Worten: "Der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache ist offen. Im Hauptsacheverfahren stellt sich eine Vielzahl zum Teil schwieriger Rechts- und Tatsachenfragen, die neben dem Artenschutz namentlich den gemeinschaftsrechtlich veranlassten Gebietsschutz betreffen und deren Beantwortung sich ... nicht hinreichend prognostizieren lässt." Dennoch hat das oberste deutsche Verwaltungsgericht am 14. April 2010 den Weiterbau im Abschnitt Hessisch Lichtenau - Küchen genehmigt.

Wehretal-Oetmannshausen: Die Spitzkehre zerschneidet das FFH-Gebiet Trimberg mit großen Vorkommen von Gelbbauchunken, Kammmolchen und Fledermäusen. Die Planung wurde in den letzten Jahren so oft geändert, dass ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich wäre. Das Land Hessen versucht, Baurecht in einem Änderungsverfahren zu erlangen, die Pläne wurden Ende 2009 erneut offen gelegt.

Sontra: Hier würden Buchenwaldbestände und Trockenrasengesellschaften zerstört. Wegen der Berücksichtigung der Stickstoffeinträge soll die Trasse am Buchberg verändert werden, ein Termin für die Auslegung der Pläne ist noch nicht bekannt.

Wommen: Die Trassenführung im Bereich des "Grünen Bandes" wurde in vermeintlich ökologisch weniger sensible Bereiche verschoben. Wie schwierig es auch an dieser Stelle ist, eine Autobahn zu planen, zeigt die Tatsache, dass das Planfeststellungsverfahren bereits seit 2002 läuft.


Fazit

Gut zwanzig Jahre (!) nach dem Beginn der Autobahnplanung ist ihre Realisierung keineswegs sicher. Wir brauchen kein "Nachholprogramm für den Straßenbau West", wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer fordert, wir brauchen eine umwelt- und klimaverträgliche Verkehrspolitik. Das zeigt überdeutlich das Beispiel der A 44. Der Widerstand ist erfolgreich und lohnt sich weiter. Bitte unterstützen Sie unsere Kampagne gegen den Ausbau der A 44.

AutorInnen:Klaus Schotte, ROBIN WOOD Kassel ist auch Sprecher der Aktionsgemenschaft Verkehr Nordhessen AVN, Kontakt: k.schotte@nexgo.de. Monika Lege ist ROBIN WOODVerkehrsreferentin, Kontakt: Tel.: 040/38089212, verkehr@robinwood.de. Janina Laurent hat ein Praktikum bei ROBIN WOOD gemacht

Mehr Infos unter: www.avn.cooltips.de und www.robinwood.de/Brennpunkt-autobahn-44


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Mondlandschaft für den Autobahnbau bei Hessisch Lichtenau
Für die A 44 werden Wälder und Wiesen asphaltiert
Die einzelnen Abschnitte der A 44 im Überblick


Die A 44 in Zahlen

Länge: 64,3 km von A 7 Kassel-Ost bis A 4 Wommen/Herleshausen. Kosten: 1,4 Mrd EUR

Bestand:
Autobahnen 7 und 4: 117 km, Fahrzeit 64 Min.
Bundesstraßen 7, 27 und 400: 70 km, Fahrzeit 70 Min.

Verkehrsaufkommen:
Prognose A 44: 14.700 Kfz/Tag
Durchschnitt Bundesstraßen: 9.210 Kfz/Tag
Durchschnitt Autobahnen: 47.600 Kfz/Tag

Einladung

Sonntag, 13. Juni Öffentliches Schnupperklettern im Naturpark Meissner-Kaufunger Wald bei Kassel Sonntagsspaziergang, Kuchenstand, Waldbegehung und Infos zum hier geplanten Bau der Autobahn 44

Näheres demnächst unter www.robinwood.de/verkehr


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 105/2.2010, S. 25-26
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2010