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VERBRAUCHER/068: Suffizienz im Alltag - Nutzen statt besitzen (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2013
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Suffizienz im Alltag
Nutzen statt besitzen

von Severin Zillich



Mieten statt kaufen, reparieren statt wegwerfen: Wer Dinge gemeinsam nutzt oder lange verwendet, trägt dazu bei, Ressourcen zu sparen und die Warenströme nicht noch weiter anschwellen zu lassen. Tauschen und Teilen liegt im Trend - unterstützt von den neuen Möglichkeiten der digitalen Welt.


Ende September im hessischen Wehrheim: Eine Handvoll Frauen baut in der Ortsmitte Tapeziertische auf. Bald füllen sie sich mit Stauden aller Art: willkommen zur Pflanzenbörse des BUND Wehrheim. In jedem Frühjahr und Herbst können Gartenfreunde hier überschüssige Pflanzen abgeben oder sich neue Pflanzen einpacken, kostenlos. Schon seit 1990 koordiniert Almut Gwiasda das Geschehen. Angebot und Nachfrage sind über die Jahre enorm gestiegen.


Gemeinsamkeit hat Konjunktur
Die Idee, Ressourcen gemeinsam zu nutzen, ist nicht neu. Ihr verdanken wir verschiedenste Annehmlichkeiten. Eine lange Tradition haben Wohngemeinschaften und Büchereien, Waschsalons und Fahrradverleihe oder die genossenschaftlichen Maschinenringe in der Landwirtschaft. Jünger ist die Idee des Carsharings, das, nach langem Nischendasein, in den Städten heute auf starke Nachfrage stößt. Nicht nur Autos werden geteilt: Der Markt der gemeinschaftlichen Güter boomt, und das vor allem via Internet. Ein Beispiel von vielen: Unter »Couchsurfing.org« bieten Menschen in über 100 000 Städten und allen Ländern der Welt ihr Heim gratis für begrenzte Zeit zum (Mit-)Wohnen an.

Immer mehr Menschen nutzen ganz selbstverständlich die unendlichen Möglichkeiten der digitalen Welt. Das hat auch den Handel mit gebrauchten Dingen revolutioniert. Zwar haben traditionelle Flohmärkte weiter viel Zulauf. Doch der Vergleich mit Verkaufsbörsen wie »eBay.de« zeigt: Der Handel mit Secondhand-Gütern von privat an privat hat online ganz andere Dimensionen bekommen. Dies auch, weil über soziale Medien wie Facebook oder Twitter neue Seiten und lohnende Angebote in Windeseile weitergereicht, ausgetauscht und empfohlen werden.

Gleichzeitig differenziert sich das Angebot im Netz stark aus. Wie bei gebrauchter Kleidung: Ob Kinderklamotten, schicke Vintage-Sachen oder teure Designermode, es gibt jeweils gleich mehrere Spezialanbieter. Dazu kommen Allrounder wie »Kleiderkreisel.de«, die den Community-Gedanken hochhalten.


Besitz als Ballast
10. Oktober im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg: Eine Initiative namens »Amt für Werbefreiheit und gutes Leben« übergibt 1300 Überschriften. Mit einem EinwohnerInnenantrag möchte sie erreichen, dass alle kommerzielle Außenwerbung in dem Berliner Bezirk verboten wird. Denn deren ständige Konsumanreize führten zu unnötig hohem Ressourcenverbrauch.

Zunehmend reagieren Menschen allergisch auf die Omnipräsenz von Werbung, auf den Dauerappell zu kaufen, was der Geldbeutel hergibt. Warum Neues anhäufen, das wir - wenn überhaupt - nur selten brauchen? Warum sich mit dem Ballast so vieler Dinge beschweren? Mit einem eigenen Auto zum Beispiel, dessen Kosten oft in keinem Verhältnis zu seinem Nutzen stehen (solange wir nicht wirklich darauf angewiesen sind)? Oder mit Bergen von Büchern, die wir doch nur einmal lesen?

