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ATOM/1344: Versteckt, verteilt, verharmlost - AKW-Abriss (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 728-729 / 31. Jahrgang, 4. Mai 2017 - ISSN 0931-4288

Atommüll
versteckt, verteilt, verharmlost: AKW-ABRISS
Wie uns Atomindustrie und Politik ihren radioaktiven Müll unterjubeln

von Thomas Dersee


Der große AKW-Abriss hat begonnen. Bereits 22 Atomkraftwerke werden derzeit stillgelegt und sollen abgerissen werden. Zurück bleibt ein großer Müllberg. Ihre strahlende Hinterlassenschaft haben die Atomkonzerne bereits vorsortiert: 1 bis 3 Prozent für langfristige Lager für hochradioaktive Abfälle und für schwach-/mittelradioaktive Abfälle, derzeit in Zwischenlagern. Und 97 bis 98 Prozent für die Müllabfuhr (radioaktiv belastetes und unbelastetes Material).

Deutsche Atomkraftwerke landen so im Wertstoffkreislauf, in der Müllverbrennung und auf Bauschutt-Deponien im ganzen Land. Wenn wir das nicht stoppen, begegnen uns die abgerissenen deutschen AKW schon bald wieder - überall. Künstliche Radioaktivität aus dem AKW-Betrieb landet in Kochtöpfen, in Konservendosen oder in Baumaterial, in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken und in Lebensmitteln, die wir essen.

Dagegen wendet sich eine Broschüre, die die Bürgerinitiative "Atommüll Einlagerung Stopp Harrislee" jetzt fertiggestellt hat. In ihr wird auf die Themen Freimessen und Freigabe, auf das 10-Mikrosievert-Konzept sowie auf die Deponierung, das Recycling und die Verbrennung von radioaktivem AKW-Abriss-Material eingegangen. Die zu erwartenden Konsequenzen werden aufgezeigt und die Alternativen zum besseren Umgang mit niedrigstrahlenden Abfällen werden dargestellt. Die Broschüre ist standortunabhängig formuliert und daher in ganz Deutschland einsetzbar. Zielgruppe sind Entscheider aus Politik und Verwaltung, Journalisten, Deponien, Recyclingbetriebe und deren Mitarbeiter sowie alle, die sich einen umfassenden Überblick zu der Thematik verschaffen wollen.

Zum Hintergrund: Wegbereiter war der Atomkonsens. Im Jahr 2001 hatte der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin gelernt, Kröten zu schlucken. Damals unterzeichnete die rot-grüne Bundesregierung gemeinsam mit den Atomkonzernen den Vertrag, der als "Atomkonsens" Geschichte schrieb. Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen protestierten gegen die Unterzeichnung, denn sie erkannten den Atomkonsens als Mogelpackung. Das war kein Atomausstieg, sondern ein Garantievertrag für den reibungslosen Weiterbetrieb mit viel Spielraum in Richtung Verfallsdatum der Atommeiler - und inklusive Rückfahrschein.

Die Atomkonzerne waren zufrieden. Bundeskanzler Schröder war ebenfalls zufrieden, denn er hatte die Energieriesen bei Laune gehalten und den Koalitionspartner ruhiggestellt. Und der Umweltminister konnte endlich verkünden, dass die Grünen ihr wichtigstes Wahlversprechen, den Atomausstieg, quasi eingelöst hatten. Trittin hatte unter großem Druck geliefert, denn ohne "Atomausstieg" wäre der Verbleib der Grünen in der Regierungskoalition kaum vermittelbar gewesen.

Eines der Konsens-Geschenke für die Atomkonzerne kam mit der Strahlenschutznovelle 2001: Die Einführung der Freigaberegelung in Paragraf 29 der Strahlenschutzverordnung. Die Freigaberegelung schuf die Voraussetzung dafür, dass die Energiekonzerne ihre Atomkraftwerke nach Abriss zu circa 98 Prozent kostengünstig in die "Müllabfuhr" geben dürfen.

Das wäre unproblematisch, wenn die Zielsetzung der Freigabe lauten würde, dass nur zweifelsfrei unbelastetes Material in den Abfallwirtschaftskreislauf gelangen darf. Dies ist jedoch nicht der Fall, freigegeben wird, was nicht "unzweifelhaft endgelagert" werden muss. Es darf durchaus radioaktiv belastet sein und das in beachtlichen Maßen und Mengen. Was in die Abfallwirtschaft freigegeben wird, bestimmt der Gesetzgeber mit der Festlegung von Grenzwerten für radioaktive Stoffe.

Die Begründung für die Freigaberegelung ist nicht im medizinischen Bereich zu finden. Ein Schwellenwert, unterhalb dessen Strahlung nicht schädlich wäre, existiert nicht. Die Freigaberegelung ist eher als Finanzierungskonzept zur Reduzierung der Atommüllkosten zu verstehen. Das Bundesumweltministerium formulierte das im Jahr 2001 so: "In die Abwägung zur Festlegung entsprechender Vorsorgewerte fließen neben den in erster Linie zu berücksichtigenden Erkenntnissen der Risikobewertung zur Wirkung niedriger Strahlendosen auf Mensch und Umwelt auch Überlegungen der Risikoakzeptanz ein. Dabei müssen auch wirtschaftliche Erwägungen, z.B. die Kosten einer Endlagerentsorgung einbezogen werden." Übersetzt bedeutet das: Die Bevölkerung finanziert die Beseitigung von strahlendem AKW-Abrissmaterial mit ihrer Gesundheit.

Aus der Begründung des Bundesgesundheitsministeriums zur Strahlenschutznovelle von 2001: "Dort [§ 2, Abs. 1 u. 2, Atomgesetz] wird nunmehr bestimmt, dass radioaktive Stoffe im Sinne des Atomgesetzes nur diejenigen physikalisch radioaktiven Stoffe sind, für die nach dem Atomgesetz oder einer [...] Rechtsverordnung besondere Überwachungsmaßnahmen [...] festgelegt wurden. Hieraus folgt, dass Stoffe, deren Aktivität unterhalb der festgelegten Freigrenzen liegt, und Stoffe, die freigegeben wurden, keine radioaktiven Stoffe im Sinne des Atomgesetzes sind."

Mit dieser gesetzlichen Bestimmung wurde die rechtliche Voraussetzung für die Entlassung radioaktiver Stoffe aus der atomrechtlichen Zuständigkeit geschaffen. Durch die Verwendung der juristischen Definition von Radioaktivität in der öffentlichen Debatte werden die physikalischen Eigenschaften von Gefahrstoffen verschleiert. Nicht der Staat überwacht was radioaktiv ist, sondern radioaktiv ist nur, was der Staat überwacht.


So steht es einleitend in der Broschüre der Bürgerinitiative Atommüll Einlagerung Stopp Harrislee, www.baesh.de: versteckt - verteilt - verharmlost: AKW-ABRISS. Wie uns Atomindustrie und Politik ihren radioaktiven Müll unterjubeln. Broschüre, 28 Seiten im A4-Format, info@baesh.de


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_17_728-729_S03-04.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Mai 2017, Seite 3 - 4
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2017

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