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VERKEHR/941: A100 spaltet die Geister (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 172 - Februar/März 2013
Die Berliner Umweltzeitung

A100 spaltet die Geister
Wahnwitz Bundesautobahn 100 wird trotz anhaltender Proteste verlängert

von Janine Behrens



Das 22 Kilometer lange Ungetüm von Stadtautobahn ist schon heute vielen Berliner/-innen ein Dorn im Auge. Denn Autobahnen sind laut, hässlich, stinken und gehören nicht ins Stadtbild.

Ursprünglich als Berliner Stadtring geplant, soll nun Bauabschnitt 16 von Neukölln nach Treptow realisiert werden. Dieser wird hinter dem Autobahndreieck Neukölln an der Anschlussstelle Grenzallee anschließen und bis zum Treptower Park verlaufen. Ein Unterfangen von 3,2 Kilometern, das knapp 500 Millionen Euro kosten soll.

Neben Einzelpersonen und BUND hatte auch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg im September letzten Jahres vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die Entscheidung des Berliner Senats, welcher sich durch 30 Juristen vertreten ließ, geklagt. Anfang Oktober das Urteil: Der Weiterbau der A100 kommt - trotz anhaltender Proteste und umstrittener Verkehrsprognosen.

Schade, dass der Berliner SPD/CDU-Senat nicht überall so engagiert mit juristischem "Sachverstand" hinterher ist wie zum Beispiel bei der Anfechtung der Teilprivatisierungsverträge bei den Berliner Wasserbetrieben.

Was die Autobahn zum Wahnwitz macht

Der Stadtentwicklungsplan Verkehr, der 2011 vom Senat beschlossen wurde, ist zum Teil unvollständig, eine ausreichende Betrachtung des Quell- und Zielverkehrs fehlt. Schätzungen gehen davon aus, dass der LKW-Verkehr um bis zu 20 Prozent zunehmen wird.

Ist Bauabschnitt 16 erst einmal realisiert, wird an der vorläufigen Endstation der A100 am Treptower Park ein Verkehrsaufkommen von bis zu 80.000 Kfz in 24 Stunden erwartet. Der Hauptverkehrsstrom soll auf die Elsenstraße über die Elsenbrücke hin zur Stralauer Allee abfließen. Dabei gilt es fünf dicht beieinander liegende Ampeln zu passieren - für eine Stadtstraße ist das nicht fassbar, auch wenn die Planer die sogenannte intelligente Ampelschaltregelung der "Grünen Welle" predigen. Schließlich ist weiterhin mit Querverkehr aus Kreuzberg, Neukölln und vom Ostkreuz zu rechnen. Rechnet man alle diese Fakten zusammen, kommt man zu einem eindeutigen Ergebnis: Dauerstau! Um diesem Stau zu entgehen, werden zahlreiche Kraftfahrer trotzdem auf Schleichwegen in die Kieze ausweichen und diese zusätzlich belasten.

Aber nicht nur die hohen Kosten und der zunehmende Verkehr stellen schon Bauabschnitt 16 bis zum Treptower Park unter schlechtes Licht. Über 300 Kleingärten müssen der Betonschneise weichen. Der Ausgleich für verlorengegangenes Grün ist völlig unzureichend, Ersatzflächen werden nicht bereitgestellt. Der Regierende Bürgermeister Wowereit und Stadtentwicklungssenator Müller (beide SPD) kündigten bereits stolz Bulldozer für das Frühjahr 2013 an.