Eigentum kann befreien, von Existenzsorgen etwa. Wer aus einem langjährig prekären Mietverhältnis in eine eigene Bleibe wechseln kann, weiß darum. Eigentum verpflichtet aber auch. Unsere Habseligkeiten beanspruchen Raum und Zeit, wollen sauber und in Schuss gehalten werden. Und sie wollen mit, wenn es uns an einen neuen Ort zieht.

Eigentum kann also auch belasten und unbeweglich machen. Wer wüsste nicht, wie wohl es tut, von Zeit zu Zeit auszumisten? Die Suche nach Abnehmern für das, was wir nicht mehr benötigen, ist leichter geworden. Ob alte Möbel oder selten Getragenes aus dem Kleiderschrank - was noch brauchbar ist, findet vor allem in digitalen Netzwerken rasch Interessenten.

Es muss ja nicht immer Neuware sein, gebrauchte Dinge tun es oft ebenso. Weil sie sich schon bewährt und als haltbar erwiesen haben. Oder weil sie schlicht origineller sind als die Massenware, die jeder hat.


Wer kann es richten?
Gebrauchte Dinge weiterzuverwenden liegt besonders nahe, wenn sie sich schon in unserem Besitz befinden. Wenn es nur einer Reparatur bedarf, um sie wieder funktionstüchtig zu machen. Was man nicht selbst richten kann, muss man richten lassen. Und da wird es schwierig. Mit jedem alten Schuster, der in Pension geht, und jedem Uhrmacher, der einer Mobilfunk-Filiale weichen muss, wird die Zahl sachkundiger Reparateure kleiner. Glücklich kann sich schätzen, wer eine gute Fahrrad- oder Autowerkstatt in der Nähe hat. Noch glücklicher, wer auf einen versierten PC-Doktor zurückgreifen kann.

So sinnvoll es sein mag und so sehr es befriedigt, Dinge zu reparieren - selbst in der Stadt werden die Wege zu den verbliebenen Fachgeschäften immer weiter. Von einer blühenden Renaissance dieser Kulturtechnik lässt sich bisher kaum sprechen. Immerhin künden erste zarte Pflänzchen von einer Rückbesinnung.

In den Niederlanden haben sich Reparaturcafés etabliert, Orte der Selbsthilfe, wo geschraubt, gelötet und geflickt wird. Auch in deutschen Städten gibt es vergleichbare Angebote. Und im Internet kursieren zahllose Anleitungen für Leute, die selbst Hand anlegen wollen (etwa auf »Youtube.com«). Doch ein Ersatz dafür, dass gute Spezialisten immer rarer werden, ist das nicht.


Die Preisfrage
Teilen und tauschen, Gebrauchtes kaufen oder reparieren, all das spart Ressourcen - und außerdem Geld. Preisvorteile sind ein, wenn nicht der wesentliche Anreiz, nach Alternativen zum Neukauf zu suchen. Wird der Markt jedoch mit Billigprodukten überschwemmt, erschwert dies alle Alternativen zum »Ex und hopp«. Denn der Griff zum Schnäppchen ist schneller getan als die Suche nach einem Verleih oder Secondhandladen.

Die Billigware untergräbt jeden Versuch, die Verschwendung unserer Ressourcen einzudämmen. Und sie vergrößert die Verschwendung noch, indem sie uns nötigt, Dinge in kurzem Abstand nachzukaufen, weil diese bald kaputtgehen und eine Reparatur nicht lohnt. Hier muss die Politik Vorgaben machen - in Gestalt qualitativer Mindestkriterien für einzelne Produkte; und für verbraucher- und umweltfreundliche Sortimente im Handel.


Die Ortsfrage
Noch etwas schränkt viele Versuche, den persönlichen Ressourcenverbrauch zu senken, empfindlich ein: das Kriterium der räumlichen Nähe. Dinge zu leihen oder in Reparatur zu geben, ist nur praktisch, wenn es Angebote vor Ort gibt. Die Änderungsschneiderei für das fadenscheinige Kleid sollte in der Nachbarschaft liegen, der Werkzeugverleih nicht eine halbe Autostunde entfernt. Und wer spontan ein Rad leihen will, muss die nächste Station zu Fuß erreichen können.

Entsprechend wächst der Anteil gemeinschaftlichen Konsums, je größer die Stadt (mit ihren oft kurzen Wegen) ist. Was auch daran liegt, dass in Großstädten mehr Menschen postmateriell gesinnt sind und die nötige Nachfrage erzeugen - indem sie nicht so sehr nach Besitz streben als nach alternativen und kreativen Lebensentwürfen, nach sozialem Austausch und nach Abwechslung.


Und die Umwelt?
Dinge teilen, Nicht-mehr-Benötigtes an andere Menschen weitergeben, Liebgewonnenes reparieren - all das klingt einsichtig und charmant. Wir machen uns ein Stück weit unabhängig von der Glitzerwelt der Waren. Wir knüpfen Kontakte, tauschen Erfahrungen aus, profitieren (online) von der Schwarmintelligenz der Netzgemeinde. Und wir üben Vertrauen, als Grundlage jeder gemeinschaftlichen Nutzung und jedes privaten Geschäfts. Doch eine zentrale Frage bleibt: Helfen wir damit auch der Umwelt?

Die Antwort überrascht kaum: »Nutzen statt besitzen« kann die Umwelt entlasten, tut es aber nicht per se. Wesentlich ist zum einen, wie ein Gegenstand die Nutzer wechselt. Holen wir die geliehene Bohrmaschine mit dem Auto vom weit entfernten Baumarkt oder vom Nachbarn nebenan? Je kürzer der Transportweg und geringer die dabei anfallenden Energiekosten, desto besser für die Umwelt. Ein aufwendiger Transport kann mehr Ressourcen verschlingen, als die gemeinschaftliche Nutzung einspart.

Ins Gewicht fällt damit auch, wie häufig wir ein Produkt ausleihen. Sinnvoll ist es also, die Skier, die ich nur zwei Tage im Jahr fahre, zu leihen; und den Rasenmäher, den ich im Sommer jeden Monat nutze, selbst anzuschaffen - außer mein Nachbar leiht ihn mir.

Bei Reparaturen spielt zudem eine Rolle, was gerichtet wird. Alte Stromfresser im Haushalt etwa verdienen kein längeres Leben. Klar, hier ist der Umwelt mit einem sparsamen Neugerät besser geholfen.

Der Transportweg ist auch für die Ökobilanz von Secondhand-Ware bedeutsam: Wird der in Bayern online ersteigerte Kinderwagen aus Kiel angeliefert? Und muss er für den Transport üppig verpackt werden? Zu Buche schlägt beim Onlinehandel nicht zuletzt der riesige Energieverbrauch der Server für den weltumspannenden Datenverkehr; und der Strom für die Recherche zu Hause am Rechner, bevor wir uns zum Kauf entschieden haben.

Generell gilt schließlich: Je mehr die Herstellung einer Sache die Umwelt belastet hat, desto sinnvoller ist es, sie zu leihen oder zu teilen.


Maßhalten ...
Wer will, kann auch von gebrauchten und geteilten Dingen Berge anhäufen und damit Ressourcen verschwenden. Auch hier gilt das ehrwürdige Gebot des Maßhaltens. Sie müssen ja deshalb nicht gleich zum Minimalisten werden - zu einem der vorerst noch vereinzelten, dafür sehr trendigen Menschen, die ihren Besitz auf das Allernötigste reduzieren. Wer kommt mit dem Wenigsten aus? Mit 200, 150 oder gar nur 100 Gegenständen (Laptop immer inklusive)? Und ohne etwas zu vermissen?

Wie das möglich ist, erfahren Sie Schritt für Schritt (natürlich) im Internet. Vergessen Sie dabei nur bitte Ihren Stromverbrauch nicht.



www.nachhaltiger-warenkorb.de
www.zeit-statt-zeug.de
www.netcycler.de
www.leihabc.de
www.tauschringadressen.de
www.mrminimalist.com

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Quelle:
BUNDmagazin 4/2013, Seite 15 - 17
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2013