Sollte es anschließend tatsächlich zum geplanten Weiterbau der A100 zur Frankfurter Allee kommen, drohen bis zu 130.000 Kfz in 24 Stunden. Dasselbe Spiel wird sich also bei Bauabschnitt 17 ereignen. An einer der am stärksten belasteten Kreuzungen - mit dichter Wohnbebauung - soll der Verkehrsstrom auf die Frankfurter Allee abgeleitet werden. Wieder stellt sich die Frage:

Welche Straße soll das fassen? Wie geht es weiter am Kreuzungspunkt der Landsberger Allee? Darüber hinaus ist zu hinterfragen, ob Bauabschnitt 17 überhaupt realisierungsfähig ist. Eine Untertunnelung von Ostkreuz, Bahnhof- und Gürtelstraße bis zu einem Tunnelausgang in einer mit EU-Mitteln gestalteten Grünanlage scheint schon aus Kostengründen wahnwitzig.

Und überhaupt: Es ist schon paradox, eine Umweltzone in der Berliner Innenstadt einzuführen und gleichzeitig eine Autobahn zu bauen, die den Verkehr in die Innenstadt lotst.

Protest

Mit Beginn des neuen Jahres bezogen unabhängige Aktivist/-innen gemeinsam mit Aktiven von ROBIN WOOD auf einer hölzernen Plattform die Baumkrone einer hohen Pappel an der Neuköllnischen Allee, nahe der Kreuzung Grenzallee. Ein Transparent mit der Aufschrift "Gutes Klima - soziale Stadt - Stop A100" unterstreicht das Anliegen. Der private Grundstückseigentümer duldete die Baumbesetzung. Begleitet wurde diese Aktion durch eine Mahnwache am Boden mit Zelten und Infotisch. Die Aktivist/-innen sind bereits mit vielen Berliner/-innen ins Gespräch gekommen, die ihre Ablehnung gegenüber der Verlängerung der A100 zum Ausdruck brachten.

Weitere Aktionen seien für die nächsten Monate geplant: gegen die A100 und für eine sozial und ökologisch vertretbare Verkehrs- und Stadtpolitik!

Bilanz

Den Berliner/-innen, die unmittelbar mit den Nebenwirkungen der Umsetzung A100-Verlängerung konfrontiert werden, wird es wenig Trost spenden, dass beim Lärmschutz Nachbesserungen getätigt werden und nachts sowie am Wochenende, vorbehaltlich einiger weniger Ausnahmen, nicht gebaut würde. Festzuhalten bleibt, dass sich die Wohnqualität rund um die A100 trotz aktiver und passiver Lärmschutzvorkehrungen verringern wird. Von der Lebensqualität der Menschen, die ihren Kleingarten verloren, ganz zu schweigen. Währenddessen klopft sich die Berliner Landesregierung auf die Schulter - welch wirtschaftliches Projekt da doch auf die Beine gestellt wurde.

Die GRÜNE LIGA Berlin lehnt den unsinnigen Weiterbau der A100 ab und wird den Prozess fortwährend kritisch begleiten. Mit dem Slogan "Berlin - grünste Metropole Europas" hat die Hauptstadt bald nichts mehr gemein, wenn weiterhin zahlreiche Grünflächen und Kleingärten weiteren Betonteppichen weichen müssen. 500 Millionen Euro könnten sinnvoller investiert werden. Früher sagte man, das Geld liegt auf der Straße - in diesem konkreten Fall ist eine metaphorische Betrachtung durchaus erwünscht.

Wie Senator Müller kürzlich bekannt gab, werde Bauabschnitt 16 erst 2022 fertiggestellt. Wenn bei der teuersten Betonpiste Deutschlands dann auch noch so geschludert wird, wie beim Pfuschflughafen BER, können wir uns vorsorglich schon auf 2030 einstellen. Und Bauabschnitt 17 müsste dann ja auch noch realisiert werden.

Die A100 spaltet demnach nicht nur die Geister, vielmehr ist sie selbst und ihre "Vollendung" als Gespenst zu betrachten.

Weitere Informationen:
www.a100stoppen.de
www.robinwood.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Klare Forderung, ÖPNV-Verbesserung statt teuren Betonteppich
- Bei der Baumbesetzung im Januar: Aktivist/innen engagieren sich gegen A100

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 172 - Februar/März 2013, Seite 3
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2013